: Biedermann, Brandstifter
■ Marmor, Stein und Eisen bricht, nur Minister Kupfer nicht. Auch die FDP, Koalitionspartner in Mecklenburg, scheint sich mit der Fortsetzung von Innenminister Kupfers Karriere abzufinden.
Biedermann, Brandstifter Marmor, Stein und Eisen bricht, nur Minister Kupfer nicht. Auch die FDP, Koalitionspartner in Mecklenburg, scheint sich mit der Fortsetzung von Innenminister Kupfers Karriere abzufinden.
Personelle Konsequenzen sind unumgänglich,“ so die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende im Mecklenburger Landtag, Stefanie Wolf. Heißt das, Innenminister Lothar Kupfer muß zurücktreten? Die gebürtige Rostockerin schluckt, lächelt schief und holt tief Luft. „Wir werden den Rücktritt nicht öffentlich fordern.“
Bei der Koalitionssitzung hinter geschlossenen Türen am Dienstag abend aber dürfte es deutlicher zugegangen sein. Die 30 CDUler, die sich demonstrativ hinter den angegriffenen Minister stellten, reagierten verärgert auf den Antrag des kleinen Koalitionspartners, einen Untersuchungsausschuß über die Rostocker Ereignisse einzurichten; dafür sind immerhin 17 Stimmen und damit eine Kooperation mit der SPD-Opposition notwendig.
„Völlig überzogen“, kommentiert Georg Diederich, der bis zur Regierungsumbildung im März selbst auf dem Innenministerstuhl gesessen hatte und dem es sichtlich schwerfällt, seinem Nachfolger Rückendeckung zu geben. Aber er hält sich an die offensichtliche Absprache, nach den Wirren im Frühjahr nicht schon wieder das Bild einer zerrütteten Fraktion zu bieten. Und auch die FDP macht deutlich, daß sie die Regierung auf keinen Fall gefährden will. „Wir stehen zur Koalition. Nur in dieser einen Frage sind wir uns uneinig“, erklärt der Fraktionsgeschäftsführer, Westimport Christian Beese.
Aber auch die SPD-Opposition behauptet mehr eine kritische Haltung zur Regierung, als daß sie sie tatsächlich einnimmt. Seit Tagen hat sich die gesamte Fraktion in Heringsdorf zur Klausur zurückgezogen; nur einige Referenten halten die Stellung, ereifern sich über Kupfers ausweichende Antworten und verteilen eine magere Presseerklärung. Darin wird vor allem moniert, daß das Asylverfahrensgesetz von Bundes- und Landesregierung nicht umgesetzt wird. „Nur wenn alle politischen Kräfte dieses Gesetz voll ausschöpfen, können die Zahlen der Asylbewerber in Mecklenburg-Vorpommern kurzfristig reduziert werden.“ Kein Wort des Bedauerns über die rassistischen Ausschreitungen, kein Wort über die Opfer.
Versagt hat das Innenministerium aus der Sicht der Landes-SPD vor allem deshalb, weil es die Zentrale Aufnahmestelle mitten in eine Wohnsiedlung untergebracht hat und auf die Beschwerden der Anwohner nicht reagiert hat.
Werner Urbanek, Lothar Kupfers rechte Hand, versteht die ganze Kritik sowieso nicht. „Der Auftrag der Polizei war, die Asylbewerber zu schützen. Das ist gelungen.“ Sicher, es habe Versäumnisse gegeben. Eine Konzentration von Asylbewerbern habe zur Belästigung der Lichtenrader Bevölkerung geführt. Der ungezügelte Zuzug. Die Bevölkerung habe den Eindruck, es werde viel für die Ausländer getan — Wohnungen und soziale Absicherung. Jetzt seien die Asylbewerber in Hinrichshagen untergebracht. „Angst haben wir nicht, aber man kann nie vorhersehen, wo sich Gewalt entlädt.“ Und ganz Humanist fügt er schließlich hinzu: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“. Auch der CDU- Fraktionschef Lorenz Caffier drückt mit unbeteiligter Stimme seine Scham und seine Bestürzung aus. Nein, was passiert sei, sei nicht richtig — aber doch irgendwie verständlich. Er selbst habe in Studienzeiten in einer deprimierenden Hochhaussiedlung leben müssen. „Da ist es grau in grau, trist — es gibt keine Bewegungsmöglichkeiten.“ Hinzu komme die Kompliziertheit des Umstrukturierungsprozesses in den neuen Ländern.
Er plädiert dafür, das Freizeitangebot auszuweiten, vor allem durch Sport. Für Sekunden blitzen seine Augen auf: Caffier ist Präsidiumsmitglied der Landessportförderung. „Am laufenden Meter Boxringe — natürlich unter Aufsicht. Da können sich die Jugendlichen dann die Nasen blutig schlagen,“ schlägt er vor. In den Schulen solle Toleranz und miteinander leben geübt werden.
Ja, es seien schon ein paar sozialpädagogische Projekte im Gespräch, aber dazu will er sich nicht konkreter äußern. Man müsse versuchen, die Skins sinnvoll zu beschäftigen. Den Eindruck, die Landesregierung sei hilflos, weist er entschieden zurück. Es gehe eben alles nicht so schnell, die Polizei sei erst im Aufbau begriffen, Unterstützung aus Bonn und von den alten Bundesländern aber sei nötig. Sowohl Caffier als auch sein Fraktionskollege, der geschaßte Innenminister Diederich, wollen die Gaffer und jubelnden Anwohner nicht als mögliche Wähler an die Reps verlieren. „Die Leute sind nicht rechtsradikal und ausländerfeindlich“, behaupten sie.
Und immer wieder taucht in den Gesprächen der Vergleich mit der Hafenstraße und Wackersdorf auf. Aber damals ging es nicht um Gewalt gegen wehrlose Menschen. Das fällt mehreren Abgeordneten erst bei Nachfrage auf. Aber für sie ist sowieso der Angriff auf den Rechtsstaat das zentrale Thema. Nur die Linke Liste/PDS, ebenfalls seit Tagen in Klausur, „verurteilt aufs Schärfste die Gewalttätigkeiten gegen Menschen, die in Deutschland Asyl suchen.“ Annette Jensen, Schwerin
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