: ABSCHIED VON PAPAS HAREM
■ Perugia, die mittelitalienische Kleinstadt, ist ein weltoffenes Pflaster. Ausländer aus allen Kontinenten haben der bäuerlichen Etruskerstadt den wirtschaftlichen Aufschwung gebracht. Besonders beliebt ist...
Perugia, die mittelitalienische Kleinstadt, ist ein weltoffenes Pflaster. Ausländer aus allen Kontinenten haben der bäuerlichen Etruskerstadt den wirtschaftlichen Aufschwung gebracht. Besonders beliebt ist das Studium an der staatlichen Ausländer-Universität
VONKIAVAHLAND
Wie sein Vater will Honoré Nguetsa nicht leben. Trotz aller Hochachtung für ihn. Er ist so im Redeschwall, daß ihm die Pasta an der Plastikgabel erkaltet. Mit „mio futuro“ kann die immer gleiche Mensa-Pasta im mittelitalienischen Perugia nicht mithalten. „Mio futuro“, das ist für Honoré ein erfolgreiches Medizinstudium. Das ist, hoffentlich bald, die europäische Ehefrau. „Tanzen soll sie können, und treu muß sie sein. Darauf kommt es an“, erklärt Honoré und nippt am Mensa-Wein. Vier Kinder reichen ihm, um im Alter nicht allein zu sein. Dann wird er einen knallroten BMW über die umbrischen Landstraßen lenken. „Das ist ein solider Wagen. Der liegt auch gut in den Kurven“, sagt der 24jährige. Genau das richtige für eine Kleinfamilie.
Zu Hause, in Kamerun, ginge Honoré nie in eine öffentliche Mensa. Da bräuchte er, der Sohn des langjährigen Bürgermeisters von Duala, nicht nach einer Ehefrau zu suchen. Und auch zu den Vermieterinnen, die nicht mal für gutes Geld an einen Schwarzen im weißen Anzug vermieten, müßte er nicht freundlich sein. Trotzdem hat Honoré Kamerun vor zwei Monaten verlassen, um sich an der Italienischen Ausländer-Universität in Perugia für die Aufnahmeprüfung zum Medizinstudium vorzubereiten.
Honoré und sein Vater
Sein Vater ist mit 13 Frauen verheiratet, die zusammen etwa hundert Kinder haben. Honoré durfte nach Europa gehen, weil er zu den ältesten der Hundert gehört: Seine Mutter ist die erste Frau des Vaters. Sie lebt am Rande des Familiendorfes, in dessen Mitte das Haus des Vaters steht. So soll die Primadonna von Eifersucht und Familienquerelen verschont bleiben. Die Kinder der anderen Frauen müssen sie bedienen. Sieben der dreizehn Gattinnen des hohen Politikers arbeiten als Lehrerinnen und Krankenschwestern. Außerdem tragen die älteren Kinder zum Familienunterhalt bei.
Die Augen des Clans sind immer wach. „Unvorstellbar, die Freundin in der Öffentlichkeit zu küssen“, klagt Honoré. Er erzählt, wie aus engen Familienbanden würgende Schlingen werden können: „Ich muß fürchten, von meinen neidischen Halbbrüdern beim nächsten Besuch vergiftet zu werden.“ Er steht auf, zieht ruckartig seine Krawatte gerade und stellt das Tablett mit der kalten Pasta aufs Fließband. „Ich bleibe in Perugia“, sagt er. Sein Blick folgt den wegrollenden Plastiktellern. „Wenn meine Familie das erlaubt.
Perugia und die Fremden
Einen Römer oder Florentiner würde das Wort „Afrikaner“ als erstes an die unzähligen fliegenden Händler erinnern, die erfolglos am Straßenrand Feuerzeuge und Sonnenbrillen feilbieten. Die Fremden sind in den Augen so mancher Italiener schuld an allen Übeln des Landes. In Perugia ist das nicht der Fall. Im Gegenteil. Ausländer aus allen Kontinenten haben der bäuerlichen Etruskerstadt mit ihren 144.000 Bewohnern wirtschaftlichen Aufschwung gebracht.
Die „Goldgrube“ liegt gegenüber vom Etruskertor im barocken Palazzo Gallenga. Hier hat die staatliche Ausländeruniversität ihren Sitz. Allein im vergangenen Jahr zog sie 7.044 Studenten aus Ungarn und Uruguay, Australien und Thailand an, darunter mehr als 1.500 Tedeschi. Manche blonde Cappuccino- Mixerin in den Bars am Corso Vanucci zeugt davon, daß nicht nur Afrikaner länger dableiben.
Die Universitá Italiana per Stranieri versteht sich nicht als Kindergarten der normalen Hochschule in Perugia. Vom Staat subventioniert, bietet sie gegen geringe Kursgebühren italienische Sprache und Kultur auf drei verschiedenen Niveaus an. In der ersten Stufe werden Grammatik und Konversation in ein- bis dreimonatigen Kursen geübt. Die Mittelkurse handeln von italienischer Geistesgeschichte, Kunst, Literatur, aber auch von Betriebswirtschaft und Finanzpolitik. Die einjährige Oberstufe richtet sich an Italienischlehrer im Ausland. Nach einem neuen Gesetz sollen außerdem Diplomkurse im Fach Italienisch für Ausländer eingerichtet werden.
