: „Früher genügten kleine Geschenke“
Die Regierung der kleinen Ex-Sowjetrepublik Moldova frustriert ihre potentiellen neuen Unternehmer ■ Aus Chisinau Keno Verseck
„Nehmen wir an, es gibt von einer bestimmten Ware in diesem Land 1.000 Stück. Ich kann hier zehn Leute finden, von denen mir jeder diese 1.000 Stück verkaufen will und mit mir darüber einen Vertrag abschließt.“ Alexander Staniu* scherzt nicht. Daß er es ernst meint, läßt sein entnervter Unterton ahnen. Aber bevor man begriffen hat, wie zehn Leute jeweils 1.000 Stück einer Ware verkaufen können, von der es überhaupt nur 1.000 Stück gibt, wird es noch ungereimter. „Obwohl ich zehn Verträge in der Hand habe, ist es wahrscheinlich, daß ich von der Ware gar nichts bekomme.“
Dubiose Geschäfte mit der Unterwelt? Darauf würde sich Alexander Staniu nicht einlassen. Er ist seriöser Unternehmer und Staatsbürger der kleinen Ex-Sowjetrepublik Moldova, die vor einem Jahr unabhängig wurde. Sein Diplom als Ökonom machte er zu Gorbatschows Zeiten und arbeitete dann im moldovanischen Außenhandelsministerium. Vor zwei Jahren setzte ihn eine westliche Firma auf den Posten eines Generalvertreters in Moldova. Eigentlich sollte er längst ein funktionierendes Tochterunternehmen aufgebaut haben. Doch während der zwei Jahre kam etwas ganz anderes zustande: der Entschluß, auszuwandern.
Dabei versprach die Anfangszeit durchaus Erfolg. Von seiner Firma wurde Staniu beauftragt, eine Industriegerberei aufzubauen. Der junge Geschäftsmann fand schnell Gebäude, Arbeiter und Zulieferer von Rohmaterial; die Maschinen sollten aus dem Westen angeliefert werden. Nach acht Monaten Papierkrieg gegen die Bürokratie waren die Verträge für das Joint-venture unterschriftsreif, die Gerberei hätte umgehend anfangen können zu arbeiten. Ein Angestellter im Agrarministerium ließ das Geschäft platzen. Von einem Tag auf den anderen. Begründung: Man wolle die Rohhaut lieber ins Ausland verkaufen, anstatt sie in Moldova zu Leder zu verarbeiten. Das Ministerium habe einen besser zahlenden ausländischen Abnehmer gefunden, mutmaßt Staniu. Entschädigung gab es keine. Für die betroffene Firma ein millionenschweres Verlustprojekt.
Marx, Keynes, Friedman — alle Dummköpfe
Geschichten dieser Art kann in Moldova nahezu jeder erzählen. Doch der interessierte Besucher findet sie ohnehin schnell durch eigene Erfahrungen ergänzt. Für ein Interview mit einem Minister kassiert ein „Vermittler“ erstmal 50 Dollar. Zahlt man das Dreifache der Summe, steht auch Präsident Mircea Snegur jederzeit zur Verfügung, spätere Preissteigerungen vorbehalten. Im Vergleich zu Moskauer Konditionen sind das mäßige Preise. Sie amortisieren sich trotzdem nicht, jedenfalls nicht, wenn man sich glaubwürdige Informationen erhofft.
Der Ex-Wirtschaftsminister Constantin Tampiza zum Beispiel verwechselt laufend die Begriffe Bruttosozialprodukt, Bruttonationalprodukt und Nationaleinkommen. Die Zahlenangaben, die er macht, fallen bei seinem Kollegen Gheorghe Efroz anschließend ganz anders aus. Der Ex-Minister für Wirtschaftsreformen setzt, auf Korruption angesprochen, eine äußerst besorgte Miene auf und philosophiert sodann über sein Reformprogramm. Darin werden in zwei von drei Kapiteln Marx, Keynes und Friedman gleichermaßen zu Dummköpfen erklärt. Die Wirtschaftszahlen in der denkwürdigen Schrift widersprechen selbstverständlich allen vorherigen.
