: 7 Jahre Knast für Schivkov
Der frühere bulgarische Staatschef ist damit der erste ehemalige kommunistische Machthaber, der von der neuen Justiz abgeurteilt wurde ■ Aus Sofia Ralf Petrov
26,5 Millionen Leva (rund 1,6 Millionen Mark) veruntreute der ehemalige bulgarische Staats- und Parteichef Todor Schivkov in siebenundzwanzig Jahren Amtszeit. Die Rückzahlung der Summe sowie zehn Jahre Freiheitsentzug forderte dafür Staatsanwalt Krassimir Schekov in Bulgariens spektakulärem „Gerichtsverfahren Nummer1“. Zu einer siebenjährigen Haftstrafe wurde der Einundachtzigjährige gestern verurteilt. Der im November 1989 gestürzte Schivkov ist damit der erste frühere kommunistische Machthaber eines osteuropäischen Staates, der von der Justiz zur Rechenschaft gezogen wurde.
Am 27.Juli hatte Schekov seine endgültige fünfundvierzigminütige Anklagerede verlesen, die nach fast zweijährigen Verhören und Untersuchungen entstanden war. Schivkov wird darin beschuldigt, „ein in der bulgarischen Rechtspraxis bis dato unbekanntes Verbrechen des gewaltigen Amtsmißbrauchs“ begangen zu haben. Der ehemalige „Erste“ des sozialistischen bulgarischen Staates habe bewußt ein System der Privilegien geschaffen, um seine Untertanen in Schach zu halten. In seiner Anklage hatte der Staatsanwalt mehrmals wiederholt, daß es sich dabei keineswegs um „politische Angelegenheiten“ handle. „Das ist der große Vorteil des Gerichtsverfahrens, denn es dient gleichzeitig als eine Mahnung für künftige Machthaber, ihre Positionen nicht zu mißbrauchen“, so Schekov.
Nach Ansicht seiner Rechtanwältin Reni Zanova ist der frühere „Erste“, der zweifache Held der Volksrepublik Bulgarien und der UdSSR, dagegen gar keine Amtsperson gewesen. „Es gibt keine Dokumente, die bezeugen, daß Schivkov Geld für protokollarische Zwecke, Wohnungen und Personenwagen für regimetreue Mitarbeiter und Sicherheitsbeamte ausgegeben hat.“ Aus diesem Grund könne er auch nicht des Amtsmißbrauchs beschuldigt werden. Die Verantwortung für das System der Privilegien sei bei anderen zu suchen. „Juristisch ist Schivkov völlig unschuldig, seine moralische Verantwortung wird die Zeit beurteilen“, so Zanova.
Auch Daniela Dokovska, die zweite Rechtsanwältin des Ex- Staats- und Parteichefs, meinte, der Schivkov-Prozeß sei ein „juristisches Absurdum“. „Der Angeklagte wird des Amtsmißbrauchs in der Zeitspanne 1962-1989 beschuldigt, und zwar auf Grund von Paragraphen, die erst 1986 in das Strafgesetzbuch aufgenommen wurden.“ Außerdem seien alle offiziellen Beschlüsse im bulgarischen Staat nicht von Schivkov allein, sondern von kollektiven Organen gefaßt und unterzeichnet worden.
Inzwischen wurden in Sofia weitere Gerichtsverfahren gegen ehemalige kommunistische Politiker und Funktionäre eingeleitet. Haftstrafen erhielten bereits zwei ehemals hohe Funktionäre, die 1986 die Gefahren des Atomunglücks in Tschernobyl dem bulgarischen Volk verheimlichten und keine Sicherheitsmaßnahmen einleiteten. Sie sind bereits für zwei, beziehungsweise drei Jahre hinter Gittern.
Kräftige Kontroversen verursachte unterdessen die Forderung des Staatsanwaltes nach der Festnahme des letzten kommunistischen Premiers und heutigen sozialistischen Abgeordneten Lukanov. Lukanov wird unter anderem beschuldigt, von 1986 bis 1990 verantwortungslos mehr als fünfunddreißig Millionen US-Dollar in prokommunistische Entwicklungsländer gepumpt zu haben. In der Sofioter Untersuchungshaft, von Einheimischen scherzhaft das „bulgarische Moabit“ genannt, sitzen bereits mehr als ein Dutzend ehemaliger Sekretäre des kommunistischen Zentralkomitees. Die sozialistische Opposition wird deshalb nicht müde, das Vorgehen der Generalstaatsanwaltschaft als Hetze gegen die Linke zu bezeichnen. Eine regelrechte Verletzung der Menschenrechte und eine primitive Hexenjagd sei die von der regierenden Koalition angestrebte Abrechnung mit der totalitären bulgarischen Vergangenheit.
Das bei den Kontroversen ähnlich wie vor der Wende immer wieder ins Spiel gebrachte „Volk“, in dessen Namen dies oder jenes unternommen wurde, verhält sich gegenüber dem juristisch-politischen Rummel eher gleichgültig.
Die Euphorie, die nach der Festnahme Schivkovs und während der Live-Übertragungen der ersten Gerichtssitzungen im Fernsehen entstand, ist längst vorbei. Auch der Glaube an eine gerechte Strafe für die Täter, die Andersdenkende brutal verfolgten, die Wirtschaft ruinierten und ganze Generationen zur Misere verurteilten, ist verschwunden. „Die Strategen der kommunistischen Ideologie werden heute wie Hühnerdiebe behandelt“, lautet treffend die Überschrift eines bulgarischen Zeitungsartikels zum Thema.
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