piwik no script img

Das Thema glatt verfehlt

Gnadenlos lästert IG-Metaller Wolfgang Kowalsky in „Rechtsaußen und die verfehlten Strategien der deutschen Linken“ über Antifa-Gruppierungen und andere bunt-alternative Initiativen/ Die Linken sind für ihn Dünnbrettbohrer, sein Elaborat indes ist auch nicht mehr als geistiges Tieffliegen  ■ Von Eberhard Seidel-Pielen

Dummheit ist kein Privileg der Rechtsradikalen. „Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft!“ — „Deutsche Polizisten, Mörder und Faschisten“ — „Verbot der Republikaner und aller rechtsradikaler Parteien!“ — „Advent, Advent, ein Nazi brennt, erst ein Arm, dann ein Bein, dann das ganze Nazischwein.“ Diese und ähnlich lautende „antifaschistische“ und „antirassistische“ Tageslosungen sind nicht nur reichlich hirnlos, sondern angesichts einer „Neuen Rechten“ Ausdruck hoffnungsloser Hilflosigkeit.

Ein Blick in rechte Publikationen wie etwa in die Junge Freiheit lehrt: die Protagonisten der „Neuen Rechten“ sind wißbegierig und theoriefreudig. Themen wie die „multikulturelle Gesellschaft“, „deutsche Identität“, „Nation“, „Gentechnologie“ oder die „neue Weltwirtschaftsordnung“ werden auf einem intellektuellen Niveau diskutiert, das Kreuzberger und Frankfurter Szenestammtischen bereits vor Jahren abhanden kam. Mit der enervierenden Reduktion deutscher Geschichte auf zwölf Jahre — 1933 bis 1945 — und der Beschwörung der Gefahr einer Wiederholung des Nationalsozialismus ist „Rechtsradikalen“, die die Theorien „linker“ Rechtsextremismus-Experten wie Claus Leggewie, Reinhard Kühnl oder Hajo Funke „auf der Pfanne haben“ und die Positionen Daniel Cohn-Bendits zum Einwanderungsland Deutschland genauer zur Kenntnis genommen haben als ein Großteil „der Linken“, nicht beizukommen.

Rücksichtslos gegen linkes Basiswissen

Der Verwirrung der Linken angesichts nationalistischer Renaissancen in ganz Europa, rassistischer Pogromstimmungen und europaweiter Wahlerfolge rechtsradikaler Parteien widmet sich eine demnächst im Hause Ullstein erscheinende Polemik. In „Rechtsaußen — und die verfehlten Strategien der deutschen Linken“ zieht Wolfgang Kowalsky gnadenlos gegen linkes Basiswissen vom Leder. Mit einem Antifaschismus, der sich im Grunde genommen immer noch im Rahmen der dreißiger Jahre bewegt, so die Grundthese Wolfgang Kowalskys, ist der Faszination und Ausstrahlungskraft der Parteien, Zirkel und Grupppierungen am äußeren rechten Rand nicht beizukommen. In einem Parcoursritt jagt der Autor durch mehr als 40 Jahre deutscher Faschismus- und Rechtsextremismus-Analysen. Acht Erklärungsmuster destilliert Kowalsky aus der Flut der Veröffentlichungen heraus, die das theoretische Rüstzeug für widerstreitende Strategien „der Linken“ bilden sollen. Von der „Antifaschismus-Strategie“ bis zur „Antinationalismus-Strategie“ reicht die Palette. Für Kowalsky ist der Großteil der Theorien mehr oder weniger geistiger Schrott.

Kowalsky ist Opfer seines eigenen Tempos

Querbeet mäht der wilde Reiter alle Theoretiker, die sich in ihrer Arbeit den Kontinuitätslinien zwischen dem Nazideutschland und der nachfolgenden Bundesrepublik verschrieben haben, nieder. Die Liste der Kritisierten ist lang: Reinhard Kühnl, Reinhard Opitz, Wolfgang Wippermann, Ralph Giordano...

