Wilder Osten auf dem Krempelmarkt

■ Polnische und russische Händler breiten sich am Wochenende am Reichpietschufer immer mehr aus/ Etablierte Trödler beschweren sich

Tiergarten/Kreuzberg. Seit mehreren Wochen breiten sich die polnischen und russischen Händler rund um den Krempelmarkt am Reichpietschufer immer mehr aus. Waren die improvisierten Verkaufsstände Anfang des Jahres noch auf die Umzäunung des Krempelmarkts begrenzt, bieten die Händler an den Wochenenden jetzt fast bis zur Schöneberger Straße ihre auf dem Boden ausgebreiteten Angelruten, Kleidungsstücke und Kristallvasen zu Pfennigpreisen feil.

Die Trödler des Krempelmarkts sind auf die »illegalen Händler« gar nicht gut zu sprechen. Sie ärgern sich darüber, daß die unliebsame Konkurrenz keine Steuern und Standgebühren zahlt und ihren Müll nach Marktende einfach liegen läßt. Die osteuropäischen Händler, so heißt es, seien auch daran schuld, daß die alte Stammkundschaft wegbleibt und dort immer mehr Diebe auf dem Markt ihr Unwesen treiben. Daß Polizeieinsätze Abhilfe schaffen könnten, glaubt inzwischen allerdings niemand mehr. »Das geht doch jetzt seit vier oder fünf Jahren so«, sagte der Betreiber des Krempelmarkts, Michael Wewerka, resigniert. »Die Polizei ist doch völlig machtlos.«

»Wir unternehmen zur Zeit nichts dagegen, weil wir die Erfolglosigkeit einsehen«, lautet die Auskunft des für das Straßenland rund um den Krempelmarkt zuständigen Mitarbeiters des Tiergartener Tiefbauamts, Guntolf Gehlhaar. Sein Kollege vom Kreuzberger Tiefbauamt, Georg Wodkowski, verweist darauf, daß am Ufer bisweilen bis nach Kreuzberg stehende Händler »eigentlich niemanden stören« und es auch keine Anwohnerbeschwerden gebe. Die Polizei hält sich betont zurück. Zwei Beamte, die gestern vormittag am Reichpietschufer Streife liefen, gaben sich damit zufrieden, wenn die Händler die Waren zusammenpackten. Kaum waren sie weg, ging der Handel, vor allem mit türkischen Mitbürgern, weiter.

Im Vergleich zu dem Trubel und Gedränge draußen ging es drinnen auf dem Krempelmarkt ruhig zu. Im Gegensatz zu früher, wo hier vor allem kleine Trödelhändler ihre Stände aufgeschlagen hatten, wird jetzt ein großer Teil des Marktes von Altkleiderhändlern monopolisiert. Inmitten auf Tischen aufgetürmter Klamottenberge thronen ihre Angestellten und lassen die wühlenden Kunden nicht aus den Augen. Allein der türkische Altkleiderhändler Kursan Selahattin, der jedes Wochenende mit seinen 15 Angestellten aus Hamburg anreist, hat mit seinen Ständen inzwischen 500 Quadratmeter belegt. »Meine Kunden sind eher arme Leute, halbe-halbe Ausländer und Deutsche«, sagt Selahattin, bei dem eine Jeans schon für fünf Mark zu haben ist. An einem Stand auf der anderen Seite schimpft ein 48jähriger Gebrauchtwarenhändler, seit 18 Jahren dort im Geschäft, daß der Markt durch die Polen immer mehr an »Niveau verliert«. Es werde inzwischen so skrupellos gehandelt, daß er deshalb kaum noch zum Scherzen aufgelegt sei. Eine Lederjackenverkäuferin beklagt, daß die alternative Szene den Markt kaum noch besucht. »Früher war es in, Trödel zu kaufen. Jetzt gehen die Leute wieder mehr in Boutiquen.«

Der Marktaufseher Günther Jacobi erzählt, daß er inzwischen sechs zehnköpfige »Zigeunersippen« kenne, die im Gedränge auf Diebes- Beutezug gingen. Vor allem die Frauen und Kinder würden zum Klauen von Portemonnaies und Klamotten losgeschickt. »Eben habe ich wieder eine Sippe gesehen und weiß jetzt schon, daß heute nachmittag mindestens fünf Leute ihre Papiere vermissen«, wettert Jacobi, der seit 16 Jahren die Standmiete eintreibt. Ohne den Polenmarkt, glaubt er, hätten die Diebe nicht so ein leichtes Spiel. Auf den Krempelmarkt als »Vielvölkermarkt« will der Aufseher jedoch nichts kommen lassen, denn: »Es gibt keinen Ort in Berlin, wo sich Türken mit Griechen und Serben mit Kroaten so friedlich mischen wie hier.« Plutonia Plarre