Internationales hat in Umbrien Tradition. Seit Papst Clemens V. im Jahr 1308 in „Perusia“ die fünfte italienische Universität gründete, pilgerten Böhmen, Teutonen, Spanier und Briten zum Studio Generale in das Städtchen mit den mittelalterlichen Gassen und dem Pisano-Brunnen. 1925 machte sich die Ausländeruniversität selbständig. Sie hatte Erfolg: 1938 schrieben sich rund 1.200 Studenten aus über 40 Nationen ein. Während des Faschismus sank die Zahl auf 100; dennoch blieb der Palazzo Gallenga geöffnet.
Heute grüßen sich Serben und Kroaten, Libyer und Amerikaner, Sizilianer und Mittelitaliener beim abendlichen Rundgang in der Fußgängerzone, die mangels architektonischer Schandtaten immer noch aussieht wie zu Zeiten des Renaissance-Malers Perugino. Die Altstadt auf dem Hügel ist ein Labyrinth verwunschener Wege, steinerner Bögen und krummer Treppen.
Hier müssen die Stranieri Wuchermieten zahlen an italienische Padroni und gewitzte Untervermieter. Die Perugini wohnen am grünen Stadtrand oder in den Wohnkästen am Fuß des Berges nahe der Schokoladenfabrik. Dazwischen am Hang suchen sich die vielen Studenten aus Süditalien eine Bleibe.
Manchmal, aber viel seltener als in Rom oder Mailand, sieht man in Perugia an den Mauern einer alten Kirche ein Graffito von Rechtsradikalen. Meist verschwindet es aber wieder schnell in der linkssozialistisch regierten Stadt. Nach der Parlamentswahl im April, die die italienische Politik erschütterte, titelte der Corriere dell'Umbria: „Bei uns ist alles wie früher.“
„Der Graziano“, sagt der junge Umbrer Nicola Matteucci, „der ist doch mehr Italiener als Araber. Und spricht auch besser italienisch als ich.“ Er greift nach der Zigarettenschachtel seines Bettnachbarn, dreht „The Cure“ noch lauter auf und nutzt die Kaffeetasse als Aschenbecher. Graziano heißt „der Liebenswürdige“. Das ist Mahmoud Kahils italienischer Name. Frisch rasiert und in weißem Hemd hockt der Libanese auf dem einzigen Stuhl in dem zehn Quadratmeter kleinen Wohnheimzimmer, das sich die beiden Studenten teilen.
Graziano und Nicola
Mitte der achtziger Jahre verließ der damals 20jährige Mahmoud sein von Bürgerkriegen geschütteltes Land, um in Europa Arzt zu werden. Zuerst ging er nach Deutschland: „Das war kein Land für mich. Die Deutschen sind so verschlossen und unhöflich.“ Das klingt wie aus dem Mund eines Italieners. Die mediterrane Mentalität liege ihm eher, sagt er und schimpft trotzdem: „Der Tabakhändler, die Wäscherin — alle fragen sie mich aus, aber von sich selbst erzählen sie nichts.“
Nicola setzt noch eins drauf: „Bevor ein Peruginer dir in die Augen schaut, betrachtet er die Qualität deiner Schuhe. Ich komme aus Piccione, einem Dorf in der Nähe. Aber in Perugia fühle ich mich wie ein Ausländer.“
Graziano hat zwei Jobs neben dem Medizinstudium. Wer nicht aus einem EG-Land kommt, muß für Aufenthaltsgenehmigung und Studienplatz den Besitz von monatlich 800.000 Lire (1.150 Mark) nachweisen. An italienischen Universitäten gibt es zwar keinen Numerus clausus; aber pro Fakultät sind nur etwa 15 Studienplätze für Ausländer reserviert, die durch eine Prüfung ausgewählt werden. In der prestigeträchtigen Medizin sind die Plätze hart umkämpft, zumal sich hier auch viele daheim abgewiesene Deutsche und Griechen bewerben.
Diese Hürde hat Graziano längst genommen. Jetzt geht es ihm um mehr: „Ich will nicht zurück. Und so religiös bin ich auch nicht mehr.“ Damals habe er sich an die freizügigeren Sitten in Italien anpassen können. Aber andersherum? „Ich könnte mich nicht wieder daran gewöhnen, daß ein Arzt nicht mit jedem spricht“, überlegt er und bringt ein in Italien schlagendes Argument: „Hier kenne ich Leute, die mich protegieren.“ Dann nimmt er Nicola die Zigaretten weg und steckt sich eine MS an.
