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„Denkt bitte nach und schweigt nicht!“

Heute vor genau 24 Jahren: Staatsfeindliche Aktionen von DDRlern gegen den Einmarsch der Sowjets am 21.August 1968 in die Tschechoslowakei  ■ Von Margit Miosga

Der Sprecher des tschechoslowakischen Rundfunks verabschiedet sich von seinen Hörern. Seine Stimme ist belegt: „Ab heute werden weitere Erklärungen nicht mehr aus unserem Mund kommen. Der tschechoslowakische Rundfunk beendet seine Sendungen. Es lebe die Freiheit!“ Dem Appell folgt die Nationalhymne.

Das war am 21.August 1968. Damals, vor 25 Jahren, hatten sowjetische Einheiten den Prager Flughafen besetzt. Die Panzer der polnischen, ungarischen, bulgarischen Volksrepubliken und der Nationalen Volksarmee der DDR waren in das kleine Land eingerollt und bereiteten dem „Prager Frühling“ ein Ende.

In der DDR galt die Tschechoslowakei als ein Ort der Hoffnung für das eigene Land. Studenten etwa fuhren, so oft es ging, nach Prag. Die Stimmung dort war offen, an jeder Ecke wurde diskutiert, und viele wünschten, der Funke der Tschechen möge in die muffig-geduckte DDR überspringen.

Der Truppeneinmarsch schlug in der DDR ein wie eine Bombe. Spontan demonstrierten die Menschen in mehreren Städten. In Eisenach gingen zwischen 3.000 und 4.000 Jugendliche auf die Straße; die Polizei griff nicht ein, in Gotha und Ruhla kam es zu Unruhen. Südlich von Dresden hing auf einer Brandwand das Plakat „Iwan go home“, bei Henningsdorf hatte jemand über die Autobahn ein Bettlaken mit der Aufschrift „Freiheit für Dubcek“ gespannt. In der tschechoslowakischen Botschaft in Berlin trugen sich über 1.000 Menschen mit vollem Namen und Adresse in ein Kondolenzbuch ein, das von Botschaftsangehörigen ausgelegt worden war. Blumen wurden abgegeben, Verwandte von NVA-Soldaten riefen an, um sich für ihre Söhne, Brüder oder Männer zu entschuldigen. Auf einem Empfang in der rumänischen Botschaft sollen sogar Mitglieder des DDR-Apparates den tschechischen Diplomaten ihre Sympathie ausgedrückt haben. In Halle verfaßte der Ökonom Bernd Eisenfeld ein Flugblatt, den Text entnahm er Lenins „Dekret des Friedens“. Sein einziger eigener Satz auf dem Flugblatt war: „Denkt bitte nach — schweigt nicht!“ Er schrieb keinen Hinweis auf die Tschechoslowakei, jeder aber wußte Bescheid. „Ich habe versucht, mich so zu verhalten, daß man mir nicht an die Krawatte kann. Daß ich mit Schreibmaschine vervielfältigte bedeutete auch, daß ich die 150 Flugblätter offiziell verteilte, weil ich darin keine strafbare Handlung sah. Das Verteilen eines Leninzitates war ja nicht verboten.

Am ersten Tag verteilte ich sie vor dem ,Theater der Freundschaft‘. Ich erinnere mich: da wurden gerade ,Die Räuber‘ gespielt. Ich stand also vor diesem Theater, und die Leute strömten raus, und ich verteilte. Manche riefen ,Na endlich!‘. Am anderen Tag habe ich es nochmal versucht, vor einem Kino. Dort wurde ich festgenommen.“

In der DDR-Zeitschrift Neue Justiz veröffentlichten Oberst Günter Sarge, Mitglied des Präsidiums des Obersten Gerichts und Vorsitzender des Kollegiums für Militärstrafsachen, und Oberrichter Fritz Mühlenberg vom Präsidium des Obersten Gerichts einen unmißverständlichen Grundsatzartikel: „Es ist erste Klassenpflicht jedes Richters und Staatsanwaltes, die Formen und Methoden der ideologischen Diversion rechtzeitig aufzudecken und zu vereiteln, Menschen, die sich für diese verbrecherischen Ziele einspannen lassen, konsequent und differenziert entsprechend den objektiven und subjektiven Umständen der Tat zu bestrafen, durch energische Maßnahmen gegen Asozialität, amoralische, dekadente Lebensweise usw. jedem Agenten und Mittler der ideologischen Diversion den Boden für seine Umtriebe zu entziehen.“ Günter Sarge lebt heute als Anwalt in Berlin, ebenso der damals verantwortliche Justizminister Kurt Wünsche.

Nach einem halben Jahr wurde Bernd Eisenfeld in Halle von einem Gericht auf 30 Monate verurteilt. Begründung: „Staatsfeindliche Hetze, in einer besonders raffinierten Art und Weise umgesetzt.“

Den Fall eines bekannten Regisseurs an der Berliner Komischen Oper konnte man in westlichen Zeitungen nachlesen. Für Horst Bonnet, SED-Mitglied aus einer traditionell linken Familie, war der Einmarsch besonders bitter: „Um der Wahrheit die Ehre zu geben: meine Frau war in diesen Tagen noch viel aktiver, sie war Ärztin im Klinikum Buch. Man kennt ja diese Ohnmacht, die einen so überfällt, wenn man nicht weiß, was man anstellen soll. Und da ich auch gar nicht gegen etwas polemisieren wollte, bestand unsere Tat in nichts anderem als in einem Satz der Sympathie für Dubcek. Wir hinterlegten Flugblätter am Alexanderplatz, beim Zeitungskiosk, in Hausfluren. Wir sind dabei in flagranti überrascht worden. Was das Ganze so grotesk machte: Dubcek war bis zum Januar 1969 im Amt. Wir sind für einen Satz der Sympathie für einen amtierenden Sekretär der Kommunistischen Partei verurteilt worden!“

