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INTERVIEWNicht auf Koalitionspartner schielen

■ Carola von Braun sieht die FDP vor einem Umbruch/ Bundes-FDP bietet »hilfloses Bild«

Die Berliner FDP-Vorsitzende Carola von Braun wird in ihrer Partei zur Zeit heftig befehdet. Kritiker vom rechten Flügel werfen ihr Führungsschwäche vor. Für Zündstoff sorgt zudem ein Thesenpapier, das sie mit anderen Bundespolitikern des linken Flügels verfaßte, in dem die soziale Komponente der Marktwirtschaft betont wird. Der Bundesvorsitzende Otto Graf Lambsdorff hat darauf Ende letzter Woche mit einem Gegenpapier geantwortet. Die taz sprach mit Frau von Braun über Zustand und Perspektive der Liberalen.

taz: Frau von Braun, ein prominentes Mitglied Ihrer Partei hat jüngst die bittere Feststellung getroffen, keiner wisse, weshalb es die FDP noch gibt. Wissen Sie es?

Carola von Braun: Auf die Liberalen kommen in den neunziger Jahren gerade in den neuen Bundesländern enorme Aufgaben zu. Die Zeit der Ideologien ist vorbei, um so wichtiger ist es, wieder an Grundwerte zu erinnern. Tatsache ist, daß wir auf Bundesebene ein ziemlich hilfloses Bild bieten, und das hat Rückwirkungen in den Berliner Landesverband hinein. Darüber hinaus muß der Landesverband jedoch selber jetzt den Mut zu einer Streitphase aufbringen und einige Themen entwickeln. Ich werde dazu einige Vorschläge machen. Entscheidend ist dabei, daß wir diesen Streit in einem Stil führen, der nicht Menschen beschädigt.

Wodurch ist dieses hilflose Bild der Bundes-FDP gekennzeichnet?

Die großen Volksparteien werden zukünftig eher bei 30 denn bei 40 Prozent Wählerstimmen liegen. Dadurch werden sich in dem Spektrum möglicher Regierungskonstellationen erhebliche Veränderungen ergeben. Das hat auch Konsequenzen für die Liberalen. Wir müssen uns lösen von dem ständigen Schielen nach einem Koalitionspartner, wir müssen Programme entwickeln, die aus sich selbst heraus überzeugend genug sind. Wir müssen hin zu einer Bereitschaft zu pointierten, vielleicht auch etwas einseitigen Positionen. Diese Bereitschaft ist bislang weder auf Bundesebene noch auf der Ebene des Landesverbandes zu erkennen.

Sie haben zusammen mit anderen ein sozialliberales Grundsatzpapier vorgelegt, Graf Lambsdorff hat daraufhin eine streng marktwirtschaftlich geprägte Gegenposition eingenommen. Steht die FDP vor einer Richtungsentscheidung?

Die FDP steht mitten in einer heftigen Diskussion, und ein großer Teil der Partei hat das Bedürfnis nach Neuorientierung. Was sind die Aufgaben der Liberalen in einer Marktwirtschaft, in der die soziale Kontrolle nicht mehr so gut funktioniert? Immer mehr Parteifreunde finden, daß die Antworten, die wir auf diese Frage bisher gefunden haben, nicht ausreichen.

Die FDP in Berlin hat nach der Vereinigung 7.500 Mitglieder gehabt. Diese Zahl ist mittlerweile auf 4.700 abgesackt: Sind die Mitglieder im Osten von einer westlich geprägten FDP enttäuscht?

Unser Bundesprofil macht unseren Parteifreunden in den Ostberliner Bezirken zu schaffen. Der Rückgang der Mitgliederzahlen war allerdings zum Teil auch vorhersehbar, denn das Motiv für einen Parteieintritt war vor '89 ein anderes als danach. Wir sind aber am Ende der Talfahrt angekommen.

Sie haben eine neue politische Kursbestimmung für die FDP gefordert. Können Sie einige Koordinaten dieses neuen Kurses benennen?

Ich bin immer dafür eingetreten, beide Flügel der Partei zu integrieren, und so war bislang meine Politik. Jetzt gibt es offensichtlich einige Parteifreunde, die meinen, daß wir wieder zurückmüssen in die alten Auseinandersetzungen. Die kann ich nur davor warnen, das wird die Partei nicht aushalten. Einige Themen werden wir jetzt innerparteilich ausstreiten müssen. Das wird möglicherweise eine heftige Phase werden, entscheidend wird der Stil sein.

Ihr Stellvertreter Günter Rexrodt hat bereits vor einem sozialliberalen Kurs gewarnt.

Günter Rexrodt ist ein ausgewiesener Wirtschaftspolitiker, mir sind die gesellschaftspolitischen Themen wichtig. Damit beide Positionen in der Spitze der FDP vertreten sind, habe ich Rexrodt zum Stellvertreter vorgeschlagen. Diese Repräsentanz wollte auch die Partei.

Lassen sich auf Dauer beide Positionen in einer Partei vereinen?

Da haben die Liberalen eine lange Tradition. Die Phasen solcher Debatten waren immer befruchtend und haben der Partei letztlich genutzt. Die FDP ist gut beraten, sich jetzt sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene in eine solche Umbruchphase hineinzubegeben.

Nun gibt es dabei Positionen, die in der Sache nicht vereinbar sind.

Dann müssen Mehrheiten gefunden werden.

Wann wird diese jetzt anstehende Grundsatzdebatte erste Ergebnisse zeitigen?

Ich werde dem Landesvorstand als ersten Schritt vorschlagen, eine Perspektivkommission einzusetzen, die für den Landesparteitag im kommenden Jahr ein Strategiepapier zu den Chancen der Liberalen entwirft.

Mit welchem Profil soll die FDP dann antreten?

In drei Stichworten zusammengefaßt: Investitionen in den Ostberliner Bezirken müssen Vorrang haben, Vorrang von Ausgaben in den Bereichen Bildung und Kultur, und drittens muß alles, was die Erwerbstätigkeit von Frauen aufrechterhält, weiter gefördert werden.

Das Salär von gut 200.000 Mark, das Sie als Fraktionsvorsitzende beziehen, hat in der Partei für Unmut gesorgt. Werden Sie jetzt Lohnverzicht üben?

Ich bleibe dabei, daß die parlamentarische Arbeit nicht weniger wert sein darf, als die derjenigen, die wir zu kontrollieren haben.

Werden Sie Ihre Partei in den Wahlkampf für das nächste Abgeordnetenhaus führen?

Das hab' ich vor, ich werde dafür kandidieren. Interview: Dieter Rulff

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