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Ost-Politiker im Geheimdienst-Visier

Verfassungsschutz-Ämter sammeln Informationen über Politiker in den fünf neuen Bundesländern  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Bei Befragungen von ehemaligen Stasi-Mitarbeitern sammeln das Bundesamt und die Landesämter für Verfassungsschutz bereits seit Jahren auch Informationen über Beziehungen von Politikern aus den neuen Bundesländern zur ehemaligen Staatssicherheit der DDR. Dies bestätigte gestern der Leiter des niedersächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Hansjürgen Knoche, gegenüber der taz.

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Eckarth Werthebach, betonte demgegenüber gestern auf einer Pressekonferenz in Köln, daß der Verfassungsschutz „für IM-Ost“ nicht zuständig sei. Auf die neuen Hinweise auf angebliche Stasi-Kontakte von west- und ostdeutschen Politikern wollte Werthebach nicht näher eingehen.

Nach Darstellung des niedersächsischen Verfassungsschutz-Chefs sind bereits seit 1989 in den zahlreichen Befragungen von Stasi-Überläufern beziehungsweise ehemaligen Stasi-Mitarbeitern auch immer wieder Informationen über Stasi- Kontakte von Politikern der ehemaligen DDR oder der neuen Bundesländer angefallen. Über den Umgang mit diesen Informationen sei auf mehreren Tagungen der Leiter der Verfassungsschutzämter gesprochen worden, sagte Knoche. Dabei sei man übereingekommen, daß in diesen Fällen zumindest zu prüfen sei, ob sich die IM-Tätigkeit der jeweiligen Politiker gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet habe und insofern als strafbare Spionage anzusehen sei. Deswegen hätten die Bundesländer, die in Amtshilfe für das überlastete Bundesamt die Ex- Stasi-Mitarbeiter befragen würden, auch alle Informationen über Stasi- Kontakte von Politikern der neuen Länder zur Auswertung an das Bundesamt weitergeleitet.

Nach Darstellung Knoches wurden die entsprechenden Unterlagen allerdings auch dann im Bundesamt nicht vernichtet, wenn sich ein Spionageverdacht nicht bestätigte. Die entsprechenden Vernehmungsprotokolle seien auch zum Schutz der Betroffenen vor ungerechtfertigten Anschuldigungen aufbewahrt worden, erklärte der niedersächsische Verfassungsschutz-Chef.

Knoche wollte gestern weder bestätigen noch dementieren, daß sich auch Lothar de Maizière und der ehemalige thüringische Ministerpräsident Josef Duchac zu jenen fünf Politikern aus den neuen Ländern gehören, über die der niedersächsische Verfassungsschutz Hinweise auf eine ehemalige Stasi-Tätigkeit erhalten hat. Er gab jedoch zu, daß seine Behörde bei vier Politikern, zu denen auch der sachsen-anhaltinische Umweltminister Wolgang Rauls gehörte, Informationen von ehemaligen Stasi-Mitarbeitern an das Bundesamt weitergegeben hat, die die Befragten selbst nur von Dritten gehört hatten. In all diesen Fällen seien die Informationen bereits im vergangenen Jahr weitergegeben worden. Nur in einem weiteren, noch nicht so lange zurückliegenden Fall habe ein Stasi-Mitarbeiter aus eigener Kenntnis über eine IM-Tätigkeit eines Politikers aus den neuen Ländern berichtet. Zu den Spekulationen, wonach sein Amt auch über Stasi-Verbindungen des verstorbenen Politikers Uwe Barschel Hinweise erhalten habe, wollte Knoche sich nicht äußern.

Der niedersächsische Verfassungsschutz-Chef bedauerte gestern, daß die Gauck-Behörde nur für Unterlagen der ehemaligen Staatssicherheit zuständig sei und nicht auch für Aussagen von ehemaligen Stasi- Mitarbeitern über IM-Vorwürfe.

Knoche zeigte sich verwundert darüber, daß Leiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz offensichtlich nur den sachsen-anhaltinischen Ministerpräsidenten und nicht Wolfgang Rauls selbst über jene IM-Vorwürfe aus zweiter Hand informiert hat, die in Niedersachsen angefallen sind.

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