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QUERSPALTEDie Schule der Nation

■ Die Bildungsreform ist abgeschlossen: Ab sofort verteilt der „Kicker“ auch Zwischennoten

Ja, doch, man kann sich das gut vorstellen, wie die Redakteure von Deutschlands bekanntestem Fußballmagazin all die Jahre gelitten haben müssen. Die ganze Woche über das Grauen dieser Nacht vor Augen, die kommen würde, unerbittlich: Samstag auf Sonntag, Samstag auf Sonntag...!! Und dann lagen sie da, von der Gattin weich gebettet, in Wattenscheid, in Uerdingen, in Karlsruhe und überall, wo großer Fußball ist, und waren so einsam wie niemand sonst auf dieser Welt, die doch so rund ist wie das runde Leder, ach.

Sie schwitzten Laken durch. Nagten Fingernägel. Sie rauften Haare. Stöhnten. Jammerten. Flehten zum Flankengott: Erbarmen! Der aber saß auf einer dunklen Wolke, Sepp Herberger und Josef (der immer die Torpfosten hobeln mußte) neben sich, und sprach: „Wer von euch ein Gerechter sein will, der...“ Ein Heulen hob da an und ein Wehklagen unter den Kicker-Schreibern, sie streuten Asche auf ihr Haupt, allein: es half nicht.

Der Alp blieb. Morgen früh, an diesem siebten Tag, an dem der Herr zu ruhen pflegte, würden sie wieder in die Tasten greifen müssen. Und wieder würden sie Unrecht tun, dem Uwe Bein, dem Olaf Thon, all den andern. Würden eine 3 geben, weil das Deckungsverhalten doch nur... und andererseits: Fehlte nicht auch der Druck nach vorn? War sie nicht absolut korrekt, die 3? Doch dann würde wie ein bösartiger Tumor dieser hübsche Doppelpaß ins Hirn dringen aus der 77. Minute: Sollte man nicht besser, vielleicht, eine 2...? Nicht auszuhalten! Überall war von differenzierter Leistungsdiagnostik die Rede, selbst in Gesamtschulen hatte man sich vom Joch der Gleichmacherei befreit. Summerhill war seit Jahren tot wie O'Neill, der antiautoritäre Spinner. Fortschrittliche Eltern verteilen Lob und Tadel fein dosiert. Sollte es da nicht auch der Kicker..., endlich? Es ist vollbracht, seit gestern! „Lieber Leser“, stand da auf Seite 29, „die Beurteilung der Spieler nach den Noten 1 bis 6 reicht für ein ausgewogenes fachliches Urteil nicht mehr aus. Darum vergeben wir ab heute auch Zwischennoten. Wer sich die Note gut nicht ganz verdient hat, aber besser als befriedigend war, bekommt nun eine 2,5. Auch in der Schule sind Zwischennoten längstlich üblich.“

Tja, die Bildungsreform in dieser Republik kann damit als endgültig abgeschlossen gelten. Die Schule der Nation ist künftig das Stadion. Herr Thömmes

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