Ein großes Faß ohne Boden

■ Die Sanierung des Hamburger Sielnetzes wird Millarden verschlingen und die Sielgebühren bis 2005 verdoppeln / Zum Umdenken fast schon zu spät

Ein weitgehend unsichtbares Problem wird Hamburg in den nächsten Jahrzehnten einige Milliarden Mark kosten. Die „Entsorgung“ von 200 Millionen Kubikmetern Abwässer pro Jahr, vom Gully durch 5000 Kilometer städtische Kanalisation, unter der Elbe hindurch nach Köhlbrandhöft bis zum trockenen Ende, der Klärschlamm- Trocknungsanlage, macht Sorgen und wird immer teurer.

Die teilweise 150 Jahre alten Siele halten den Belastungen der Neuzeit nicht mehr stand. William Lindley hat seine imposanten Bauwerke anno 1842 wohl auf darüberfahrende Pferdedroschken ausgelegt, aber nicht für den erschütternden Schwerlastverkehr mit Vierzigtonnern. Auch den aggressiven Putzmitteln und Industrieabwässern, die heute durchs Siel rauschen, hält das solideste Mauerwerk nicht stand.

In den letzten Jahren wurden 650 Sielschäden entdeckt. „Wir sind auf dem aufsteigenden Ast“, warnt Umweltsenator Fritz Vahrenholt, dem auch die Stadtentwässerung untersteht, denn es werden immer mehr brüchige Stellen gefunden. Allein für Sofortmaßnahmen sind in den vergangenen zweieinhalb Jahren mehr als 30 Millionen Mark draufgegangen. In die längst überfällige Erneuerung des maroden Sielnetzes sind seit 1975 rund hundert Millionen Mark jährlich ge-

1flossen. Das dicke Ende kommt noch, denn der längst fällige Neubau von mehr als hundert Kilometer Siel wird einige hundert Millionen Mark verschlingen. „Bevor es der Kaufmannschaft wieder in die Keller läuft“, so Dieter Zander, Leiter der Planung bei der Stadtentwässerung, beginnt Anfang 1993 die Sanierung des innerstädtischen Siels an den Großen Bleichen.

Über den Zustand von Alster und Kanälen machte man sich seinerzeit noch keine Gedanken. Heute müssen die Stadtgewässer mit teuren Entlastungsprogrammen vor der Mischung von Kloake und Regenwasser bewahrt werden, die bei heftigen Regenfällen aus den

1Mischwassersielen schwappt und die Fische killt. Schon die Investitionen für die erste Baustufe dieses Programms, das insgesamt 15 Rückhaltebecken und 20 Kilometer Transportsiel vorsieht, belaufen sich auf 450 Millionen Mark — um die Alster in ein „mäßig belastetes Gewässer zu verwandeln, in dem man vielleicht auch baden kann“.

Aber auch am Ende des Kanals gibt's nichts umsonst. Die Klärwerke Köhlbrandhöft und Dradenau produzieren 250000 Tonnen Schlamm jährlich, die in Schönberg gegen Gebühr deponiert werden müssen. Im Oktober soll KETA fertig werden, die Klärschlamm-Entwässerungs- und Trocknungsanlage

1für „die Rückstände all unserer Bemühungen“, wie der Umweltsenator es ungewollt doppeldeutig ausdrückt; vergißt man doch manchmal, daß es unter anderem natürliche menschliche Bemühungen und Bedürfnisse sind, die den Dreck und die Kosten verursachen. Kosten, die sich auch für den einzelnen Klosettbenutzer bemerkbar machen. Anfang des Jahres wurde die Sielbenutzungsgebühr erhöht, und wenn alle genannten Entsorgungsmaßnahmen realisiert werden, verdoppelt sie sich bis zum Jahr 2005. Ein Grund mehr, über Alternativen zur 150 Jahre alten Schwemmkanalisation nachzudenken. Vera Stadie