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Pusdorf will kein „Viertel“ werden

■ Beirat: Anwohner wüteten gegen Verlegung des Drogenstrichs

„Wir reden hier mit dem falschen Senator“, sagte Beratsmitglied Meinhard Motzko, „Drogenprobleme sind doch keine Polizeiprobleme“. Über 300 Personen quetschten sich in den Saal der Werkstatt in der Woltmershauser Straße, als es am Donnestag abend um die Verlegung des Drogenstrichs gehen sollte. Innensenator Friedrich van Nispen war gekommen und stellte sich dem wütenden Protest, die Sozialsenatorin ließ sich — wie auch bei der großen Bürgerversammlung in der vergangenen Woche in Oberneuland — vertreten. Diesmal saß der Drogenbeauftragte Guus van der Upwich vorn für die Sozialsenatorin da. „Sie sind ein armer Hund“, bedauerte ihn der Beiratsvertreter Motzko.

„Keine Lösung“ des Problems sei die Verlegung des Drogenstrichs, meinte Holger Kühl, auf der FDP-Liste im Beirat, keine „Entzerrung“ sei zu erwarten, nur eine „Verdoppelung“ des Drogenstrichs. Es sei kaum zu erwarten, daß dann nicht auch Frauen im Steintor stehen würden. Die „jahrelange Verharmlosung der Drogenszene“ habe Bremen so attraktiv für die Szene gemacht, beklagte CDU-Beirätin Heidrun Lemke, keine Verlegung des Strichs, aber mehr Polizei sei erforderlich.

Für die Grünen erklärte Maria Spieker (MdBBü), die Grüne Fraktion in der Bürgerschaft habe den Plan einer Verlegung nach Woltmershausen abgelehnt.

Anwohner Gerrit Guit führte unter dem Beifall der Versammlung vor, wie für 14,85 Mark pro Tag Methadon an eine drogenabhängige Frau ausgegeben werden könnte. Auf einen behördlich genehmigten Strich, so Guit, kämen natürlich die Damen aus Delmehorst, Syke und so weiter.

Zorn und nichts als Zorn schlug dem Innensenator und dem Drogenbeauftragten aus allen Teilen der Bevölkerung entgegen: Woltmershausen soll nicht ein zweites „Viertel“ werden. Daß der Drogenstrich auf eine bestimmte Uhrzeit und auf die eine Straße begrenzt werden könnte, wollte niemand glauben. Die Woltmershauser sehen die Prostituierten schon in ihren Kleingärten nach „Durchführungsplätzen“ (Behördendeutsch) suchen. Empört berichtet eine junge Frau, sie habe am Sielwall mit ihren beiden Kindern gewohnt und sei vor wenigen Monaten, weil dort die Bedingungen unterträglich seien, nach Woltmershausen weggezogen.

Ein Unternehmer vom Hohentorshafen warnte davor, Firmen könnten ins Umland weggehen, wenn die Adresse derart zweifelhaft berühmt werde. Der Leiter des DLRG fürchtet um die Jugendarbeit im Sportzentrum am Hohentorshafen, ein Spielplatz- Aufseher um „unsere Frauen und Kinder“.

Innensenator van Nispen versicherte der Versammlung: „Ich würde genauso argumentieren wie Sie es tun, wenn ich hier wohnen würde.“ In ruhigem und anscheinend ungerührtem Tonfall erläuterte er der aufgebrachten Versammlung, daß die Behörde dann dennoch entscheiden werde, was notwendig sei, und es klang fast ironisch, als er formulierte: „Wir werden Ihre Argumente bewerten.“

Auf Details sollte Polizei- Oberrat Mordhorst eingehen. „Wie garantieren Sie die Sicherheit meiner Kinder?“ fragte ihn ein aufgebrachter Vater, der direkt am Hohentorshafen 6 wohnt. Mordhorst: „Sie sollten erstens die Emotion aus der Frage herausnehmen. Zweitens sollten Sie die Sache insgesamt sehen... Prostituierte belästigen nicht Kinder“. Protest im Saal. “Meine Tochter ist 12 Jahre“, ruft der Vater dazwischen. “Wer sichert meine Tochter gegen die Männer?“ Mordhorst: „Ich kann Ihre Beweggründe durchaus verstehen. Aber ich versichere Ihnen, es sind keine Belästigungen von Kindern durch Prostiuierte bekannt geworden...“ Allgemeine Unruhe, Zwischenrufe, “Jetzt reicht es mir“ überbrüllt der Vater alle und drängt sich durch die dicht stehenden Anwihner zum Ausgang.

In die allgemeine Unruhe hinein sagt die Versammlungsleiterin über Mikrophon, es sei zehn Uhr und der Saal stünde nicht länger zur Verfügung. Die Beiratssitzung ist zuende.

K.W.

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