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Prozeß um Rheinbacher Knastrevolte

Angeklagte und Verteidigung: Die Dachbesetzung 1990 kam der Anstaltsleitung gelegen  ■ Aus Bonn Hasso Suliak

Unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen wurde gestern vor der Dritten Großen Strafkammer des Bonner Landgerichts der mit Spannung erwartete Prozeß um die Rheinbacher Gefängnisrevolte eröffnet. Angeklagt sind der 33jährige Thomas S. und Günter F. (35). Beiden wird die Rädelsführerschaft an dem spektakulären Aufstand im Oktober 1990 vorgeworfen, bei dem zeitweise bis zu 120 Gefangene auf das Dach der Vollzugsanstalt geklettert waren. Die Revolte konnte damals nur mit Hilfe von Spezialeinheiten der Polizei unter Einsatz von Hubschraubern beendet werden.

Neben dem Tatbestand der versuchten beziehungsweise vollendeten Gefangenenmeuterei wird den beiden Angeklagten versuchte gefährliche Körperverletzung sowie Sachbeschädigung vorgeworfen. Zur Bekräftigung ihrer Forderungen, nämlich unter anderem nach Verbesserung der Haftbedingungen, sollen die Gefangenen ein Glasdach zerstört und mit Zementblöcken auf Justizbeamte geworfen haben, als diese mit einer Leiter anderen Gefangenen den Abstieg vom Anstaltsdach ermöglichen wollten.

Nachdem im Zuge der deutschen Wiedervereinigung im Oktober 1990 in den Gefängnissen in den neuen Bundesländern die Häftlinge mit Amnestieforderungen und Besetzungsaktionen auf ihre Situation aufmerksam machten, kam es auch in zahlreichen Westgefängnissen zu Protesten der Gefangenen. Besonders aktiv zeigten sich dabei die Gefangenen in der wegen ihrer katastrophalen Haftbedingungen verrufene JVA Rheinbach.

Die Rheinbacher Revolte vom 2.10.1990 scheint sich nach den Angaben der Verteidigung und der Angeklagten durch eine Besonderheit ausgezeichnet zu haben: die Anstaltsleitung soll von Anfang an von der geplanten Revolte gewußt haben, ja diese sogar gefordert haben. Anzeichen dafür gibt es genug: So erklärte ein Justizbeamter vor Gericht, man habe schon befürchtet, daß es wie in der Ex-DDR auch in Rheinbach zu Ausschreitungen kommen könnte. Vor diesem Hintergrund stellt es sich als um so dubioser dar, warum gerade am Tage der Meuterei erstmals in der Haftanstalt eine mit erheblichem Sicherheitsrisiko verbundene neue Dreistundenregelung ausprobiert wurde, die letztlich den Gefangenen das Besteigen des Daches erleichterte.

Fraglich ist auch, warum den Gefangenen angeblich die Gangtüren geöffnet wurden und, so jedenfalls Thomas S., „die Beamten passiv, aber höchst interessiert“ das Geschehen verfolgten. Nach Worten des Verteidigers Franz-Josef Krichel liegen dafür die Gründe klar auf der Hand. Die Anstalt wollte durch die Revolte auch auf ihre eigenen Interessen, nämlich desolate Personalverhältnisse, aufmerksam machen. Die Anklageschrift, so Krichel, solle dagegen den Eindruck erwecken, daß es sich bei den Häftlingen um einen gesetzlosen Haufen handele.

Der Prozeß, dem zahlreiche Vertreter der Dortmunder und Kölner Gefangeneninitiative beiwohnten, wird am Freitag fortgesetzt.

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