JAMES TATE

Wann immer ich John Ashbery fragte, welche Dichter der ihm folgenden Generation er besonders schätze, so nannte er, neben Leslie Scalapino und Ann Lauterbach, stets James Tate. Tate beherrsche, so Ashbery, das Metier, „den Leser zu verwirren, zu kitzeln, zu verblüffen oder ihm einen Schrecken einzujagen“. Aber all diese Fähigkeiten haben offenbar nichts daran zu ändern vermocht, daß James Tate bis zum April 1992 auch in den USA ein weithin Unbekannter geblieben ist. Es kostete Mühe, in den Buchhandlungen wenigstens einen seiner neun Gedichtbände — von „The Lost Pilot“ (1967) bis zu „Distance from Loved Ones“ (1990) — ausfindig zu machen. Die Klappentexte gaben kaum Aufschluß über den Poeten, repetierten nur jeweils: „1943 in Kansas City, Missouri, geboren, dort aufgewachsen, gewann er mit seinem ersten Buch den ,Yale Series of Younger Poets Award‘ (den Preis übrigens, der Ashbery ein Dutzend Jahre zuvor von W. H. Auden zugesprochen wurde), erhielt 1976 ein Guggenheim Fellowship, unterrichtet an der University of Massachussetts und lebt in Amherst.“ Dann, im April 1992, wird ihm out of the blue der höchste Lyrikpreis der USA, der „Pulitzer Prize for Poetry“, zugesprochen.

Seine Gedichte erzählen Geschichten, die ohne logischen Erzählstrang auskommen. Der Boden wird ihnen weggezogen, andere Ebenen dafür eingezogen, doppelsinnig, doppel(fall)türig. Skepsis beherrscht die leicht surreale Szene, doch hat Tate eine komische Ader, die mit allen Mitteln der Farce, oft mit chaplinesken Einlagen, eine komfortable Düsternis oder einen Skeptizismus der deutschen Art verhindert. Vielleicht hat Donald Justice das Genaueste über sie gesagt: „Diese Gedichte beginnen damit, die Verzweiflung als erwiesenen Fakt anzusehen, und hören damit auf, uns zu zeigen, daß es möglich ist, das Gleichgewicht zu halten, indem wir auf der dünnen Luft über dem Abgrund tanzen. Sie sind komisch, pathetisch, verschroben, durchtrieben, liebevoll — nicht eins nach dem anderen wechselbadmäßig, sondern all das zugleich. Sie bleiben völlig frisch, völlig biegsam. Sie haben den Swing.“ Joachim Sartorius

Bibliographischer Kurzhinweis:

Ecco Press, New York, hat einige frühere Gedichtbände neu aufgelegt, zum Beispiel „The Lost Pilot“ and „Riven Doggeries“. In der Wesleyan University Press ist 1991 ein sehr brauchbarer Sammelband erschienen, den J. Tate selbst zusammenstellte: „Selected Poems“, Hannover, New Hampshire.

Die deutschen Übersetzungen auf dieser Seite sind Erstveröffentlichungen.