: Asylbewerber in deutschen Aufnahmelagern: ihr Alltag, ihr Frust und ihr angespanntes Verhältnis zu den Deutschen
■ Und jetzt auch noch die Angst * Kein Paß, keine Arbeit, kein Zuhause. Sie leben in einer Umgebung, die sie zu "Fremden"...
Und jetzt auch noch die Angst Kein Paß, keine Arbeit, kein Zuhause. Sie leben in einer Umgebung, die sie zu „Fremden“ auf unbestimmte Zeit verurteilt. Nach den Krawallen von Rostock trauen sich die Bewohner eines Dresdner Flüchtlingsheims kaum noch auf die Straße. Und deutsche Politiker schütten weiterhin Öl ins Feuer. Reportagen aus der Provinz.
Wenn El-Ali aus dem Fenster schaut oder vor die Tür tritt, sieht sie in ein Geviert langgezogener, sechsstöckiger Betonhäuser. Wenn die Leute aus diesen Betonhäusern auf ihren Balkonen sitzen, können sie bequem das Treiben in dem neuen Flüchtlingsheim beobachten, das einmal ein Kindergarten war. Die 50 AsylbewerberInnen aus Rumänien, Vietnam, der Türkei, aus dem ehemaligen Jugoslawien und die vielen DresdnerInnen ringsum in den Blöcken haben viel Zeit, einander zuzuschauen, viel mehr, als ihnen erträglich ist. Doch zum Kennenlernen hat die Zeit noch nicht gereicht. Anfang Oktober wollen nun die Flüchtlinge und der Dresdner Ausländerrat, der das Heim kürzlich unter seine Obhut genommen hat, ihre NachbarInnen zu sich einladen, zum Essen, Reden, vielleicht Feiern.
Selbst wenn das Treffen gelingt — El-Alis Nachtruhe wird es ihr nicht zurückgeben können. „Seit wir die Bilder aus Rostock gesehen haben, leben wir nur noch in Angst“, sagt die 23jährige Palästinenserin. Kamal und Essem, ihre beiden Großen, müßten eigentlich in die Schule gehen. „Weiß ich, ob sie dann eines Tages von der Polizei oder der Ambulanz nach Hause gebracht werden?“ Al Ashari Tariq, ihr Mann, bringt einen Stoß Papiere und kramt einen zerlesenen Zeitungsausschnitt hervor. Eine Chemnitzer Zeitung, der Text beschreibt die Folgen eines Überfalls auf das Asylbewerberheim im sächsischen St. Egidin. Al Ashari zeigt auf das Foto: „Das sind wir.“ Damals mußten die Kinder mit Reizgasvergiftungen ins Krankenhaus, der Vater lag zwei Monate dort mit einem Messerstich im Rücken.
Warum sind sie nach Deutschland gekommen? El-Ali fragt zurück: „Kennst du die Vereinigten Emirate? Kennst du den Golfkrieg?“ Als Palästinenser bekamen sie nach dem Golfkrieg keinen neuen Stempel in den Paß, sie mußten fort. „Ich habe zwei Onkel in Deutschland. Die sagten, komm doch hierher, hier hast du eine Chance.“ Doch die Verwandten leben in Berlin, die Familie aber kam nach Sachsen. „Wir müssen von einem Heim zum anderen, das ist nicht gut. Kein Paß, keine Arbeit, kein Zuhause.“ Der kräftige, junge Mann ist verzweifelt.
Das Warten zermürbt. Vor das Haus, in die Stadt wagt er sich erst gar nicht; irgendeine Arbeit sucht der gelernte Maler mit Unterstützung des Ausländerrates bisher vergebens. Vor dem Fernseher und im Gespräch mit den BetreuerInnen hat El-Ali die deutsche Sprache schon ganz gut gelernt. Sie wünscht sich, ihr Deutsch bei Freunden, im Alltag zu schulen — und weiß doch, daß daran vorläufig nicht zu denken ist. Ständig Umzug in neue Heime, eine Umgebung, vor der sie Angst hat, die sie verurteilt zur „Fremden“ auf unbestimmte Zeit. „Mein Mann geht in die Kaufhalle, und alle Leute gucken: ein Ausländer!“ wundert sich El-Ali. „Warum nur? Wir sind doch Menschen wie sie. Was sollen wir machen? Sollen wir uns die Haare färben?“
Einmal habe die Familie versucht, in Berlin unterzukommen. Die Behörden dort sagten, wenn sie im Osten Angst hätten, dann sei das ihr Problem. „Dort leben viele wie Du, da kannst Du auch dort bleiben“, hieß der gute Rat für den Rückweg. Al-Ashari zeigt einen Briefbogen der Stadtverwaltung Plauen/Vogtland. „Das ist jetzt unser Paß.“ Nachdem die Zentrale Aufnahmestelle (ZAST) in Düsseldorf ihre Pässe eingezogen hatte, bekam die Familie von dort ein Schreiben für die sächsische ZAST in Chemnitz. Darin waren, für die Betroffenen völlig unerklärlich, die Paßnummern geändert worden. Chemnitz schickte sie nach Plauen, und dort bestätigt ein Herr König, „Sachgruppenleiter Ausländerwesen“, daß nach den Pässen gesucht werde. Das Schreiben trägt das Datum 11.März 1991.
„Ich will mich nicht mit Deutschen schlagen“
Die vierjährige Mara klettert am Schrank zu den Süßigkeiten empor. Mutter Tariq erinnert sie an die Zahnschmerzen. „Morgen geht sie wieder in den Kindergarten. Für Kinder ist die andere Hautfarbe kein Grund zur Sorge — aber vielleicht schon morgen.“
Hasim Malici hat beschlossen, die Dresdner Schule nie wieder zu betreten. Der 16jährige Mazedonier war von Schülern angepöbelt und angegriffen worden. „Ich will mich nicht mit den Deutschen schlagen“, stellt er klar. Und im Westen, wo er die ersten acht Monate in Deutschland verbracht hatte, war das auch nicht nötig. Die Schule in Hellenthal bescheinigte ihm gute Fortschritte in der Sprache, hohes Wissen in Geographie und Biologie und sehr gute Leistungen im Sport. Hasim überlegt, ob er Dolmetscher oder Mechaniker werden will; doch ohne überlegen zu müssen, weiß er, daß er nicht im Osten bleiben wird.
Vorläufig braucht ihn aber die Familie. Von daheim brach er mit seiner Mutter und der Schwester auf, nachdem eines Nachts Miliz ins Haus gedrungen war, um Vater und Onkel zum Militärdienst zu holen. Seine Schwester ist heute wieder in die Schule gegangen, obwohl sie angefeindet wurde und der Direktor nur die Schultern gezuckt hat. „Sie steckt das weg und will sich durchsetzen“, vermutet Hanna Stoll, Betreuerin vom Dresdner Ausländerrat. Seit den Rostocker Krawallen streift auch die Polizei regelmäßig das Flüchtlingsheim. Detlef Krell, Dresden
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