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„Und jetzt wippen!“

■ Callanetis — amerikanische Modegymnastik zur Körpertiefenmodulation

“Ich hab so lange drauf gewartet, daß das endlich kommt - und jetzt ist es da!“ — Sabine ist begeistert. Sie ist eine von fünfzehn Frauen, die am allerersten Callanetic- Kurs in Bremen teilnehmen.

Callanetic? Wenn Sie figur- und körperbewußt sind und außerdem regelmäßig Journal für die Frau lesen, dann wissen Sie sicher, was das ist. Oder? Callanetics ist „die sensationelle Trainingsmethode für die Tiefenmuskulatur“,ist „ideal für alle Altersklassen“, führt „schnell und zuverlässig zu einem straffen Körper“ (Anzeigentext). Grundaxiom: Der Körper ist modellierbar!

Es gibt sogar schon ein beliebtes Video, auf dem Mrs. Callan Pinckney, USA, die Begründerin von Callanetics, ihre Körperstraffungsgymnastik vorführt. Sie hat auch ein Buch darüber geschrieben. Aber das alles ersetzt nicht einen Callanetic-Kurs, zum Beispiel mit Tanzpädagogin Karin Eckstein, die früher mal, zusammen mit ihrer Zwillingsschwester Gitta, das erste Go-Go- Girl im legendären Beatclub von Radio Bremen war, und während der 70er Jahre in allen Rudi-Carell-Shows aufgetreten ist.

„Ich bin seit zwanzig Jahren Tanzlehrerin in den klassischen Disziplinen“, sagt Karin Eckstein, „und stehe voll und ganz hinter Callanetics.“

Die erste Trainingsrunde. Sie wird anderthalb Stunden dauern, und trotz der sanften und langsamen Bewegungen bei den Teilnehmerinnen nicht schlecht Muskelkater hervorrufen. Alle Übungen gehen von einer Grundposition aus. O-Ton Eckstein:“In die Knie, das Becken nach vorn und Oberschenkel öffnen. Bildet einen saftigen Block! Und nun zieht die Bäuche ein. Ein langes gutes Zentrum bilden. Und jetzt — wippen!“

Zehn mal wippen alle Frauen im „Plier“ (französisch: kleine Kniebeuge). Das ist nicht viel, aber von Tag zu Tag wird die Wippfrequenz erhöht, bei dieser, wie bei den folgenden Übungen. Bis zur magischen Hundert.

„Ich geb euch ein bißchen Esoterisches drunter,“ sagt Karin Eckstein munter und stellt den Kassettenrekorder mit indischer Flötenmusik an, „zum Beruhigen“. Das können die Frauen, einige lange aus der Turn-Übung raus, schon nach den nächsten Wippungen gebrauchen. Jetzt gehts nämlich „zur Sache“, sprich: an den Bauch.

Alle kichern, denn wenn Callanetics sich auch als Basistraining für viele Sportarten anpreist und allgemeine Fitneß verspricht — es ist doch die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, die die Frauen in den Kurs treibt (und es sind nur Frauen, obwohl das Angebot auch für Männer gilt).

„Ihr könnt eure Figur modellieren, ihr wißt ja, über die Tiefenmuskulatur“. Also auf den Rücken legen, „schwer werden, als wenn ein Stein auf euch liegt“, die Beine kerzengrade hochziehen, und den Oberkörper anheben. „Laßt euren Schmerz richtig raus!“ Ununterbrochen, wie eine perfekte Showmasterin, spricht Karin allen Mut zu, geht von Frau zu Frau, verändert sacht etwas an der einen oder anderen Haltung und ermahnt: „Entspannen, entspannen, ihr wißt ja, was „unsere Callan“ sagt“. Alle nicken.

Vorturnerin Uschi stellt dieweil einen Fuß auf die Ballettstangen und beugt den Oberkörper über das Bein. Wippen, wippen, zehnmal. Mit der Zeit wird es ganz schön anstrengend, aber: „Dranbleiben! Geschenkt kriegt man nichts!“ Dafür geht es „in den Po rein“, das heißt eigentlich „aus dem Po raus“, und Körperpartien werden umverteilt. Auch bei den Bodenstreckübungen, die zugegebenermaßen „hundsgemein“ sind.

Nach anderthalb Stunden wirken die Frauen ziemlich erschöpft und doch zufrieden. Wenn sie konsequent weiter callanieren, dann schaffen sie demnächst in derselben Zeit das zehnfache Pensum.

Hat man den Turnsaal von Karin Eckstein wieder verlassen und damit auch den Beschwörungsraum ihrer suggestiven Stimme, dann kommt einem der nüchterne Gedanke, daß es sich bei Callanetics um nichts anderes als um altbekannte Gymnastik handelt. Gut so! Callan Pinckney selbst jedenfalls ist irgendwann dem absoluten Körpermodellierungswahn verfallen und hat fast so viele Schönheitsoperationen hinter sich wie Michael Jackson. Sieht natürlich toll aus... Cornelia Kurth

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