Transrapid: Totentanz der Toptechnik

Kabinett und Thyssen suchen nach gesichtswahrendem Ausstieg aus der teuren Sackgassentechnologie  ■ Aus Hamburg Florian Marten

In Bonn wird derzeit ein Lehrstück deutscher Verkehrs-, Wirtschafts- und Technologiepolitik aufgeführt. Das Objekt, um das sich alles dreht, ist ein milliardenschweres Stück High-Tech — die Magnetschnellbahn Transrapid. Rund 1,6 Milliarden Mark wurden bislang in das kostspielige Prestigeprojekt gepumpt. Im Herbst muß das Bundeskabinett entscheiden, ob weitere 10 Milliarden folgen werden, um den Hochgeschwindigkeitszug über die geplante Referenzstrecke Hamburg-Berlin serienreif zu machen.

Doch selbst die Experten winken ab. „Die Magnetschnellbahn Transrapid ist noch nicht marktreif“, lautet das Fazit des wissenschaftlichen Beirates im Bundesverkehrsministerium. Auf seiner Versuchsstrecke im Emsland ist der Zug von allerlei technischen Zipperlein geplagt. Nicht zuletzt deshalb verlangte das technikfreundliche Gremium einen Ausstieg aus dem Projekt. Die 26 Professoren ließen in ihrem Gutachten vom Juni kein gutes Haar an dem Transrapid. Er berge viele technische und betriebliche Risiken, mache verkehrspolitisch gegenwärtig keinen Sinn und sei aller Voraussicht nach nicht wirtschaftlich. Für dauerhafte Arbeitsplätze in den neuen Bundesländern werde er ohnehin nicht sorgen.

Die vielleicht vernichtendste Aussage des Gutachtens: Der Transrapid sei schlicht überflüssig. Sein einziger Vorteil, die Geschwindigkeit von bis zu 500 Kilometern pro Stunde, werde heute auch von der konventionellen Rad-Schiene-Technik erreicht.

Als die Transrapid-Förderung in den 70er Jahren aufgenommen wurde, hielt man die Bahntechnik bereits für ausgereizt. Doch selbst Japan — die Nummer eins im Magnetschnellbahnbau — setzt mittlerweile auf die Bahn: Dort wird die Strecke Tokio-Osaka für den Schnellzug Shinkansen für eine Geschwindigkeit von 350 Stundenkilometern ausgelegt, dem japanischen Magnetflitzer Maglev die gewünschte Referenzstrecke Tokio-Osaka hingegen verweigert. Und Europa, so stellen die Wissenschaftler trocken fest, habe sich ebenfalls eindeutig auf Rad und Schiene festgelegt.

Scheinbar unbeirrt von derlei Kinkerlitzchen gibt sich das Minstertrio Günther Krause (Verkehr), Heinz Riesenhuber (Forschung) und Jürgen Möllemann (Wirtschaft). Möllemann mit gewohnter Klarsicht: „Wir brauchen die Magnetschnellbahn als Magnet für die Industrieansiedlung in den neuen Ländern.“ Riesenhuber hat das raupenähnliche High-Tech- Baby bislang gefüttert, und Krause mag alles, was flitzt, vor allem wenn es durch seine Heimat Mecklenburg- Vorpommern donnert. Krause hielt das Gutachten deshalb unter Verschluß. Nachdem die wütenden Wissenschaftler es in der Zeitschrift für Internationales Verkehrswesen abdruckten, konstatierte er einen „Dissens zwischen Verkehrswissenschaft und Verkehrspolitik“ und boxte die Strecke Hamburg-Berlin ungerührt in den Bundesverkehrswegeplan.

Weit nüchterner die CSU. Hielt schon ihr früherer Verkehrsminister Friedrich Zimmermann den Transrapid für einen „Schmarrn“, so beweist Finanzminister Theo Waigel heute Standfestigkeit: Nur wenn die Industrie ihr Spielzeug zum allergrößten Teil selbst bezahlt, sei an weitere Realisierungsschritte zu denken.

