piwik no script img

Das Recht auf Irrtum ist demokratisch

■ Wolfgang Leonhard im französischen Dom/ Die Hoffnung auf einen Sozialismus bleibt, gescheitert ist nur eine schmalspurige Herrschaftsideologie

Die letzte Frage, ob der Sozialismus eine Zukunft hat, beantwortete Wolfgang Leonhard mit einem Bild. Hätte ein islamischer Publizist im 16. Jahrhundert das dekadente und verderbte Papstregime in Rom, die Siege der Protestanten und die niedergebrannten Kirchen gesehen, die katholische Kirche hätte er für erledigt erklärt. Eine erkennbar vorschnelles Urteil, fügte Leonhard hinzu und erfüllte damit wohl die Hoffnungen der Mehrheit seiner rund 300 Zuhörer im Keller des Französischen Doms. Gescheitert sei nur der schmalspurige Marxismus-Leninismus, den sich die Herrschenden aus Marx und Lenin grob verfälscht zurechtgezimmert hätten, erklärte Leonhard. Doch wie ein solcher Sozialismus aussehe, konnte auch Leonhard nicht sagen. Nur: ökologisch werde er sein. Dies nämlich habe schon Friedrich Engels als Herausforderung beschrieben.

Der glühende Kommunist Leonhard gehörte im Frühjahr 1945 der neunköpfigen »Gruppe Ulbricht« an, die im Auftrag Stalins in Deutschland den Sozialismus aufbauen sollte. Desillusioniert aber flüchtete er wenige Jahre später; zunächst nach Jugoslawien, das sich von Stalin losgesagt hatte und mit Arbeiterräten einen demokratischen Weg zum Sozialismus einschlagen wollte. Seiner schonungslosen Abrechnung mit dem Stalinismus, der alle sozialistischen Ideale pervertiert, in seinem Buch »Die Revolution entläßt ihre Kinder« hat er jetzt eine Fortsetzung, »Spurensuche«, folgen lassen.

Wie konnte aus besten Absichten das verkrustete und korrupte Regime der DDR werden, fragte Leonhard am Donnerstag abend seine Zuhörer, bei denen die verbitterten und enttäuschten, weil ehrlich bemüht gewesenen Sozialisten überwogen, denen mit der Mauer mehr als ein Unterdrückungsystem zerbrach. Antworten gab es wenige, der Zusammenbruch und die Wendefolgen standen im Mittelpunkt. Eingeladen von der »Gedenkbibliothek für die Opfer des Stalinismus« vertrat Leonhard, das »Recht auf Irrtum ist ein demokratisches«. Rechenschaft müsse jeder ablegen, auch dazu stehen, was man damals richtig fand. Gleichzeitig aber sei es nötig, das damalige Handeln von heute aus zu befragen. Falsch aber sei die westliche Hexenjagd, bei der die DDR- Macht nur ausgetauscht werde. Sie mache nicht lernwillig, sondern bringe nur zerstörte Persönlichkeiten und unbedingten Anpassungswillen hervor. Nicht die Informellen Mitarbieter dürften deshalb Ziel der Vergeltung sein, verantwortlich zu machen seien vielmehr die Leitung der Stasi und die Nomenklaturkader. Die Tausende von IMs hätten nur Aufträge ausgeführt, Verhaftungen und Folterungen aber seien von den Stasi-Hauptabteilungen angeordnet worden. Gerade diese Obersten und Generalmajore aber fehlten auf allen Stasi-Listen. Das brachte Beifall derer, denen die Wut über die allzu schnellen Wendegeister aus der Kaderelite anzumerken war, die übergangslos zu CDU und Marktwirtschaft wechseln konnten. Leonhard führte den Zusammenbruch deswegen vor allem auf das Versagen des »Schulungsimperiums« der DDR zurück, welches vor allem anpäßlerische Figuren hervorgebracht habe. Vertrieben und ausgegrenzt wurden dafür denkende, Widersprüche zulassende Menschen, die das Wahnbild einer angeblich sozialistischen Gesellschaft hätten verhindern können. Gerd Nowakowski

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen