piwik no script img

Stürzt Panic über Milosevic oder Milosevic über Panic?

Das Parlament in Belgrad soll heute über einen Mißtrauensantrag gegen den jugoslawischen Premier Panic entscheiden  ■ Von Roland Hofwiler

Budapest (taz) — Als Milan Panic, der vielleicht letzte Premier Rest-Jugoslawiens, Mitte Juli sein Amt übernahm, da forderte er von der Weltöffentlichkeit eine „Frist von 100 Tagen“. Noch sind diese nicht einmal zur Hälfte abgelaufen — doch schon steht der reisefreudige US- Millionär serbischer Abstammung mit dem Rücken zur Wand: Heute soll das Parlament in Belgrad über einen von der „Sozialistischen Partei“ des serbischen Präsidenten Milosevic eingebrachten Mißtrauensantrag gegen Panic entscheiden.

Die Vorwürfe gegen Panic lassen sich auf einen einfachen Nenner bringen: Der Ministerpräsident verkaufe Serbien an Westeuropa, er mache zu große Zugeständnisse gegenüber den kroatischen und bosnischen Kriegsgegnern, verspreche den Kosovo-Albanern und den Ungarn der Wojwodina Autonomierechte, die die staatliche Einheit Serbiens ernsthaft gefährden könnten. Vor allem aber sei sein Vorschlag, die derzeitigen Republikgrenzen der neuen Balkanstaaten als „vorläufige Staatsgrenzen“ anzuerkennen und in späteren Verhandlungen neue Kompromisse über den Grenzverlauf auszuhandeln, für Serbien unannehmbar.

Der Grund für die Kritik liegt klar auf der Hand: Mit der Anerkennung der Republiken Bosnien und Kroatien müßten die Serben alle Kriegseroberungen — die besetzten Gebiete in Kroatien und Bosnien — aufgeben und sich militärisch zurückziehen. Damit aber wäre die Eroberungspolitik Milosevics — und auch er selbst — gescheitert.

Der serbische Präsident setzt darauf, daß er seine Interessen in Bosnien ebenso erfolgreich wie bereits in Kroatien durchsetzen kann. Denn die in Ostslawonien und der Krajina stationierten UNO-Soldaten machten den Serben große Zugeständnisse: In diesen — überwiegend serbisch bewohnten — Regionen Kroatiens gelten nicht mehr die kroatischen, sondern serbische Gesetze. Dort wird mit serbischem Geld gezahlt, dort war die geplante Rüchsiedelung der kroatischen Bevölkerung bisher nicht — oder nur in begrenztem Umfang — möglich.

Und genau diesen Erfolg stellt Panic nun in Frage. Der US-Amerikaner ist Realist genug, um zu wissen, daß die Regierungen in Zagreb und Sarajevo niemals auf die von serbischen Truppen eroberten Gebiete verzichten werden — kommt es nicht zu Friedensgesprächen, wird der Krieg noch Jahre dauern und sich möglicherweise auch auf serbisches Territorium ausdehnen.

Panic befriedete die serbische Opposition

Daß es zwischen Milosevic und Panic zu einem Machtkampf kommen würde, war vorauszusehen. Denn der serbische Präsident hatte seinen heutigen Gegenspieler nicht aus Kalifornien nach Belgrad gerufen, weil er von den politischen Plänen des Pharmaherstellers überzeugt war. Vielmehr sollte Panic ihm aus der Patsche helfen: Mehrere Wochen lang hatten Arbeiter und Studenten gegen den serbischen Präsidenten demonstriert, wurde sein Rücktritt gefordert und der Ruf nach Neuwahlen laut.

Doch mit Panic flauten die Demonstrationen ab, ließ sich die serbische Opposition vertrösten. Der 62jährige Fabrikant klopfte denn auch große Sprüche: „Ich gehe auf ein Piratenschiff“, erklärte er bei seiner Abreise aus den USA, „wenn ich aber Kapitän werde, wird aus dem Piratenschiff ein Boot des Friedens“.

Dies jedoch war eine Wunschvorstellung. Dem Newcomer gelang es nicht, die alten politischen Strukturen aufzubrechen, die Kämpfe in Sarajevo haben sich in den letzten Wochen weiter verschärft. Und so ist dem von sich selbst überzeugten Premier bisher eigentlich nur eines gelungen: Da viele ausländische Politiker eine Ausrede für ihr fehlendes Engagement auf dem Balkan suchen, setzen sie auf ihn als Gegenspieler des serbischen Präsidenten. Er, so heißt es in vielen Hauptstädten, werde Milosevic zum Frieden zwingen.

Doch auch in Serbien selbst ist Panic populär. Glaubt man serbischen Meinungsumfragen, so sehen über 70 Prozent der Einwohner Rumpf- Jugoslawiens in Panic den letzten Garant, daß sich durch ihn innenpolitisch noch etwas zum Besseren verändern kann. Belgrader Zeitungen meldeten diese Woche, 66 Prozent der Einwohner der Hauptstadt würden den Mißtrauensantrag gegen Panic ablehnen.

Und selbst der jugoslawische Präsident Dobrica Cosic, der bisher stets als ein Gefolgsmann von Milosevic galt, kritisierte nun die Angriffe auf seinen Premier. Einen Tag vor der Abstimmung in Belgrad hat sich Panic daher wieder etwas „Luft“ verschafft. Die Sozialistische Partei distanzierte sich von ihrem eigenen Antrag, ein Milosevic-Sprecher ließ verlauten, daß die beiden Kontrahenten sich in ihren politischen Standpunkten einander genähert hätten. Noch freilich ist der Machtkampf nicht entschieden. In der Bevölkerung gibt es auch Stimmen, die den Amerikaner am liebsten wieder zurück in Kalifornien sehen wollen. Kürzlich veröffentlichte die Tageszeitung Borba, die eindeutig für den jugoslawischen Regierungschef Stellung bezieht, eine Straßenumfrage, in der Milosevic besser abschnitt als Panic. Die Vorwürfe lauteten: „Typischer Amerikaner“, „keine Ahnung hat der von der serbischen Volksseele“, „vielleicht ist er ein Spion?“

Und so wird sich heute zeigen, ob der Angriff von Milosevic nur ein Warnschuß war, mit dem er die sich verselbständigende Gallionsfigur Panic disziplinieren wollte, oder ob er tatsächlich seine Entmachtung betreibt und es zur Abstimmung kommt. Möglich wäre aber auch, daß nun Panic seinerseits aufs Ganze geht und Milosevic mit radikalen Friedensangeboten an Bosnien weiter herausfordert.

Sollte es zur Abstimmung kommen, kann Panic diese nur als Verlierer verlassen. Im Parlament sitzen aufgrund des Wahlboykotts bürgerlicher und oppositioneller Parteien nur Anhänger der alleinregierenden Sozialistischen Partei Milosevics.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen