piwik no script img

»Der da, der hat fotografiert« — und die Beamten griffen zu

■ Das Amtsgericht Tiergarten verhandelte gestern gegen zwei Pressefotografen wegen Hausfriedensbruch und Nötigung/ Verfahren eingestellt

Es ist der 12. April 1991. Zwei Fotojournalisten müssen Terminarbeit leisten. Sie wissen von einer Protestkundgebung gegen den Weddinger Sozialstadtrat Hans Nisblé (SPD) — Routine für freie Pressefotografen, eigentlich.

Kurz vor 11 Uhr erreichen sie das Rathaus Wedding. Eine kleine Gruppe von ungefähr 15 Menschen hat sich versammelt, um dem Sozialstadtrat auf den Zahn zu fühlen. Nisblé will 44 sowjetische Juden, die nach Israel ausgewandert und vor dem Golfkrieg nach Berlin geflohen waren, aus dem Wedding nach Lichtenberg abschieben. Nur wollen die das nicht, und ihre Unterstützer, die inzwischen im Rathaus auf dem Weg zu Hans Nisblé sind, fühlen sich an ganz andere Zeiten erinnert. Dann spielt sich das ab, was gestern vor dem Amtsgericht Tiergarten im Prozeß gegen die Fotografen Wolfgang C. und Ingo H. verhandelt wurde. »Hausfriedensbruch und Nötigung« lautete die Anklage.

Der kleine Protestmarsch im Weddinger Rathaus endet im Vorzimmer von Nisblé, der seine ungeladenen Gäste wieder vor die Tür bittet. Die gehen nicht, es gibt laute Wortgefechte, und die Fotografen knipsen das Theater. Die Vorzimmer-Besetzer beschimpfen Nisblé als »Rassisten und Schreibtischtäter«, und der sagte gestern vor Gericht, er habe nicht den Eindruck gehabt, daß ein Dialog mit ihm geführt werden sollte. Bittere Stunden im Leben eines Kommunalpolitikers, aber auch das ist nichts Besonderes für Fotojournalisten. Nach 15 Minuten löst sich die »angespannte Situation« auf. Es scheint, als würden alle nach Hause gehen, und das tun sie auch, bis auf die beiden Fotografen. Die werden vor dem Rathaus von der Polizei verhaftet — erst Wolgang C., der für die taz unterwegs ist. Ein Angestellter habe auf ihn gedeutet: »Der da, der hat fotografiert«, und die Beamten griffen zu. Sie verfrachten ihn in das Polizeifahrzeug, Wolfgang C. ist jetzt ein bißchen verzweifelt. Er drückt seinen Presseausweis gegen die Scheibe. Das sieht der Kollege Ingo H. und macht ein Foto, eines zuviel an diesem Tag. Auch er wird verhaftet.

Der Richter schleppte sich gestern offensichtlich gequält durch die Zeugenvernehmung. Langsam dämmerte es allen, daß hier aus der Mücke der berühmte Elefant gemacht wurde. Der Staatsanwalt wurde zusehends schweigsamer — vielleicht dachte er an die Steuergelder, die unnütz flötengingen. Und Hans Nisblé sagte, wenn er gewußt hätte, daß es sich um Fotoreporter gehandelt hätte, wäre ihm das auch nicht mehr so unangenehm gewesen.

Das Verfahren wurde eingestellt. Die Landeskasse trägt die Kosten des Verfahrens und fünfzig Prozent der Auslagen der Angeklagten. Und Landeskasse ist gleich Steuerzahler. Ralf Knüfer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen