: Gaertner und Lemke-Schulte verklagt
■ Anwohner ziehen gegen Drogenberatung in der Bauernstraße vor Gericht
Anwohner—Protest in der BauernstraßeFoto: Tristann Vankann
Wenn es nach den Anwohnern im Viertel geht, dann muß die Drogenberatungsstelle in der Bauernstraße dichtmachen und zwar so schnell wie möglich. Eine kurzfristig einberufene Anwohnerversammlung aus der Bauern-, Krefting- und Blumenstraße und der Straße Am Steinernen Kreuz beschloß am Freitagabend eine Klage gegen die Sozial- und die Bausenatorin auf Schließung der Drobs. Seitdem der Ostertorpark eingezäunt und für Junkies geschlossen ist, hat sich die Szene in das Quartier rund um die Drobs zurückgezogen. Und die AnwohnerInnen kämpfen jetzt mit fast allen Mitteln.
Nun wird das Verwaltungsgericht die Frage klären müssen, ob ein solches Dienstleistungszentrum in einem Wohngebiet zulässig ist, erklärt der klageführende Anwalt Rainer Kulenkampff. Im Bebauungsplan ist das Quartier als reines Wohngebiet ausgewiesen, die Drobs als Sozialeinrichtung kommt überhaupt nicht vor. Das fällt in die Zuständigkeit der Bausenatorin Lemke-Schulte. Um diese vermeindliche Un
rechtmäßigkeit zu ändern, müßte ein neuer Bebauungsplan erstellt werden. Und das kann dauern, allein wegen der vorgeschriebenen Bürgerbeteiligung. Zum zweiten darf ein Dienstleistungszentrum in einem so ausgewiesenen Gebiet nur die Versorgung des Quartiers leisten, nicht aber die der gesamten Stadt. Und das, da sind sich die Anwohner einig, tut genau die Drobs. Inge Steinecke von der Klägergemeinschaft: „Jeder Junkie, der einen Containerschlafplatz in der Vahr will, muß doch dahin kommen. Dort werden die Laufzettel ausgegeben.“ Dieser Magnetismus soll zerstört werden. Die AnwohnerInnen sind sicher, daß über eine Dezentralisierung der Angebote, die jetzt in der Drobs zentralisiert sind, das Viertel entlastet und die offene Szene bekämpft werden könnte.
Am Donnerstag sind die Aufforderungen auf Unterlassung bei Irmgard Gaertner, unter deren Fittichen die Drobs arbeitet, und Eva-Maria Lemke-Schulte eingetroffen. Die Senatorinnen haben Zeit bis zum 10 September, eine akzeptable Lösung vorzuschla
gen. Wenn die Behörden nicht reagieren, geht die KlägerInnengruppe zum Verwaltungsgericht. Rechtsanwalt Kulenkampff: „Wir richten uns schon für die erste Instanz auf mehrere Monate ein.“ In den nächsten Tagen wird die Möglichkeit einer einstweiligen Anordnung auf Schließung der Drobs geprüft. Dieter Decker von der Klägergemeinschaft: „So wie das zentralisiert ist, kann ich mir eine Reduzierung schlicht nicht vorstellen.“
Die Ostertorschen sind nach Jahren der relativ friedlichen Koexistenz mit der Szene mit ihrer Geduld endgültig am Ende. „Man kann das kaum vermitteln“, erzählt Dieter Decker, Ostertorscher in vierter Generation. „Tag für Tag steigen wir über Menschen, eitrige Verbände, blutige Spritzen und Kackhaufen. Und niemand fühlt sich so richtig zuständig.“ Bei der Versammlung am Freitag hatte es keine Gegenstimme zur Klage gegeben. Die TeilnehmerInnen im vollen Versammlungssaal des Ortsamtes erklärten sich sogar spontan bereit, sich an den Kosten des Verfahrens zu beteiligen. Aber nur wenige wollen sich in der Öffentlichkeit äußern. „Es herrscht große Angst. Die Aggressivität im Viertel schaukelt sich immer mehr hoch“, sagt Bodo Belinski von der Bauernstraßen-Initiative.
Die Notgemeinschaft der AnwohnerInnen ist überzeugt, daß mit dem nötigen politischen Willen die offene Szene im Viertel zerschlagen werden kann. Dazu werden die Zweifel immer größer, ob die Zahlen über die Obdachlosigkeit der Junkies im Viertel überhaupt stimmen. Drei der AnwohnerInnen haben eine Polizeistreife nachts begleitet und in zwei Stunden nur vier Junkies im Viertel gefunden, die für die Nacht kein Dach über dem Kopf hatten. Peter Steinecke: „Alle verschanzen sich hinter riesigen Obdachlosenzahlen: Die Junkies, weil die offene Szene vor Repression geschützt ist, je höher die Zahlen sind. Und die Politiker, weil sie dann sagen können, das Problem ist unlösbar.“ Und Bodo Belinski ergänzt: „Als 1985 die Bürger in Amsterdam das Rathaus besetzt und alle an einen Tisch gezwungen haben, ab da ist was passiert. Wir vermissen bei unseren Instanzen den politischen Willen.“ Jochen Grabler
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