: Muslime befürchten ihre Ausrottung
■ UNO-Sonderbeauftragter Mazowiecki legt Bericht über Menschenrechtsverletzungen vor
Überall in Bosnien-Herzegowina wird gegen die Menschenrechte verstoßen. Sehr schwierig ist es, die Verantwortung für die begangenen unzähligen Menschenrechtsverletzungen zu klären und die Täter festzustellen. Dies kann — wenn überhaupt — nur durch eine mit weitreichenden Befugnissen ausgestattete Sonderkommission erfolgen. Vorrangig sind jetzt Maßnahmen, die weitere Verbrechen verhindern können. Zu diesem Zweck muß das Mandat der UNO-Truppe (Unprofor) erweitert werden. So etwa läßt sich der erste Bericht zusammenfassen, den der Sonderbeauftragte zur Untersuchung der Menschenrechtssituation im ehemaligen Jugoslawien, Tadeusz Mazowiecki, am Freitag der UNO-Menschenrechtskommission in Genf sowie UNO-Generalsekretär Butros Ghali vorlegte.
Neben kurzen Abstechern nach Zagreb, Belgrad und Vukovar hielt sich der frühere polnische Ministerpräsident während seines nur viereinhalb Tage langen Aufenthalts vor allem in Bosnien-Herzegowina auf. Dort würden „besonders in den belagerten Städten Sarajevo und Bihac“ die „brutalsten und grausamsten Menschenrechtsverletzungen“ begangen. Im Gegensatz zu den Kroaten hätten die Serben ihm den Zugang zu ihren Gefangenenlagern verweigert. Aus Zeitgründen fand allerdings auch der Besuch eines kroatisch verwalteten Lagers nicht statt.
Mazowiecki erklärte, „alle drei Seiten“, Serben, Kroaten und Muslime, seien „der ethnischen Säuberungspolitik ausgesetzt“. Die Serben betrieben die ethnische Säuberungspolitik „am brutalsten“, die Kroaten gingen „etwas dezenter vor“. Die Muslime, „hinter denen im Unterschied zu den Serben und Kroaten kein Staat steht“, befürchteten ihre „vollständige Ausrottung“. Dennoch vermied Mazowiecki jede ausdrückliche Schuldzuweisung. Seine Versuche, in Gesprächen mit Vertretern der drei Volksgruppen die Verantwortung für bestimmte Menschenrechtsverletzungen zu klären, „was Fakten und was nur Behauptungen sind“, seien gescheitert. Er bekam ausschließlich Beschuldigungen der jeweils anderen Seite(n) zu hören. In Fällen, in denen unbestreitbar feststeht, daß Serben, Kroaten oder Muslime ein bestimmtes Verbrechen begangen haben, hätten seine Gesprächspartner die Schuld „marodierenden Banden zugeschoben, die angeblich unter Niemandes Kontrolle stehen“. Allenfalls eine ständige Sonderkommission mit erweiterten Untersuchungsbefugnissen könne diese Verbrechen klären und die Verantwortlichen ausmachen. Für vordringlicher hält Mazowiecki jedoch „entschiedene Maßnahmen, um die andauernden Menschenrechtsverletzungen zu unterbinden“. Er schlägt vor, das Mandat der Unprofor so zu „erweitern“, daß UNO-Soldaten künftig gegen Menschenrechtsverletzungen einschreiten dürfen. Mitglieder der Truppe hatten ihm ihre „große Frustration“ geschildert, selbst bei Menschenrechtsverstößen direkt vor ihren Augen tatenlos zusehen zu müssen.
Mit seinem ersten Bericht hat Mazowiecki nach Einschätzung Genfer BeobachterInnen das Beste aus seinem im Grunde unmöglichen Auftrag gemacht. Zu einer zweiten Erkundungsmission in das ehemalige Jugoslawien wird der Sonderbeauftragte möglicherweise im September aufbrechen. Andreas Zumach, Genf
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