: Streiten wir mit Mr. Too
Die Kenya African National Union (KANU) hat ihren demokratischen Ursprung verraten/ Kenia braucht ein Mehrparteiensystem ■ Von Gitobu Imanyara
Dieses Land erreichte 1963 seine Unabhängigkeit. Seine politische Ordnung wurde in einer geschriebenen Verfassung niedergelegt. Wir hatten uns für eine geschriebene Verfassung entschieden, weil sie die sicherste Garantie für eine stabile und blühende Zukunft ist. Unter den Bedingungen dieser Verfassung führte die KANU ihren Wahlkampf vor der Unabhängigkeit und schlug die KADU und alle anderen damals existierenden politischen Parteien. Die damaligen Führer der Oppositionspartei begriffen, daß sie ihre Ideen verloren hatten, und schlossen sich der KANU an. Einige von ihnen haben sich seither durch die Hierarchie nach oben gearbeitet und sind in höchsten Positionen der Partei gelandet.
Als politische Partei stand und steht die KANU unter der Verfassung, die das höchste Gesetz des Landes ist. Durch eine Reihe von Verfassungsänderungen — insgesamt 26 an der Zahl — hat die KANU jedoch die kenianische Gesellschaft so weit umgebaut, daß die ursprünglichen Vorstellungen, unter denen diese Nation einmal angetreten ist, entweder verändert oder ganz begraben waren.
Während zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit jeder Kenianer einer politischen Partei seiner Wahl angehören konnte, hat die KANU dafür gesorgt, daß dieses verfassungsmäßige Recht nicht mehr existiert. Der entsprechende Artikel, der uns das Recht auf freie Wahl einer politischen Vereinigung garantierte, ist durch einen Verfassungszusatz von 1982 aufgehoben, der besagt, daß nur die Mitgliedschaft in der KANU legal ist. Das Gefüge von Kontrolle und Gleichgewicht ist außer Kraft gesetzt. Die KANU hat die Unabhängigkeit der Justiz abgeschafft, als sie durch eine unnötige und von niemandem geforderte Verfassungsänderung die Berufung der Richter auf Lebenszeit aufhob — ein Prinzip, dem sich alle demokratischen Länder unterwerfen. Die KANU hat die Unabhängigkeit der „Public Service Commission“ abgeschafft, und das Resultat haben wir gesehen, als öffentliche Angestellte mit den Wahlen Schindluder trieben. Der massive Wahlbetrug von 1988 ist direkt auf den Verlust des Beamtenstatus für öffentliche Bedienstete zurückzuführen; deren Loyalität gilt nun nicht mehr der Verfassung, sondern Einzelpersonen.
Kurzum, die Antwort auf Mark Toos Grundfrage ist: Ja, die KANU hat sich derart radikal entfernt von der KANU, die 1963 die Wahlen gewann, daß sie in der Tat ihre Essenz eingebüßt hat.
Ein Ergebnis dieses Verlusts ist, daß es keine Rechenschaftspflicht gegenüber dem Volk und den demokratischen Institutionen mehr gibt, mit denen diese Nation als Nation konstituiert hat. Verpflichtet fühlt man sich nur noch gegenüber Personen: Ständigen Sekretären, Provinz- und Bezirkskommissaren und Geschäftsleuten mit Beziehungen. Die Oberste Rechnungsprüfungsbehörde dagegen wird prinzipiell ignoriert und die Justiz mißbraucht. Und genau dies ist der Grund für das Überleben von Stammesstruktur und -loyalität. Ein flüchtiger Blick auf die Direktoren von Vertragsfirmen und öffentlichen Institutionen genügt, um festzustellen, daß das Einparteiensystem Stammesloyalitäten nicht auslöscht.
Ja, wir wollen miteinander streiten. Wir wollen die Frage stellen, warum es keine nationale „Geschlossenheit“ gibt. Wer bestimmt, wann wir sie erreicht haben?
Die Befürworter des Einparteiensystems scheinen nur noch sich selbst zu kennen. Sie befinden sich in einem politischen Delirium, das sie blind gemacht hat gegenüber Ereignissen, die woanders in der Welt stattfinden. Beschimpfungen der Vereinigten Staaten von Amerika oder ihres Botschafters in diesem Land werden aufmerksamen Kenianern keinen Sand mehr in die Augen streuen können. Das Gespenst der „Einmischung in innere Angelegenheiten“ ist schon in den achtziger Jahren gestorben, als Weltbank und IWF den Begriff der ökonomischen Strukturanpassung, die sogenannte bittere Pille für jede wirtschaftliche Entwicklung, einführten. Inzwischen haben diese Institutionen begriffen, daß ökonomische Entwicklung ohne politische Entwicklung nicht stattfinden kann. Politische Entwicklung jedoch bedeutet die Pflege demokratischer Institutionen: eine unabhängige Justiz, freie und unbehinderte Wahlen, eine freie Presse und die Akzeptanz der Rechenschaftspflicht gegenüber dem Wahlvolk. Die KANU ist verantwortlich für die Erosion dieser Einrichtungen in diesem Land. Die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Garantien ist heute die vordringlichste Aufgabe in unserem Land.
Erst wenn diese Institutionen wiederhergestellt sind, haben alle, die mit den politischen und ökonomischen Vorstellungen der KANU nicht einverstanden sind, eine faire Chance. Erst dann können sie der Bevölkerung wirklich erklären, warum sie die Gründung einer neuen politischen Partei für sinnvoll halten. Erst dann können die Bürger Kenias auch für sich selbst entscheiden, welcher politischen Partei sie angehören wollen. Die Bevölkerung unseres Landes ist reif genug, um jede Partei, die sich auf simpler Stammesplattform gründet, zurückzuweisen. Sie hat solche Parteien schon in den Wahlen vor der Unabhängigkeit zurückgewiesen. Und sie wird es wieder tun, sobald sich ihnen die Gelegenheit dazu per Verfassungsgarantie bietet.
Dieser Artikel erschien gleichzeitig mit Mark Toos Beitrag in Nairobi Law Monthly . Nb. 23, April/Mai 1990.
Gitobu Imanyara ist Chefredakteur dieser Zeitschrift und wurde aufgrund dieses Sonderheftes zur „Historischen Debatte“ über das Mehrparteiensystem verhaftet und gefoltert (siehe Adewale Maya-Pearce' Beitrag auf dieser Seite). Imanyara erhielt im Mai 1991 als Anerkennung seines Beitrags zur Freiheit der Presse die „Goldene Feder für die Freiheit“, die von der Internationalen Föderation der Zeitungsverleger verliehen wird. Er durfte nicht zur Annahme des Preises nach Athen ausreisen. Obwohl die Regierung Mois versuchte, die Zeitschrift zu verbieten, erscheint sie bis heute weiter. Der Revisionsfall der Nairobi Law Monthly wurde zufällig von einem der wenigen Richter Kenias entschieden, der sich seine Unabhängigkeit bewahrt hat. Richter Frank Shields hob in seinem Urteil das Regierungsverbot der Monatszeitschrift („aller vergangenen und zukünftigen Ausgaben“) wieder auf.
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