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Stille Stars im Rampenlicht

Vor 60.000 Zuschauerinnen und Zuschauern wurden im Olympiastadion auf dem Montjuic in Barcelona die IX. Spiele der Behinderten eröffnet/ 3.044 Aktive kämpfen um 496 Goldmedaillen  ■ Aus Barcelona Stephan Eckardt

„Die Welt wird lernen, daß keine Barriere unüberwindbar, keine Distanz zu lang und keine Hürde zu hoch ist“, sagte der blinde José M. Arroyo vor 3.000 Athletinnen und Athleten auf dem Rasen und 60.000 Zuschauerinnen und Zuschauern auf den Plastiksitzen des Olympiastadions in Barcelona.

Noch nie erlebten Behindertensportler eine solche Kulisse. Die „stillen Stars“ fristen sonst ein kärgliches Dasein, abseits aller Shows und Medienspektakel. Allein im deutschen Paralympics-Team stehen und sitzen 67 Welt- und 74 Europameister. Allerdings erhält von ihnen niemand Werbemillionen, nur wenige gaben bisher jemals ein Interview. Mehrfache Olympiasieger sind auf maximal 300DM Sporthilfe angewiesen. Behindertensport ist eben nur teuer und schlecht vermarktbar. Das erkannte man auch im „Sportparadies“ DDR, wo olympisches Edelmetall einer Nichtteilnahme an den Paralympics gegenüberstanden. Die Marktwirtschaft funktionierte in Ansätzen also doch.

Aber gerade Behinderten bedeutet der Sport äußerst viel. Im täglichen Leben um Anerkennung ringend, bietet sich vor allem hier eine Chance, sich zu beweisen. Die Anfänge des Versehrtensports liegen im Nachkriegs-England. Die Kriegsgeschädigten versuchten ihnen gemäße Sportformen zu entwickeln. Seit 1960 gab es dann die Weltspiele der Gelähmten, die jeweils im Land der Olympischen Spiele stattfanden. Spiele der Behinderten wurden erstmals 1976 in Toronto durchgeführt, jetzt waren auch die Amputierten und Sehgeschädigten mit dabei. 1988 in Seoul gab es eine weitere Premiere: die Paralympics wurden an den Stätten der Olympischen Spiele ausgetragen. Dies wird auch in Zukunft eine Bedingung für die Vergabe der Spiele sein.

Jeder, der einige der paralympischen Superlative erlebt hat, ist sicher begeistert. Tennis im Rollstuhl, blinde Ballsportlerinnen, sitzende Volleyballer, Rollstuhlartisten- und artistinnen vom Basketball bis zum Marathon. In 15 Disziplinen wird in Barcelona um Medaillen gekämpft, Gewichtheben, Fußball, Schwimmen und Leichtathletik sind ebenso dabei wie Boccia und Snooker. 3.044 Aktive aus 84 Ländern wurden für die 15 Sportarten gemeldet. Die Akteure der verschiedenen Kategorien starten nur in bestimmten Sportarten. So spielen nur Rollstuhlfahrer Billard, nur Sehgeschädigte und Amputierte fahren Rad, dem Volleyball widmen sich nur die Amputierten.

In vier verschiedenen Klassen, je nach Art der Behinderung, werden Wettkämpfe abgehalten, während der Eröffnungsfeier beim Fackeleinzug wurden sie vorgestellt. Ein amputierter Athlet brachte die Fackel ins Stadion, übergab sie einer Blinden, die von ihrem Hund eine halbe Stadionrunde geführt wurde, ein spastisch gelähmter Sportler übernahm, und schließlich steckte ein Querschnittsgelähmter die Fackel in seinen Rollstuhl und fuhr sie zum Bogenschützen Antonio Rebollo, der wie schon bei den Olympischen Spielen vor sechs Wochen die Flamme mit seinem Pfeil entzündete.

So gar nicht ins Bild des bunten Auftakts paßten die deutschen „Uniformen“. Schwarze Hose, rot- braun-lila Jacket, das von der Tartanbahn nur schwer zu unterscheiden war. Lebensfreude brachte dieser Anzug, der auf einer Beerdigung kaum negativ aufgefallen wäre, nicht zum Ausdruck; nur die Gastgeber und die Chinesen konnten da noch mithalten. Der farbenprächtige Abschluß der Eröffnungsfeier, die bei Aktiven und Publikum viel Beifall fand, läßt jedoch hoffen, daß Herr Samaranch recht behält, der einen Erfolg der Paralympics garantierte, weil ja schließlich schon „seine“ Olympischen Spiele die besten und größten überhaupt waren.

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