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Busreise zur Weltkultur

Das Berliner Haus der Kulturen der Welt  ■ Von Petra Kohse

Als ein Gegenstück zum Goethe-Institut läßt sich das Berliner Haus der Kulturen der Welt (HdKdW) bezeichnen. Das eine repräsentiert in seinen zahlreichen Dependancen die heimische Kultur im Ausland, das andere ermöglicht umfangreich und kontinuierlich eine Rückkopplung — was sie gemeinsam gewährleisten, ist nicht mehr und nicht weniger als ein real existierender Kulturaustausch. Amerikahäuser, Maisons de France etc. gibt es schon lange, aber ein festes Haus, von deutscher Seite getragen, das prinzipiell allen fremden Kulturkreisen gewidmet ist, ist hierzulande ohne Beispiel. Günter Coenen, der das Haus seit seiner Gründung Anfang 1989 leitete und im Juni sein Amt niederlegte, resümierte „1.300 Veranstaltungen zu Themen aus 81 Ländern“.

Klezmer-Workshops gehören ebenso zum Programm wie eine Ausstellung von Rastafari-Kunst, Lesungen mexikanischer Prosa, orientalischer Tanz oder mauretanische Gesänge. Dazu kommen natürlich die großen Ausstellungen wie „Palast der Götter. 1.500 Jahre Kunst aus Indien“ oder die noch laufende Schau „Inka-Peru“, die bereits rund 40.000 Besucher hatte. Ausgesprochen beliebt sind auch die internationalen Konzerte im „Café Global“ an Freitagen und Samstagen. Der Eintritt ist — wie häufig im HdKdW — frei.

Das vom Land Berlin und dem Auswärtigen Amt finanzierte Haus läßt sich auch personell als Heimathafen des Goethe-Instituts begreifen. Coenen, ein erprobter Goethe- Mann, führt jetzt die Zweigstelle in Athen. Die neue Generalsekretärin, Anke Wiegand-Kanzaki, leitete zuletzt das Goethe-Institut in Bombay: Alles bleibt in der Familie.

Das HdKdW ist in der ehemaligen Kongreßhalle beheimatet, dem 1957 von Hugh Stubbins errichteten Gebäude mitten im Tiergarten, das wegen seines geschwungenen Daches auch „Schwangere Auster“ genannt wird. Die seit der Maueröffnung zentrale Lage des Hauses weckte die Begierde des Bundes: Noch immer ist nicht geklärt, ob nicht in Zukunft Abgeordnete und Gäste des Bundestags in den Räumlichkeiten des HdKdW Tagungen abhalten werden, solange der benachbarte Reichstag umgebaut wird, was voraussichtlich einige Jahre in Anspruch nehmen wird. Daß selbst die hauseigene Pressestelle in Containern im Garten residiert, zeigt, wie wenig räumlicher Spielraum selbst ohne Untermieter im HdKdW herrscht.

Wie aus dem Auswärtigen Amt verlautete, wird auf der nächsten Aufsichtsratssitzung des HdKdW im Herbst eine diesbezügliche Anfrage des Bundestages debattiert und auch entschieden. Im Haus der Kulturen selbst ist davon nichts bekannt. Außerdem geht man dort davon aus, daß der Aufsichtsrat allenfalls eine Empfehlung abgeben könne, entscheiden werde der Eigentümer des Hauses, der Berliner Senat. Dieser stellt mit Abgesandten des Kultur-, Wirtschafts- und Finanzsenats die Hälfte der Mitglieder des Aufsichtsrates. Die andere Hälfte entsenden das Auswärtige Amt sowie die Ministerien des Inneren und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit.

Vom Pressesprecher des Kultursenators war zu erfahren, daß eine Stadt mit dem Anspruch, Regierungssitz zu sein, die Diskussion über eine zeitweilige und teilweise Fremdnutzung des HdKdW durch den Bundestag nicht von vornherein abblocken könne.

Den Veranstaltungsbetrieb im HdKdW will man jedoch auf keinen Fall einschränken. Auf die Frage, ob sich Berlin im Konfliktfall gegen Bonn durchsetzen könne, heißt es diplomatisch: „Der Senator ist immer auf seiten des Hauses der Kulturen der Welt.“

Auch ohne das Raumproblem ist der Beginn der Ära Wiegand-Kanzaki von materiellen Schwierigkeiten begleitet. Die vom Auswärtigen Amt bereitgestellten Projektmittel belaufen sich seit drei Jahren auf drei Millionen Mark. Diese Summe wird nicht „fortgeschrieben“, was heißt, daß sie sich trotz Inflation und davon unabhängigen Kostensteigerungen nicht erhöht.

Für das HdKdW bedeutet das, im Laufe der Jahre immer weniger Veranstaltungen durchführen zu können. Auch einige derzeit offene Stellen können in absehbarer Zeit nicht besetzt werden.

Eigentlich wollte die neue Generalsekretärin fremde Kulturen nicht nur in Berlin, sondern auch und gerade in den neuen Bundesländern präsentieren — davon muß sie jetzt erst einmal absehen. Alle Wege zur Weltkultur führen in Deutschland also weiterhin nach Berlin.