„Ich bin aus Palästina“, sagt Shagia Zeid, tritt einen Schritt zu nah an die schwedische Mitschülerin heran und vergewissert sich: „Weißt du, wo das liegt?“ Befriedigt über die positive Antwort zieht er den überlangen Ärmel seines Anzugs hoch, um die Espressotasse besser greifen zu können. Nach drei hastigen Schlucken, bei denen er sein Gegenüber fixiert, spricht er weiter über die moslemische Welt in Zahlen und Fakten. Dabei schiebt er den linken Mokassin noch einen Fußbreit nach vorn.
Shagia und Gott
Die Schwedin will wissen, ob er religiös sei. Er versteht die Frage nicht. Fühlt sich unterbrochen. Ob er an Gott glaube, hakt sie nach. Shagia lächelt. „Ja, das tun doch alle — sogar die Israelis...“ Dann ahnt er, was hinter ihrer Fage steckt. Für einen Moment erstarrt er und fragt: „Wie — du etwa nicht?“ Als sie den Kopf schüttelt, wird aus seinem durchdringenden Blick baffes Erstaunen. Er zieht den Fuß zurück. Um ihre Antwort nicht im ganzen Ausmaß erfassen zu müssen, berührt er ihren Arm wie den eines albernen Kindes, lacht kopfschüttelnd und verläßt eilig die Bar.
Lucia und Kim
Signora Rossi ist zufrieden mit ihren beiden Untermieterinnen, die sich das Zimmer am Stadtrand für 800 Mark teilen. Täglich schaut die alte Dame nach dem rechten: daß die Heizung tagsüber auch nicht läuft und daß wirklich keine Jungs auf dem Zimmer sind. Der Verlobte von Lucia Gaviano zum Beispiel. Oder gar ein Schwarzer, vor denen sie die Koreanerin Kim Kum-Suk immer warnt.
Zum Glück, sagt Signora Rossi, sind die Studentinnen ordentlich. An jedem zweiten Wochenende kommt Lucias Mutter aus dem Gargano in Apulien angereist, um Zimmer und Bad zu putzen. Lucia sitzt dann über ihren Mathe-Büchern und schaut nur kurz zu den Postern hoch. Da küßt ein blonder Junge eine Schwarzhaarige auf die Wange, und eine Madonna liebkost Gesu Bambino.
„Das Mathe-Studium macht mir keinen Spaß“, sagt die 20jährige Lucia, die vor zwei Jahren für die Uni in PerugiaSüditalien verließ. „Aber abbrechen? Wie sollte ich das meinen Eltern erklären?“ Die zahlen schließlich Miete und Mensa und halten Umbrien sowieso schon für zu weit nördlich.
Die Eltern ihrer Mitbewohnerin Kim sind viel weiter weg. „Das ist auch gut so“, sagt die 28jährige entschieden. Sie lernt an der Ausländeruni Italienisch, um in Mailand Mode studieren zu können. „Ich bin im Jahr des Drachens geboren — das sind starke Menschen“, sagt sie. Dabei ritzt sie mit ihren spitzen Fingernägeln Zacken in die Wachstuchdecke. „Als Frau Karriere zu machen ist in Südkorea viel schwieriger als hier“, versichert Kim. Trotzdem will sie nach dem Studium zurück und es probieren, „auch wenn eine Frau über 30 bei uns als alt gilt“. Ihr gefallen die freieren Sitten in Italien: „Ein uneheliches Kind aufzuziehen ist in Korea unmöglich.“
Paul und Europa
„Wenn ich allein zu Hause bin“, sagt der Ökonomiestudent Paul Alain Dongmeza aus Kamerun, „dann vermisse ich eigentlich alles.“ Er setzt sich auf die Stufen des Doms und betrachtet die schlendernden Leute durch seine Sonnenbrille. Laut redend verlassen zwei alte Frauen die Kirche. Ein Mann mit Krückstock und braungebrannter Glatze geht in die Knie, um mit seinem rosabekränzten Enkelkind zu schäkern.
Das reicht Paul nicht. „Wir in Afrika lassen unsere Alten nicht allein. Wir haben Zeit füreinander.“ Auch Drogensucht und Selbstmordrate sind für ihn die Folge von Hektik und mangelnden sozialen Bindungen in Europa. „Was ihr liberta, Freiheit, nennt, nenne ich libertinaggio, Ausschweifung“, provoziert der 26jährige. „Von unserem traditionellen Sozialismus, vom Süden generell, könnt ihr einiges lernen.“ Wie für Grazianos und Lucias Eltern ist auch für Paul Perugia die Schmerzgrenze zur kühl-effizienten Nördlichkeit.
„Diese Ruhe der Menschen hier — sitzen einfach in der Sonne vor der Kirche.“ Die Touristin mit dem Berliner Akzent zieht ihren Mann am Ärmel, zeigt auf Paul und seine Freunde und liest aus einem Umbrien-Führer vor: „Da steht's auch — ,die Einwohner von Perugia sind wohl die aufgeschlossensten, die Sie in Italien treffen werden.‘“
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