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Neue Kräfte in Konfrontation mit der alten Macht

„Nahrungsmittelparteien“ und Zeitungen für Analphabeten — in Zaire hat sich eine lebendige Zivilgesellschaft herausgebildet  ■ Von Berthold Kuhn

Nach über 25 Jahren despotischer Herrschaft des Präsidenten Mobutu und der Staatspartei MPR (Mouvement Populaire de la Révolution) gehört Zaire, das einstige Belgisch- Kongo, zu den ärmsten Staaten der Erde. Besonders schwer trägt die zairische Wirtschaft noch an den Plünderungen der Militärs und der ausgehungerten Zivilbevölkerung im September letzten Jahres. Die Schadensbilanz ist inzwischen auf eine Milliarde Dollar beziffert worden.

Die politischen Verhältnisse nähren gegenwärtig keine großen Hoffnungen hinsichtlich der politischen Befriedung und der wirtschaftlichen Erholung des Landes. Bisher versuchte Präsident Mobutu immer, seine Machtstellung mit Hilfe militärischer Repression zu behaupten.

Auf die Nationalkonferenz setzt die Opposition große Hoffnungen. Die Konferenz, an der über 2.700 Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung teilnehmen, tagte erstmals im Juli 1991. Mobutu und seine Anhänger versuchten kontinuierlich, die Fortführung der Konferenz zu behindern. Nun aber hat sich das Kräfteverhältnis zu Mobutus Ungunsten verschoben. Die Nationalkonferenz erklärte sich im Juli zum obersten Entscheidungsorgan Zaires — und so erwartet Präsident Mobutu nun dasselbe Schicksal wie Sassou Nguesso, ehemaliger Militärdiktator des Nachbarstaates Kongo, der vor mehr als einem Jahr von der Nationalkonferenz seines Landes weitgehend entmachtet und vor zwei Wochen bei freien Wahlen abgewählt wurde. Bis zu freien Wahlen zu warten, bedeutet für die meisten Oppositionsgruppen in Zaire ein großes Zugeständnis, denn sie forderten noch bis vor kurzem den sofortigen Rücktritt Mobutus.

Die weitere Entwicklung ist insbesondere hinsichtlich der politischen Parteien schwer zu beurteilen. Seit der Einführung des Mehrparteiensystems am 24.April 1990, das ursprünglich nur als Dreiparteiensystem vorgesehen war, haben sich mehr als 300 Parteien formiert. Dank seines direkten Zugriffs auf die Staatskassen und seines immensen Privatvermögens ist es Mobutu möglich gewesen, durch Anhänger von ihm zahlreiche partis alimentaires — alimentierte „Nahrungsmittelparteien“ — gründen zu lassen, die er materiell unterstützt. Die Zahl dieser Satelliten der früheren Einheitspartei MPR wird auf etwa 200 geschätzt. Die Opposition hat ihrerseits versucht, durch Bündnisbildung diese Strategie Mobutus zu entlarven und zu unterlaufen. Dies ist ihr mit der Gründung der „Front Uni de l'Opposition“ (Einheitsfront) und später mit der „Union Sacrée“ (Heilige Union) teilweise gelungen. Mobutu kooptierte jedoch immer wieder wichtige Oppositionspolitiker — zuletzt Karl I Bond, von November 1991 bis jetzt Premierminister.

Bei der großen Anzahl von Parteien liegt der Schluß nahe, daß die Einführung des Mehrparteiensystems zu einer tribalen Zersplitterung der politischen Kräfte geführt hat. Es gibt aber durchaus Parteien, die eine ernsthafte, ethnische Grenzen überschreitende politische Arbeit betreiben. In den Führungspositionen finden sich vor allem Universitätsprofessoren, Anwälte und Führungskräfte aus Wirtschaft und Verwaltung. Die meisten von ihnen hatten im Laufe ihrer Karriere auch Führungspositionen in der MPR inne. Viele von ihnen sind ehemalige Minister, was bei der großen Anzahl von Regierungsumbildungen in Zaire nicht verwundern muß.

In der wichtigsten Oppositionspartei „Union pour da Démocratie et le Progrès Social“ (Union für Demokratie und sozialen Fortschritt — UDPS) teilt sich die Führungsaufgaben ein vierköpfiger Vorstand — unter ihnen der neue Premierminister Etienne Tshisekedi. Er gehört der Luba-Ethnie an, die in der südlichen Provinz Kasai beheimatet ist. Die „Baluba“, wie sie in Zaire genannt werden, stehen in dem Ruf, besonders stolz und gebildet zu sein. Das wird nicht immer positiv ausgelegt. Elitäres Bewußtsein und Arroganz wird ihnen manchmal von Mitgliedern anderer Ethnien vorgeworfen. Die UDPS hat sich jedoch erfolgreich bemüht, ethnisch übergreifende Strukturen aufzubauen. Die weiteren Vorstandsmitglieder der Partei, Kibassa Maliba, Lihao und Bwakien, sind alle in verschiedenen Landesteilen beheimatet.

Eine weitere entscheidende Triebkraft für den Demokratisierungsprozeß ist die Presse. Während bis zum April 1990 die staatliche Zensur und Repression lediglich Schonfärberei zuließ, schreiben inzwischen zahlreiche unabhängige Zeitungen offen über politische Skandale.

Die offizielle, regierungstreue Zeitung Salongo ist allmählich vom Markt verdrängt worden. Andere bereits bestehende Zeitungen sind allmählich auf Oppositionskurs umgeschwenkt — so etwa die Tageszeitung Elima. Jahrelang lobte das seit 18 Jahren erscheinende Blatt die Verdienste Mobutus in großen Lettern. Nach dem 12.Mai 1990, als bei einem brutalen Massaker an demonstrierenden Studenten in der Stadt Lubumbashi über 100 Menschen zu Tode kamen, kritisierte Elima das Regime immer deutlicher. Direktor Essolomwa, einst ein enger Verbündeter Mobutus, entwickelte sich zum erbitterten Regimegegner; auch durch eine längere Inhaftierung ließ er sich davon nicht abbringen.

Der Zeitungsmarkt in Zaire ist winzig. Mit 4.000 bis 6.000 Exemplaren in Kinshasa und weiteren 500 bis 1.000 im Landesinneren ist Elima die meistverkaufte Tageszeitung. Die wirtschaftliche Misere erlaubt es nur wenigen, umgerechnet 60 bis 80 Pfennig für eine Ausgabe aufzubringen. Außerdem gibt es besonders unter Frauen und der älteren Generation viele Analphabeten. So bilden sich um Straßenverkaufsstände große Menschentrauben. Verkäufer schreien die Titel in die Menge. Neuigkeiten finden somit eine starke Verbreitung — die Mundpropaganda funktioniert hervorragend.

Auch die Kirchen, besonders die katholische, spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle bei dem Wandel in Zaire. Wesentliche oppositionelle Gruppierungen berufen sich bei ihrem Ruf nach politischer und moralischer Erneuerung auf christliche Wertvorstellungen. Bereits im März 1990 übte die katholische Bischofskonferenz in einem „Memorandum über die politische Situation des Landes“ offene Kritik an Mißwirtschaft und Verschwendung. Viele Oppositionsparteien, auch die UDPS, beginnen ihre Zusammenkünfte häufig mit einem Gebet oder einem kurzen Gottesdienst.

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