: Nach 9 Kindern und 24 Jahren Fabrik
■ Die amerikanische Bluesgitarristin Etta Baker (79) über ihre späte Berufung und die Musik der Träume / Bis Sonntag in Bremen
„Ich hatte einen späten Start“ erzählt die freundliche Mrs. Etta Baker mit sanfter Stimme und einem wunderschön langgezogenen Amerikanisch. Die 79 Lebensjahre sieht man ihr nicht an, und bei ihrem Konzert mittwochs in der Schauburg hatte sie noch kurz vor Mitternacht soviel Energie, daß sie offensichtlich gar nicht mehr aufhören wollte, Gitarre zu spielen. „A late start“ im Alter von 60 Jahren: Nachdem sie neun Kinder großgezogen und 24 Jahre lang in einer Textilfabrik gearbeitet hatte, machte sie noch Karriere als Musikerin „on the road“.
„Ich habe gewartet, bis meine Familie mich nicht mehr brauchte. 1973 sagte mir dann ein Besucher aus Portland, daß ich mit meinem Talent nicht jeden Tag acht Stunden lang die gleiche, harte Arbeit machen müsse. Am Mittwoch habe ich angefangen, darüber nachzudenken, und am Freitag war mein letzter Arbeitstag. Es ist, als wäre ich dann erst richtig aufgewacht.“
So erzählt sie: Der Wochentag, an dem vor 20 Jahren eine Entscheidung getroffen wurde, ist wichtig, auch woher der Besucher kam, oder der Titel des ersten Blues, den ihr Daddy ihr beibrachte („Carolina Break“, den sie dann am Abend auch spielte). Und mit derselben, behutsamen Genauigkeit und Würde spielt sie auch die Gitarre: Bluessongs, Traditionals („Die sind so alt, daß sie für die meisten Zuhörer ganz neu sind“) und eigene Stücke wer
Etta Baker: „Seit ich meinen Job gekündigt habe, bin ich glücklich“Foto: McIntyre
den bei ihr in virtuoser Fingerpicking-Technik zu sehr abwechslungsreichen und lebendigen Miniaturen.
Es ist ihr wichtig zu betonen,
hierhin bitte
die alte Dame
daß sie all das von ihrem „Daddy“ gelernt hat, der nach Feierabend oder am Wochenende auf sogenannten „dances“ den Blues und Countrymusik spielte. „Nach
dem Abendbrot habe ich später mit meinen Kindern auch jeden Tag Musik gemacht; ich habe die Songs auf der Gitarre gespielt, und sie haben gesungen. Deshalb
ist aus mir keine Sängerin geworden. Auch sonst mache ich jetzt fast das gleiche. Ich kann nur viel mehr Zeit dafür verwenden.“
Auch der Blues hat sich für sie im Laufe der Zeiten kaum geändert: „Heute spielen sie alles etwas schneller, das ist der einzige Unterschied. Es gibt immer noch den traurigen und den fröhlichen Blues, aber für mich ist auch im traurigen Blues Freude. Jemand in großen Schwierigkeiten hat ihn geschrieben, und wenn ich ihn höre, bin ich froh, daß ich nicht durch dieses Leid gehen muß.“
Etta Baker scheint ihre schwierigen Zeiten hinter sich gelassen zu haben, („Seit ich meinen Job gekündigt habe, bin ich glücklich“), und so kommen ihr die neuen Songs im Schlaf: „Ich träume oft Musik. Weil ich nicht sehr fest schlafe, wache ich nachts auf und notiere mir die Harmonien. Am Morgen brauche ich sie nur wie ein Kreuzworträtsel zu kombinieren, und ein neuer Song ist fertig.“
Seit Februar ist sie schon auf Tour, sie spielt auf Festivals, in Bars, Dancehalls und in Kirchen. In Bremen wurde sie bei ihrem ersten Auftritt enthusiastisch gefeiert, und der Kontrast zu Patty Griffin, einer fünfzig Jahre jüngeren Songwriterin, die nach ihr auftrat (und mit einer kraftvoll sensiblen Stimme sowie originellen Songs und Texten das Publikum ebenfalls begeisterte), war von den Veranstaltern des Festivals „women in (e)motion“ geschickt arrangiert. Etta Baker und Patty Griffin spielen heute und morgen nochmal um 22.45 Uhr in der Schauburg und am Sonntag um 21 Uhr im Vegesacker KITO. Willy Taub
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