Das bedeutet aber nicht, daß alle Wege Berlins zum HdKdW führen. Es liegt zentral — aber nur für Autofahrer. Fern von jeder U-Bahn hält nur der Touristenbus auf seinem Weg vom Alex zum Zoo am Kulturhaus, und wegen Überfüllung hält er oft nicht. In dürren Worten: die Infrastruktur ist beklagenswert schlecht, eine Reise zum HdKdW will wohl überlegt sein.

Um so mißlicher ist dieses Verkehrsproblem, als Wiegand-Kanzakis kulturelles Konzept sich sowohl an die breiteren Massen wie auch an Insider richtet. Für den Herbst 1993 ist beispielsweise ein Festival indischen Volkstheaters in der Tradition der Ramayana-Darstellungen geplant, eine populäre Veranstaltungsreihe, die begleitet werden soll von einem Symposium über das Thema „Zivilisation und Wildnis“, zu dem unter anderen Peter Sloterdijk eingeladen ist.

Auf der Pressekonferenz, die sich ihrer Wahl zur Generalsekretärin anschloß, führte sich Wiegand-Kanzaki als verläßliche Statthalterin der Goethe-Institutsfamilie ein: sie werde Coenens Arbeit ohne Brüche fortsetzen, betonte sie. Dennoch sind zwei grundlegende Erweiterungen des bisherigen Kulturprogramms zu erwarten. Zunächst ist sie nicht so stark auf die Hochleistungskunst fixiert, wie es ihr Vorgänger war. In ihrem Heimatland nicht etablierte Künstler und auch nicht primär künstlerische Elemente des fremden Alltags wie beispielsweise Spiele für Kinder sollen stärker ins Blickfeld geraten.

Ab Oktober ist „Tuma Be“ zu sehen, eine Ausstellung zum Leben in der westafrikanischen Savanne. Die Rezeption von Alltagskultur ist weitgehend unproblematisch. Schwieriger wird es, wenn man auch bei der Präsentation zeitgenössischer Kunst die Randbereiche beachten will. Die Problematik der Kulturvermittlung wächst proportional dazu, wie fremd das Gezeigte dem deutschen Auge und Ohr ist.

Eine in Argentinien umjubelte Theateraufführung hier zu sehen, gibt zumindest Aufschluß über den dortigen Publikumsgeschmack, ganz gleich, wie die eigene künstlerische Bewertung ausfällt. Wie aber kann das Werk eines unbekannten bildenden Künstlers beispielsweise aus Belize eingeschätzt werden, wenn man nicht weiß, was für die dortige Kunstszene repräsentativ, was avantgardistisch, was epigonal ist.

Wiegand-Kanzaki will jedoch weder „überdidaktisch“ vorgehen noch in künstlerischen Dingen eine Art „Dritte-Welt-Bonus“ gewähren. Die fremdländischen Produktionen werden auf der Grundlage des deutschen Kunstverstandes ausgewählt. Dies birgt allerdings die Gefahr des Geschmacksinzests, dann nämlich, wenn nicht etablierte Darbietungen importiert werden, die das heimische Publikum zwar langweilen, von den Experten des HdKdW jedoch als auf der Höhe der europäischen Kunst klassifiziert werden. Das Risiko besteht, auch wenn die Goethe-Leute Augen und Ohren offen halten, um die Heimatbasis zu beliefern. Abhilfe kann nur die Kontinuität der Arbeit im HdKdW schaffen, die den regelmäßigen Besuchern Seherfahrung ermöglicht sowie die enge Zusammenarbeit mit alternativen Künstlerassoziationen vor Ort.

Der zweite von Wiegand-Kanzaki geplante Kurswechsel ist der hin zum Kulturenvergleich. Als thematischen Schwerpunkt projektiert sie für 1994 beispielsweise eine Ausstellung rund um das Wasser. Nebeneinander können hierbei Architekturen, Mythen sowie Umweltprobleme präsentiert werden, die in verschiedenen Ländern der Erde mit diesem Element verknüpft sind.

Diese thematische Ausrichtung ist eine Steigerung der bisher im HdKdW gepflegten geographischen Kulturvermittlung. Sie kann dazu beitragen, kulturelle Unterschiede wahrzunehmen und zu akzeptieren, zumal auch der kulturelle Standort Deutschland mit einbezogen werden soll.

Einziges Desiderat für die Amtszeit Wiegand-Kanzakis ist eigentlich, daß auch die europäischen Kulturen stärker als bisher berücksichtigt werden sollten. Auch wenn in den meisten Ländern die blau-gelben Sternchenbanner für ein vereintes Europa flattern, gibt auch auf diesem Kontinent noch viel zu entdecken. Fremd ist ja nicht nur, was mehr als vier Flugstunden entfernt ist. Wie steht es beispielsweise um die gälische Kultur und wie um die der baltischen Jungeuropäer? Ein Haus der Kulturen der Welt muß viele Räume haben. Da reichen die in der alten Berliner Kongreßhalle ja schon ohne Politiker nicht aus. Aber erst mal die Buslinien. Und dann der Rest.

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