Doch davon will Systemführer Thyssen Henschel nichts wissen. Bislang spendierte der Staat die Entwicklungskosten. Nachdem im Januar das Bundesbahnzentralamt dem Transrapid die „technische Einsatzreife“ bescheinigte, ist die schöne Zeit der staatlichen Vollalimentierung allerdings vorbei. Thyssen- Chef Eckhard Rohkamm hat deshalb unmißverständlich erklärt, man werde nur dann am Transrapid festhalten, wenn sich „die Chance bietet, eines Tages auch mit dem Produkt Geld zu verdienen“. „Sonst“, so Rohkamm, „werden wir diese Technologie verkaufen.“

Verdienen läßt sich aber nur, wenn der Staat den Bau einer Betriebsstrecke finanziert. Der Beirat wies warnend darauf hin: „Es kann nicht Sinn öffentlicher Förderung sein, auch die weitere Systementwicklung und Vermarktung dieses Industrieproduktes zu subventionieren.“ Um genau das doch noch zu erreichen, gründet Thyssen dieser Tage die bisherige Tochter Magnetschnellbahn AG in Kassel neu. Als Partner kommen Siemens, die Daimler-Tochter AEG und „einige Großbanken“ an Bord. Offiziell heißt das Bubenstück „private Teilfinanzierung“. Der Staat soll für alle Projektrisiken bürgen, und die Banken bieten an, einen guten Teil der Finanzierung privat vorzustrecken. Nach Auffassung des Beirates wird bei diesem „Konzessionsmodell die Gesamtbelastung der öffentlichen Haushalte noch vergrößert“.

Damit Waigel das nicht merkt, arbeitet die Magnetschnellbahn AG „in Gründung“ derzeit unter Hochdruck an ihren Hausaufgaben. Aus einer Fülle von Detailgutachten über Streckenvarianten, die zum Teil immer noch nicht vorliegen, muß sie bis zur Entscheidung des Bundeskabinetts eine aussagekräftige Projektstudie basteln. „Der Zeitplan ist ehrgeizig“, räumt ein Thyssen-Sprecher ein. „Aber wir sind sind optimistisch.“

Doch angesichts der schlechten Aussichten geriet Winfried Haastert, Vorstandsvorsitzender von Thyssen Henschel, in Rage: „Wäre der Wissenschaftliche Beirat letztes Jahrhundert für die Begutachtung der Eisenbahn zuständig gewesen, dann würden wir heute noch mit der Postkutsche durch die Lande dümpeln.“ Aber ihn nervt nicht allein das vernichtende Urteil der Experten. „Wir waren ja nie so begeistert“, verrät Alexander Kaczmarek, Sprecher des Berliner Verkehrsministeriums. „Das Gutachten hat uns nicht überrascht. Unsere Bedenken wurden bestätigt.“ Auch Volker Liepelt, Verkehrsexperte der Berliner CDU- Fraktion, geht auf Distanz zu seinem Parteigenossen Krause: „Es ist ein Geschenk, mit dem wir noch nichts anzufangen wissen.“ Weder in Berlin noch in Hamburg wird gegenwärtig am Transrapid-Projekt gearbeitet. Die beiden Stadtstaaten kleideten ihr „Nein danke“ in die Form unerfüllbarer Bedingungen: Wenn der Transrapid nichts koste, die Bundesbahnverbindung Hamburg-Berlin nicht gefährdet und eine stadtverträgliche Lösung für Einfahrstrecken und Bahnhöfe gefunden werde, dann ließe sich über das Projekt durchaus reden.

Bei Thyssen und im Bundesverkehrsministerium weiß man denn auch, was die Stunde geschlagen hat. Ein von den Experten zerissenes, unbezahlbares und von den Ländern nicht gewolltes Projekt - das schafft selbst diese Bundesregierung nicht. Hinter den Kulissen wird deshalb um einen gesichtswahrenden Ausstieg gefeilscht, der zumindest die Option auf ein Irgendwann und Irgendwie offenhält.