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Kronzeugin ohne Verrat

■ Inge Viett entgeht der lebenslangen Haft und rettet ihre politische Biographie

Kronzeugin ohne Verrat Inge Viett entgeht der lebenslangen Haft und rettet ihre politische Biographie

Dreizehn Jahre Haft für eine Frau, die seit zehn Jahren nachweislich „resozialisiert“ ist: Kein Zweifel, das Koblenzer Urteil gegen Inge Viett ist hart. Und doch bedeutet es einen Erfolg für die Verteidigung, eine Ohrfeige für die Bundesanwaltschaft und eine kaum erwartete Demonstration der Unabhängigkeit des Gerichts.

Die Karlsruher Ankläger hatten sich vor Prozeßbeginn auf die Höchststrafe lebenslang festgelegt und wichen bis zum letzten Verhandlungstag keine Sekunde von ihrer vorgefaßten Linie ab. Die Angeklagte sollte offensichtlich dafür büßen, daß sie aus ihrer Vergangenheit einen weniger systemkonformen Ausweg suchte als die Mehrzahl der in der DDR untergetauchten RAF-Aussteiger.

Zwar lehnt die Guerillera der ersten Stunde,

genau wie ihre Ex-Genossen, den Weg des individuellen Terrors in der luxurierenden Metropolengesellschaft unmißverständlich ab. Nicht seit gestern, sondern seit ihrer Übersiedlung in die DDR. Gleichzeitig aber hält sie am Ziel einer sozialistischen Gesellschaftsordnung fest — und damit am Kern ihrer politischen Biographie. Die Bundesanwaltschaft konstatierte eine „nachwirkende Solidarität“ mit der RAF. Und sie wollte die Angeklagte exakt so verurteilt wissen, als sei sie im Jahr 1992 als mordlüsterne Frau mit rauchendem Colt, noch über ihr Opfer gebeugt, überwältigt worden.

Die Verteidigung hat den Koblenzer Richtern mehrere Pfade aufgezeigt, die Höchststrafe zu umgehen, ohne dem Recht unrecht zu tun. So blieben erhebliche Zweifel, ob Inge Viett sich bei dem folgenschweren Zusammentreffen mit dem Pariser Polizisten wirklich den Fluchtweg „rücksichtslos freischießen“ wollte. Die Tötungsabsicht, vom Gericht nun bedingt bestätigt, war jedenfalls elf Jahre nach dem fatalen Schuß nicht mehr zweifelsfrei nachzuweisen. Ohne sie wäre aber möglicherweise, aus Gründen der Verjährung, nur der Freispruch geblieben. Die Richter retteten sich aus dem Dilemma der Extreme — lebenslang oder Freispruch — noch einmal mit dem Notbehelf der Kronzeugenregelung. Diese Entscheidung gehört zu den überraschenden Aspekten des Urteilsspruchs. Denn die Angeklagte hatte eine schwierige Gratwanderung versucht: Sie wollte Kronzeugin sein, ohne ehemalige Genossen zusätzlich zu belasten. Der Versuch kann als geglückt gelten.

Mit dem gestrigen Urteil sind die Verfahren gegen die DDR-Heimkehrer aus der RAF abgeschlossen. Die umstrittene Kronzeugenregelung hat für eine Tätergruppe, von deren Existenz im ganz nahen Osten der Gesetzgeber bei der Verabschiedung nicht mal wußte, eine durchaus segensreiche Funktion erfüllt. Nun sollte sie, wie es die Bonner Justizministerin plant, schleunigst dort landen, wo sie eigentlich hingehört: auf dem Müllhaufen der Rechtsgeschichte. Gerd Rosenkranz

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