Hemdwechsel

■ betr.: Ausschreitungen in Rostock

betr.: Ausschreitungen in Rostock

Bei den Ausschreitungen in Rostock wird deutlich, daß das Maß an Toleranz, welches eine Gesellschaft gegenüber Minderheiten aufbringt, direkt vom Wohlstand derselben abhängt. Gleichzeitig beginnt die Mehrheit der Bevölkerung das Phänomen der sogenannten Zweidrittelgesellschaft zu akzeptieren und selbst die besserverdienende Schicht mit einer eher politisch linken oder ökologischen Einstellung gibt ihr Geld vorzugsweise im Ökoladen oder für den toskanischen Weißwein aus und realisiert nicht mehr, daß dieser Wohlstand und die damit verbundene Toleranz gegenüber Minderheiten nur deswegen möglich ist, weil es dieses restliche Drittel gibt, welches zum Beispiel aufgrund der immer mehr zunehmenden Arbeitslosigkeit an das Existenzminimum gedrückt wird. Die Bewältigung des Problems Arbeitslosigkeit als eine der Möglichkeiten, hier eine Ursache solcher Ausschreitungen und nicht nur Symptome zu bekämpfen, interessiert nur keinen mehr, wenn man von den Arbeitslosigkeitsstatistiken absieht, aus denen ein aufmerksamer Leser schon direkt herauslesen kann, daß die Arbeitslosenrate gerade in den neuen Bundesländern wesentlich höher ist. Was sonst ist ein Kurzarbeiter oder ein Umschüler?

Nur sollte dann bei solchen Ausschreitungen Rechtsradikaler gegen Minderheiten wenigstens ganz klar mit entsprechender Gewalt und nicht mit einer Diskussion über Gewaltverzicht reagiert werden — und dies bei der hier unstreitig erfolgten Bedrohung von Menschenleben auch unter Einsatz der Schußwaffe. Aber dies scheint nur bei Pfeifkonzerten in München oder bei der Anreise linker GegendemonstrantInnen vier Tage später und bei Prozessen gegen die RAF zu funktionieren. In Mecklenburg-Vorpommern wechselt der Herr Innenminister lieber sein Oberhemd und verzichtet aus angeblich sicherheitstechnischen Bedenken auf seine Präsenz in Lichtenhagen, während ein Asylantenheim einfach ganz ungehindert angezündet werden kann, in dem sich zu diesem Zeitpunkt auch noch Menschen befanden. Und dann heißt es ganz dummdreist noch, man habe zu diesem Zeitpunkt nicht gewußt, daß Menschenleben bedroht waren. Nun, das Einholen solcher Informationen wäre mir beim Hemdenwechseln auch nicht möglich gewesen. Bernhard Loh, Rechtsanwalt, Berlin