Natürlich ist es Unsinn, aber leider allzu häufige Praxis, die demokratisch konstituierte Bundesrepublik als direkte Nachfolgerin Nazideutschlands zu denunzieren. Ebenfalls ist Kowalsky zuzustimmen, daß ein antiquierter Antifaschismus, der sich etwa in Organisationen wie der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN) niederschlägt, der „Neuen Rechten“ und der Überzeugungskraft der „Republikaner“ für ihre Wähler nicht beikommt.

Aber Kowalsky wird schnell Opfer seines eingeschlagenen Tempos. Etwa wenn er Ralph Giordanos Ausführungen zu den personellen Funktionseliten des Dritten Reiches zitiert, die bis in die siebziger Jahre hinein bestimmend für das Geschehen der Bundesrepublik gewesen seien, und Kowalsky anschließend auf die Psyche Giordanos zurückschließt: „Der Faschismus ist zu einer allgegenwärtigen Höllenmaschine geworden... Diese teleologische Weltsicht denkt rechtsextreme Aktionen als bewußt geplante Etappen auf dem Weg zum faschistischen Endziel und zieht jeden rechtsextremen Wahlerfolg oder Überfall auf Ausländer wie eine Perle auf ihre Faschismus-Kette auf.“

Hier vergaloppiert sich Kowalsky offensichtlich. So platt kann man Ralph Giordanos „Die zweite Schuld oder Von der Last Deutscher zu sein“ auch in einer Polemik nicht deuten. Es ist ein Verdienst Giordanos, in diesem Buch „den Verlust der humanen Orientierung“ seit 1871 nachzuzeichnen und aufzuzeigen, wie diese die spezifische Ausprägung des Faschismus in Deutschland erst ermöglichte. Der Umgang mit dem Lebenswerk Giordanos ist beispielhaft für Kowalskys Vorgehensweise. Giordanos Ausführungen zum „Verlust der humanen Orientierung“ breiter Bevölkerungsteile in Deutschland wird die Rechtsentwicklung im ausufernden 20. Jahrhundert sicherlich nicht befriedigend und abschließend erklären. Allerdings können aus ihnen Erkenntnisse gewonnen werden, wenn man sich beispielsweise mit der Frage beschäftigt, weshalb in Deutschland 1991 erst Hunderte von Brandbomben in Flüchtlingswohnheime fliegen, japanische Investoren ihre Projekte in den fünf neuen Bundesländern stornieren und israelische Journalisten ihre Besorgnis äußern mußten, ehe Politiker in Bonn und anderswo die pogromartigen Ausschreitungen als Problem zur Kenntnis nahmen — und weshalb es, andererseits, in Schweden nach rassistischen Morden zu einem mehrstündigen Generalstreik kam?

Aber das sind Nebenschauplätze, mit denen sich der IG-Metall-Mitarbeiter nicht aufhalten mag. Wolfgang Kowalskys Problem ist die Unfähigkeit, Mehrdimensionalität auszuhalten; da trifft er sich einmal mehr mit der von ihm so heftig gescholtenen dogmatischen „Linken“. Deutlich wird dies auch in dem Kapitel „Psycho- und Ausgrenzungsstrategie“, in dem er etwa gegen Birgit Rommelspacher zu Felde zieht.

Die Berliner Psychologin geht in ihrer Arbeit unter anderem der Frage nach, weshalb etwa Frauen, die in einem größeren Ausmaß als die Männer zu den „Modernisierungsverlierern“ gehören, nicht annähernd so häufig wie diese zum Rechtsextremismus neigen. Rommelspachers Kritik richtet sich folgerichtig vor allem an die Vertreter der „Theorie der Modernisierungsopfer“ — etwa Helmut Heitmeyer —, die Rechtsextremismus auch als Ergebnis der Schwierigkeiten der Identitätsbildung und des Individualisierungsprozesses in der Risikogesellschaft interpretieren. Diese Sichtweise mache die Täter zu „Opfern widriger Umstände und bedauerlicher Verhältnisse“. Auch wenn man all ihre Schlußfolgerungen ebensowenig teilt wie ihren moralischen Gestus, so muß man doch einräumen, daß sie Schwächen genannter Theorien benennt. Ihr deshalb gleich, wie Kowalsky es versucht, manichäisches Denken unterzujubeln, ist unseriös.

