Größter Stützpunkt in Ostdeutschland

■ Bis zum Abzug der ehemaligen sowjetischen Truppen aus Deutschland im Jahr 1994 will die Bundeswehr in Berlin über 3.600 militärische und zivile Kräfte stationieren/ Umzug in ehemalige Quartiere der Alliierten schon von nächstem Jahr an

Berlin. Nein, verloren oder bedroht fühle er sich keinesfalls, wenn er per »Auto oder Fahrrad« in Uniform zum Dienst fahre, beteuert Major Otto- Eberhard Zander, Sprecher der Bundeswehr in Berlin. Doch so mutig wie Zander sind viele seiner Kollegen nicht. Uniformen der Bundeswehr sind bisher im Stadtbild selten anzutreffen. Außer auf öffentlichen Diskussionsveranstaltungen bleibt die Truppe in Berlin lieber unter sich. So fand die jüngste Vereidigung von Rekruten — von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet — gar hinter den schützenden Mauern der Bundeswehrkaserne in Treptow statt, der bisher einzigen Berlin.

Leicht haben sie es wahrlich nicht, die Männer von der »starken Truppe«, wie sich die Bundeswehr in der Eigenwerbung gerne selbst bezeichnet. Zumindest im Westteil war die Präsenz deutscher Armeeuniformen bis zur Vereinigung unbekannt. Und selbst die allierten Truppen ließen sich — außer zu Paraden und gelegentlichen öffentlichen Empfängen — außerhalb ihrer Ghettos kaum blicken. Seit dem dem 3.Oktober 1990 hat die Bundeswehr nun auch Berlin — und die Berliner haben die Bundeswehr. Einen Großteil der Gebäude aus dem Inventar der bewaffneten DDR-Organe wurde von ihr übernommen. Etwa das ehemalige Krankenhaus der Volkspolizei in der Scharnhorststraße, wo derzeit rund 700 Personen — überwiegend im zivilen Bereich — beschäftigt sind. Knapp 400 Betten stehen zur Verfügung.

Das Jägerbataillon 581 haust heute in den alten Kasernenanlagen, die bis zur Wiedervereinigung vom DDR-Wachregiment »Friedrich Engels« beansprucht wurden. Noch umfaßt das Bataillon 600 Mann, am Ende sollen es 750 sein.

Ob weitere Truppenteile in der neuen Hauptstadt stationiert werden, hänge von »der Ausgestaltung des Regierungszentrums«, heißt es sybillinisch im Bonner Verteidigungsministerium. Dazu zählen unter anderem das Bonner Wachbataillon, das Stabsmusikkorps und der Flugbereitschaftsdienst der Luftwaffe. Mit seinen derzeit 1.300 Beschäftigten und diversen Maschinen sorgt er für den Transport von Regierung und Parlamentariern.

Bis 1994 sind laut Plan 1828 Soldaten für Berlin vorgesehen, danach soll auf 2.841 aufgestockt werden. Zusammen mit den zivilen Mitarbeitern stünden dann nach 1994, dem endgültigen Abzug der ehemaligen sowjetischen Streitkräfte, rund 3.600 Bundeswehrangehörige im neuen Regierungszentrum — heute sind es 1.400. Im Vergleich zu Dresden und Leipzig, wäre »es der größte Stützpunkt in den neuen Ländern, aber auch nicht größer als derzeit Bonn«, wie Oberstleutnant Ulrich Twrsnick vom Verteidigungsministerium versichert.

Auf diverse Gebäude und Grundstücke hat die Bundeswehr schon seit längerem ein Auge geworfen. Schließlich werden ab 1994 auch die drei allierten Streitkräfte aus Berlin abgezogen. Sicher ist: Das Verteidigungsbezirkskommando 100 mit seinen rund 100 Mitarbeitern wird 1995 von Rummelsburg in das »Quartier Napoléon« umziehen — bisher von den französischen Truppen genutzt. Und das Jägerbataillon soll schon im nächsten Jahr aus der baufälligen Kaserne am Treptower Park in die »Montgomery-Barracks« in Kladow verlagert werden. Eine Namensänderung ist anvisiert — schließlich war Montgomery ein siegreicher britischer Feldherr im Zweiten Weltkrieg und sei daher »kaum für eine Bundeswehrkaserne geeignet«, wie Zander erklärt. »Wir werden die Kommune bei der Namensfindung mitberücksichtigen.«

Schließlich zieht der Stab der 5.Luftwaffendivision von Strausberg nach Gatow, heute noch britischer Militärflugplatz.

An die Stationierung schwerer Waffen sei in Berlin nicht gedacht, verlautet es von der Bonner Hardthöhe. Oberstleutnant Twrsnick verweist darauf, daß in anderen Großstädten wie Bremen und Hamburg bereits bestehende Einheiten geräumt werden: »Wir versuchen, aus den Großstädten herauszukommen. Denn Panzer und schwere Lastwagen tun sich schwer, in dem dichten Verkehr wie durch eine Fußgängerzone zu fahren — um es einmal bildhaft auszudrücken.« Viel leichter werde die Bundeswehr von der Bevölkerung auf dem Land akzeptiert: »Oftmals ist sie ja dort ein erheblicher Wirtschaftsfaktor.«

Das Gros der 6.000 Bundeswehrbeschäftigten soll auf der Bonner Hardthöhe bleiben. Vierhundert werden nach den Vorstellungen von Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) in die neue Hauptstadt wechseln müssen — die Leitung des Ministeriums und die Führung der Bundeswehr. Ihr neuer Arbeitsort könnte dann das ehemalige Reichswehrministerium in der heutigen Stauffenbergstraße sein. Eine historische Stätte: Hier planten die Offiziere um Oberst Claus Graf von Stauffenberg das Attentat vom 20.Juli 1944 auf Hitler. Nach ihrem Scheitern wurden er und drei weitere Offiziere im Hof erschossen. Rühe will hier ein Zeichen dafür setzen, daß sich die Bundeswehr »der vorbildlichen Haltung der Widerstandskämpfer des 20.Juli 1944« auch in Zukunft verpflichtet fühle. Severin Weiland