Horst Bonnet wurde zu zweieinhalb Jahren verurteilt, seine Frau zu zwei. In der Zwischenzeit waren die Truppen der „Freunde“ teilweise aus der Tschechoslowakei zurückgezogen worden. Im November 1968 wurden die in Dresden stationierten sowjetischen Einheiten in ihren Kasernen erwartet. Die Bezirksleitung der SED ließ sich in der Sächsischen Zeitung dazu hinreißen, einen Sprechtext zu veröffentlichen, den die Bevölkerung zur Begrüßung skandieren sollte: „Drushba Drushba Drushba — Mir/ Freunde seid willkommen hier/ allen aggressiven Herrn/ leuchtet heim der rote Stern/ Jeder Panzer eine Faust/ die in Bonner Pläne saust.“ Horst Bonnet wurde nach 13 Monaten Gefängnis entlassen, die Peinlichkeit war zu groß geworden. Aus der internationalen Musik- und Theaterszene waren Anfragen gestellt worden. Andere Inhaftierte wurden von der Bundesregierung freigekauft. Unbekannte wie Bernd Eisenfeld mußten ihre Zeit voll absitzen.

„Ich habe im Gefängnis das erste Mal überhaupt erfahren, daß es einen Freikauf politischer Häftlinge gab, habe das aufgegriffen und mit meiner Familie versucht, diesen Weg zu beschreiten. Wir haben den Anwalt Vogel einschalten lassen, und ich bekam dann immer mal wieder Bescheid, daß sich was bewegt. Ich ging dann regelmäßig auf Transport und landete regelmäßig wieder in Bautzen.“

Im Herbst 1968 gab es nur ein Verfahren, das wirklich Furore machte und über das sogar die Presse in der DDR berichtete. Bis zur New York Times interessierte man sich für die angeklagten Töchter und Söhne prominenter Funktionäre. Die Schülerinnen und Schüler hatten entweder „Dubcek“ an die Hauswände geschrieben oder Flugblätter verteilt. Vom 21. bis 28. Oktober standen sie vor dem Berliner Stadtgericht. Angeklagt waren Thomas Brasch, Sohn des Stellvertretenden Kulturministers, der in Folge der Verurteilung seines Sohnes abgelöst wurde. Erika Berthold, die Tochter des Direktors des Instituts für Marxismus/Leninismus beim SED-Zentralkomitee. Lothar Berthold verlor noch im selben Jahr seinen Posten. Außerdem Rosita Hunzinger, die Tochter einer bekannten Bildhauerin, Sandra Weigel, eine Nichte von Helene Weigel, Hans-Jürgen Urkoreit, Sohn des Dresdener Musikhochschuldirektors und die beiden Havemann- Söhne Frank und Florian, letzterer war damals erst 16 Jahre alt.

Das Neue Deutschland berichtete am 29.Oktober anläßlich der Urteilsverkündung: „In ihren Plädoyers wiesen die Vertreter der Anklage darauf hin, daß die Angeklagten durch ihre staatsfeindlichen Handlungen der aggressiven und revanchistischen Politik des westdeutschen Imperialismus offen Schützenhilfe leisteten. Dabei verwundert es nicht zu hören, daß die Angeklagten ihre Straftaten unter dem feindlichen Einfluß westlicher Propagandazentralen, Rundfunk- und Fernsehsender verübten, die mit immer raffinierteren Mitteln und Methoden den psychologischen Krieg gegen die DDR führen. Zu ihrer gegen die sozialistische Ordnung in der DDR gerichteten Haltung wurden die Angeklagten von Robert Havemann und Wolf Biermann systematisch inspiriert.“

Die Urteile reichen von zwei Jahren, drei Monaten für Hunzinger und Brasch bis zu sogenannten „erzieherischen Maßnahmen“ bei Florian Havemann. Noch im November 1968 wurden alle auf Bewährung freigelassen, da sie, wie dieBerliner Zeitung schrieb, „reuevolle Einsicht zeigten“.

Für Bernd Eisenfeld gab es keine Begnadigung. „Eigentlich habe ich ein sehr ambivalentes Verhältnis zu dieser Amnestie. Man hat in der Haft erfahren, daß da was im Gange ist, und das hat natürlich bei vielen Hoffnungen erweckt. Im nachhinein hat sich dann herausgestellt, daß das eine Show-Amnestie für die internationale Öffentlichkeit war. Mit dieser Amnestie für die Prominentenkinder war das Thema Inhaftierungen im Zusammenhang mit dem Einmarsch in die Tschechoslowakei aus dem öffentlichen Verkehr gezogen. Und das hat mich schon schockiert.“

Horst Bonnet brauchte Jahre, bis er beruflich wieder Fuß fassen konnte.

1972 wurde Bonnet zum Filmfestival nach Karlsbad eingeladen. Der Portier überreichte ihm damals bei der Ankunft einen Zettel mit einer Einladung am nächsten Abend um 23Uhr. Neugierig ging er in das angegebene Zimmer: „Das war dichtgedrängt voller Mennschen an einer kleinen, improvisierten Tafel, lauter tschechische Kulturschaffende. Die hatten das für mich arrangiert, um sich dafür zu bedanken, daß ich ihretwegen im Knast gesessen hatte.“

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