Auch die „Aufklärungsstrategien“ wie etwa Gedenkstättenfahrten sind nicht das Gelbe vom Ei — ihre beschränkte pädagogische Wirkung ist inzwischen sogar empirisch nachgewiesen. Aber es ist unlauter, zu suggerieren, es gäbe in der Rechtsextremismusforschung und in der Bekämpfung rassistischer Entwicklungen den Stein des Weisen. Das würde nämlich voraussetzen, die Attraktivität und die Erfolge der Rechtsradikalen speisten sich aus einer Quelle; das tun sie aber nicht. „Großstädtische Malaisen“, von denen Kowalsky wiederholt und gerne spricht, stehen neben tradierten völkischen Milieus, Modernisierungsverlierern, geschädigten Opfern links-verbohrter Pädagogen etwa, Desorientierungen, Utopieverlust, Legitimationsverlust der bürgerlichen Gesellschaft...

Eine weitere These Kowalskys lautet: nicht ein stillschweigendes Dulden neonazistischer Organisationen und deren langjährige Verharmlosung etwa durch den Staatsschutz, nicht die Förderung rechtsradikaler Theoriebildung seitens bundesrepublikanischer Politik hätten rechtsradikale Organisationen unterstützt, sondern die Unfähigkeit der „Linken“, auf die Themen der Neuen Rechten adäquat zu reagieren.

Es gibt aber mindestens ebenso viele Belege dafür, wie der entschiedene Widerstand von Autonomen, Antifas, Flüchtlingsgruppen, Bunten und Grünen den Wirkungskreis von rassistischen Schlägertrupps und Neonazis wirkungsvoll störte, wie an idiotischen Exempeln antifaschistischer Aktion. So sind nachweislich eine Reihe ostdeutscher Innenstädte nicht aufgrund polizeilicher Intervention wieder für Vietnamesen, Menschen schwarzer Hautfarbe, Schwule und Linke einigermaßen gefahrlos zu betreten, sondern durch das energische und handfeste Wirken bunter Szenerien. Auch zeigen Publikationen aus dem Kreis der Antifas, daß sie inzwischen durchaus gelernt haben, die rechte Szene in ihrer Ausprägung sehr differenziert zu betrachten. Exemplarisch genannt sei das Buch „Drahtzieher im braunen Netz“, in dem das „antifaschistische Autorenkollektiv Berlin“ die Möglichkeiten sozialarbeiterischer Intervention und Grenzen eines überholten „Hau-drauf- Antifaschismus“ abwägt.

Kein Gedanke an Drecksarbeit der BIs

Sicherlich kräuselt es einem bei manchen Flugblättern aus der Szene die Fußnägel, und es ist richtig, daß der Rassismusvorwurf inflationär zur Diskreditierung des Gegners mißbraucht wird. Die Kritik Kowalskys trifft an einigen Punkten voll ins Schwarze, wenn er sich etwa genüßlich die seit Monaten in Konkret veröffentlichte Liste rassistischer Übergriffe vornimmt, die nachweislich eine Reihe von Falschmeldungen enthält und jeglicher journalistischer Sorgfaltspflicht widerspricht.

Kowalsky wäre glaubwürdiger gewesen, hätte er nicht nur die Idiotien und den Schwachsinn einer sehr heterogenen Szene akribisch aufgelistet, sondern gleichzeitig einige Gedanken auf die Drecksarbeit verwandt, die zahlreiche Solidaritätsgruppen leisten. So ist es das Verdienst der antirassistischen Initiative Berlins, das Ausmaß der Hexenjagd auf Mosambikaner und Angolaner und ihrer Lebensgefährtinnen in Eberswalde-Finow öffentlich bekanntgemacht zu haben. Sie haben den Opfern der inzwischen international berüchtigten rechtsradikalen Szene Eberswaldes und Schwedts sichere Unterkünfte besorgt, Prozeßhilfen für die Witwe des erschlagenen Angolaners Antonio Amadeu organisiert, also Aufgaben wahrgenommen, die eigentlich im öffentlichen Interesse liegen sollten und deshalb von staatlichen Institutionen zu leisten wären. Und wer hat vor knapp einem Jahr den Bedrängten in Hoyerswerda erste Hilfe geleistet? Nicht die Polizei.