Der Chef der moldovanischen Statistikbehörde, Ion Iurash, wiederum läßt nach einem Kreuzverhör durchblicken, daß man Publikationen seines Amtes lieber keinen Glauben schenken sollte. Aber nicht nur, daß er dem Besucher einen ansehnlichen Packen derselben stolz überreicht. Mitte Juni präsentierte er auch eine hochdetaillierte Liste mit den Wirtschaftsergebnissen des ersten Halbjahres 1992 — als offizielles Dokument der Republik Moldova.
Ebenfalls als Fehlinvestition erweisen sich Interview-Vermittlungskosten bei Mitgliedern der neuen Regierung. Der alte und neue Außenwirtschaftsminister Andrei Cheptine etwa ist Weinbauer und als solcher ministerieller Exponent der Agrarier. Sie stellen im Parlament eine gewichtige Fraktion und sind als Mafia-Gruppierung bekannt, weil sie unter Privatisierung der Landwirtschaft private Bereicherung verstehen. Cheptine kommt zwar ins Stottern, wenn es um Grundzusammenhänge der Außenwirtschaft geht. Aber er macht den Eindruck, als verstünde er sehr viel vom Verschieben diverser Mangelwaren. Nachdrücklich verteidigt er das Lizenzsystem im moldovanischen Außenhandel. Es schreibt vor, daß für eine bestimmte Warengruppe, die die Bezeichnung „strategisch“ trägt, Exportgenehmigungen eingeholt werden müssen. Zu einer vollständigen Aufzählung der etwa 15 strategischen Waren ist Cheptine nicht fähig. Immerhin erfährt man, daß unter anderem Sonnenblumenöl, Apfelsaftkonzentrat und Gerbereiprodukte und Rohhäute betroffen sind.
Kein Wunder also, daß Alexander Staniu bei Erwähnung strategischer Waren nur noch stöhnt. „Kaum besteht im Ausland Nachfrage nach irgend etwas, was Moldova produziert, wird es sofort zur strategischen Ware erklärt. Die Lizenzvergabe bedeutet, daß praktisch das Ministerium Eigentümer der Ware ist und entscheiden kann, an wen zu welchem Preis verkauft wird.“ Einen rechtlichen Anspruch auf eine Lizenz gibt es nicht. Für Staniu wäre es daher wohl das Beste gewesen, hätte er dem Ministeriumsbeamten diskret ein hübsches Sümmchen zukommen lassen. Doch darauf wollte sich der Geschäftsmann nicht einlassen. „Früher genügten kleine Geschenke, Schuhe zum Beispiel. Schließlich hatte ich ja auch alle Papiere für das Joint-venture zusammen. Aber heute... Die Korruption ist abnormal gestiegen. Überhaupt, man kann sich weder auf ein existierendes Gesetz berufen noch irgend jemandem vertrauen.“
Vertrauen ist das Stichwort für den neuen Wirtschaftsminister Sergiu Certan. Der promovierte Ökonom scheint der einzig fähige Minister in der neuen Regierung zu sein. Er möchte mehr als nur das hemmende Lizenzsystem im Außenhandel abschaffen. Erstes Etappenziel ist ein völlig neues Reformprogramm, in dem Haushalts-, Währungs-, Finanz- und Investitionspolitik der Regierung auf die Wirtschaftskrise in Moldova abgestimmt werden sollen.
Psychotherapie statt Parlamentarismus
Bleibt nur das Problem der Umsetzung. Certan weiß zwar, daß die neue Regierung fast ausschließlich aus reformfeindlichen Ministern besteht, die früher zur Nomenklatura gehörten oder gar Politbüromitglieder der moldovanischen KP waren. Aber: „Es ist bekannt, daß ein effizientes Team Menschen verschiedener Richtung enthalten muß, konservative und solche, die etwas riskieren wollen.“ Certans Krisenmanagement klingt, als wäre es auf eine Therapiegruppe gemünzt: „Zwischen Regierung und Parlament gab es immer wieder Differenzen, das muß man zugeben. Wir kommen alle aus demselben System und müssen lernen, zu arbeiten, freundlicher miteinander umzugehen und uns bemühen, kooperativ zu sein.“
Alexander Staniu will bei der Therapie nicht mehr mitmachen, sondern nach Kanada ausreisen. Zur Zeit wartet er auf die behördliche Genehmigung.
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