: Bewegungen im Wellental
■ 15 AutorInnen versuchen eine Bilanz über die „Neuen Sozialen Bewegungen“
„In einer Zeit der Stille ist die Gelegenheit günstig, Bilanz zu ziehen“, meinte Christoph Butterwege gestern bei der Vorstellung eines Sammelbandes über „Neue Soziale Bewegungen in einer alten Stadt“. Christine Bernbacher, Herbert Brückner, Peter Kuckuk, Susanne Schunter-Kleemann und viele andere berichten und beleuchten ganz unterschiedliche Aspekte der bewegten Geschichte Bremens vor allem seit 1958/1960.
Die Herausgeber meinen, daß den Bewegungen das Bewußtsein ihrer geschichtlichen Wurzeln fehle. Erst dieses ermögliche ihre gesellschaftliche und politische Einschätzung. Besonderen Wert legen sie dabei auf die Darstellung der Verbindung zu den frühen Bewegungen der 50er und 60er Jahre.
Die Herausgeber gehen davon aus, daß soziale Bewegungen sich geschichtlich gleichsam „wellenförmig“ in einer Berg- und Talbewegung verhalten. Dabei bleibe ein „fester Kern“ von Aktiven als Grundstock an gesellschaftlichem Protestpotential immer erhalten, auch in Phasen der scheinbaren politischen Stille. Rostocker Krawalle sind für Butterwegge keine Bewegung: Die „politischen Aktivitäten“ rechtsradikaler Kreise wie in Rostock oder Bürgerinitiativen gegen Drogenabhängige seien kein Bestandteil der NSB, weil sie „nicht demokratisch sind“. Er vertrat die Ansicht, daß diese Kräfte gerade deswegen so anwachsen konnten, weil die sozialen Bewegungen immer stiller wurden.
Den Beginn der Phase der Neuen Sozialen Bewegung setzt Butterwege 1958-60 an. Damals entstand die „autonome“, von SPD und Gewerkschaften unabhängige Friedensbewegung, die gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr stritt.
Als Erfolge der NSB lobten Butterwegge und Hans G. Jansen die Verhinderung der sog. Mozarttrasse und die Initiative von Gerold Jansen gegen die Bebauung des Hollerlandes. Derzeitig befinde sich die NSB allerdings in einem Tief. „Das Gefühl, durch eigenes Handeln gesellschaftliche Probleme lösen zu können, ist gering“, diagnostizierte Jansen.
Hier sieht Butterwegge neue Aufgaben für die Politikwissenschaft, die nicht länger staats- und institutionenfixiert sein sollte. Mitherausgeber Jansen, Professor an der Hochschule Bremen, ergänzte: „Die besondere Relevanz der NSB liegt darin, daß sie den politischen Unwillen als Basisbewegung auffangen und Unmut kanalisieren können.“ M.B.
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