Nichts als wüste Publikumsbeschimpfungen

All das läßt Kowalsky außer acht. Nicht einmal der These, daß bestimmte soziale oder ethnische Minderheiten zu Sündenböcken gemacht werden, möchte er folgen. Da antirassistische Gruppen auch zweifelhafte Aktionen vom Zaun brechen — Stichwort: Autonome und Flüchtlinge in der Kirche zu Norderstedt — bleibt für Kowalsky also nur wüste Publikumsbeschimpfung: „Kein Thema ist derzeit geeigneter, um sein Link-Sein unter Beweis zu stellen, als die Ausländerfrage. Nicht zufällig ist sie zum Hauptbetätigungsfeld für eine Linke geworden, die den Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus schwer verwinden kann angesichts des unverhohlenen Triumphs der vermeintlichen Sieger.“

Da Kowalsky mit einer wahren Obsession seine Grundthese „die Unfähigkeit der Linken“ — wer immer auch das sein mag — verfolgt, kommt er überhaupt nicht mehr auf den Gedanken, daß die vermehrte Beschäftigung mit der „Ausländerfrage“ etwas mit realen gesellschaftlichen Entwicklungen zu tun haben könnte. Immerhin stiegen die zwischen 1990 und 1991 vom BKA in Wiesbaden registrierten Gewalttaten mit rechtsradikalem Hintergrund um 1.000(!) Prozent. Es grenzt fast an Geschichtsklitterung, wenn Kowalsky behauptet, antirassistische Aktion sei Ersatzhandlung für den verlorenen Revolutionstraum.

Ein wenig Recherchearbeit hätte ihn zumindest stutzig machen müssen. Denn ein Großteil der Gruppen und Akteure, die heute in Flüchtlingsarbeit, antirassistischer und Antifa-Arbeit engagiert sind, schlossen sich bereits Jahre vor dem Verschwinden des real existierenden Sozialismus von der weltpolitischen Bühne zusammen.

„Rechtsaußen — und die verfehlten Strategien der deutschen Linken“ hätte ein wichtiger Diskussionsbeitrag werden können. Eine ganze Reihe im Ansatz guter Anläufe und Denkanstöße deuten darauf hin. Aber nachdem der Autor es vorzog, sein Bild der „Linken“ als Kretins, geborene geistige Dünnbrettbohrer und enttäuschte Liebhaber des real existenten Sozialismus zu skizzieren, Stammtischparolen und wissenschaftliche Analyse zu einer eigenwilligen Melange verrührte, hat er sein Thema verfehlt. Die Linke (wer ist das nun eigentlich?), also die Menschen, die gegen eine Theorie der Ungleichheit protestieren, hat er auf jeden Fall in all ihrer Widersprüchlichkeit und Komplexität erfaßt. Aber das macht nichts. „Rechtsaußen“ ist für all jene ein ungetrübter Genuß, die aus berufenem Munde die Bestätigung suchen, daß die links-bunt-alternativ-humanistische-links-sozialdemokratische Bevölkerung Deutschlands überwiegend aus Psychopathen und ewigen Nörglern besteht.

Allen anderen kann man gleich die anregende Lektüre etwa von Claus Leggewie („Multi-Kulti“ und „Republikaner“) oder von Günther Nenning (etwa „Grenzenlos Deutsch“) empfehlen, die ähnliche Vorhaben bereits besser gelöst haben als Wolfgang Kowalsky.

Wolfgang Kowalsky, „Rechtsaußen — und die verfehlten Strategien der deutschen Linken“, Ullstein Verlag, Berlin 1992, 175 Seiten, DM 24,80.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen