: Harte tonale Kontraste
■ Das Musikfest '92 mit extremen musikalischen Gegenpolen eröffnet
mit extremen musikalischen Gegenpolen eröffnet
Konzentriert auf die Energie eines einzelnen Tons, auf die Möglichkeiten seiner plastischen Bearbeitung, wie sie Giacinto Scelsi mit Quattro pezzi su una nota sola entwickelt hat, beginnt das diesjährige Musikfest Hamburg seine Konzertreihe. Auf dem Programm des klassischen Festivals stehen als Kontrast zu dem primär am Material Musik interessierten italienischen Avantgardisten Scelsi vor allem Werke von Mendelssohn.
Daß diese Mischung nicht immer glücken kann, zeigten gleich besänftigende Einleitungsworte Gerd Albrechts beim Eröffnungskonzert am Sonntag morgen in der Musikhalle, der entgegen Scelsis Vorstellungen eine Erklärung zur Musik abgab. Scelsis emotionslose Stücke müssen eigentlich im Dunkeln stattfinden. Tatsächlich kann die Musikhalle dem intimen Forschen nach der Substanz eines Tones keinen Raum bieten. Das Ausloten von hörbar gemachten Teiltönen, von rhythmischen wie dynamischen, energetischen Zuständen des Materials korrumpiert geradezu den Konzertraum. Und das ist schade, soll zeitgenössische Musik in diesem Musikfest nicht nur Alibifunktion haben und lediglich dokumentieren, daß man sie bedient.
Im Anschluß an das schwierige Werk konnte das Publikum mit Schostakowitsch' Violinenkonzert Nr.1 wieder aufatmen. Satt und voll präsentierte der russische Solist Vadim Repin einen unverwechselbaren Schostakowitsch-Ton. Eigentümlich, daß gerade dieses Werk in seiner burlesk-folkloristischen Manier unter den Fingern Repins präsent und zeitgenössisch beim Hörer ankam. Das Philharmonische Staatsorchester und Repin gestalteten ein spannungsreiches, stringent musiziertes Werk.
Echt „klassisch“ dagegen fiel dann die allbekannte Symphonie Nr.4, die „Italienische“, von Mendelssohn aus. Ein Highlight zum Mitsingen immer wieder frisch zu machen, ist eben schwer. Die schwungvolle Aufbruchstimmung im ersten Satz des Werkes gelang den Musikern jedoch vortrefflich.
Am Eröffnungsabend ließ dann noch John Eliot Gardiner mit dem NDR-Sinfonieorchester Mendelssohns Konzertouvertüre Die Hebriden und die Symphonie Nr.5 erklingen. Außerdem werden in den kommenden Tagen bis zum 13. September noch Sir Neville Marriner mit der Academy of St.Martin- in-the-Fields und Kurt Masur mit dem Gewandhausorchester Leipzig zu sehen sein. Und außer drei weiteren Abenden mit Musik von Giacinto Scelsi gibt es für Interessenten der zeitgenössischen Musik ein Hörspiel von Mauricio Kagel im Studio 10 des NDR. Aufgeführt wird ein Werk zum Kolumbusjahr, Mare nostrum, über die Entdeckung und Befriedung des Mittelmeerraumes durch einen Stamm aus Amazonien. Katrin Meyer
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