: Bosnien: Wer schoß das UNO-Flugzeug ab?
Hinweise, daß das bei Sarajevo „abgestürzte“ italienische UNO-Flugzeug abgeschossen wurde, verdichten sich: Am Rumpf wurde ein Einschußloch einer Rakete entdeckt/ Unklar ist jedoch, wer sie abfeuerte/ Serben beschuldigen Muslimanen ■ Von Roland Hofwiler
Budapest (taz) — Am Donnerstag stürzte ein italienisches Hilfsflugzeug der UNO in den bosnischen Bergen ab. Sah es anfangs nach einem tragischen Unfall aus, bei dem vier UNO-Blauhelme ihr Leben ließen, so wuchs im Laufe des vergangenen Tages eine ganz andere Ansicht: Der Transporter vom Typ Hercules C-130 wurde bei Jablanica abgeschossen. Unklar ist jedoch weiterhin, welche der Kriegsparteien die Flugabwehrrakete, von der Metallteile gefunden wurden, abgeschossen hat. Pauschal die serbische Seite dafür verantwortlich zu machen, dies lehnte die UNO bisher ab.
Waren es also möglicherweise kroatische oder muslimische Verbände, wie der bosnische Serbenführer Radovan Karadzic behauptet? Für ihn ist die Sache klar: Kroaten und Muslimanen provozierten immer wieder neue Massaker und Zwischenfälle um diese dann den „bösen Serben“ in die Schuhe schieben zu können. Geht Karadzic und die serbische Führung in Belgrad sogar soweit zu behaupten, die blutigen Massaker in der Innenstadt von Sarajevo, bei denen dreimal Dutzende Zivilisten ums Leben kamen, gingen auf das Konto der Muslimanen, um damit weltweit Sympathien für ihren verzweifelten Kampf zu gewinnen — so gibt es doch Anzeichen dafür, daß mancher kleine Zwischenfall von den muslimischen Verteidigern selbst initiiert worden ist.
Bekanntestes Beispiel ist der Tod des amerikanischen Journalisten David Kaplan vor wenigen Wochen. Er starb durch den Schuß eines Heckenschützen, der auf einen Journalistenkonvoi abgegeben wurde, als dieser den neuen Premier Rumpf-Jugoslawiens, Milan Panic, vom Flughafen in die Innenstadt von Sarajevo begleiten wollte. Bei einem anderen Zwischenfall wurden auf einem Friedhof eine Trauergemeinde beschossen, als diese zwei Kinder beerdigen wollte, die bei einer spektakulären Evakuierungsaktion von Heckenschützen erschossen worden waren. In beiden Fällen, so UNO-Experten, hätten diese Attacken von serbischen Stellungen aus nicht durchgeführt werden können.
Im Falle des Flugzeugabsturzes gibt es ähnliche Fragen. Die Gegend um Jablanica befindet sich nämlich seit Wochen in der Hand kroatischer Verbände, schon seit langem sind dort keine serbischen Truppen mehr gesehen worden, auch in den letzten Tagen nicht. Zum anderen sind nicht wenige Muslimanen und Kroaten auf die UNO nicht gut zu sprechen. Ein geflügeltes Wort lautet: „Wozu mit einem vollen Bauch sterben?“ Ein makaberer, anklagender Satz, den nicht nur bosnische Politiker immer häufiger aussprechen, der nicht nur in Antikriegsliedern auftaucht. Auch unbekannte Sprayer verzieren damit Hauswände. Die Losung lautet: „Waffen statt Lebensmittel“. Nicht auszuschließen ist daher, daß Muslimanen und Kroaten mit Anschlägen versuchen, die UNO-Aktion zu diskreditieren.
Kronzeuge für solche Anschuldigungen ist Nenad Kecmanovic. Der Universitätsprofessor aus Sarajevo war bis vor zwei Jahren Parteivorsitzender der sogenannten „Reformpartei“ von Ministerpräsident Ante Markovic für Bosnien. Ihm geht der Ruf voraus, einer der entschiedensten Reformer im ehemaligen Jugoslawien gewesen zu sein, er setzte sich stets für eine konföderative Neuordnung des Vielvölkerstaates ein und war ein entschiedener Gegner nationalistischer Politikvorstellungen. Aus diesem Grunde holte sich der bosnische Staatspräsident Alija Izetbegovic Kecmanovic ins Staatspräsidium, dem höchsten kollektiven Machtorgan Bosniens.
Ende August hat Kecmanovic nun sein Amt niedergelegt: Er könne nicht länger mitansehen, wie Extremisten auf allen Seiten den Krieg weiter anheizen und selbst vor initiierten Anschlägen auf Zivilpersonen nicht zurückschrecken würden. Er sei machtlos, diesem „schmutzigen Krieg“ etwas entgegenzusetzen. Er habe den Glauben an die Verteidigungsverbände verloren, die die Friedensbemühungen der UNO ins Lächerliche zu ziehen versuchen, denen nur daran liege, den Krieg weiterführen zu können.
Marathondebatte über Milan Panic
Kommt es im Parlament Rest-Jugoslawiens zur Abstimmung über den Mißtrauensantrag gegen den jugoslawischen Premier Milan Panic — oder läßt der serbische Präsident Milosevic diese verschieben? Diese Frage stellt sich am Freitag mit wachsender Spannung nicht nur die internationalen Beobachter, sondern auch die Bevölkerung in Belgrad. Denn — soviel war nach den politischen Positionsbestimmungen des Vortages klar: Die Anhänger des Ministerpräsidenten sind zahlreicher als erwartet, der serbische Präsident könnte selbst über den von seiner Partei eingebrachten Mißtrauensantrag stolpern. Während so vor dem Parlament rund 1.000 Menschen für Panic demonstrierten, wurde im Parlament die Friedensdiplomatie des reisefreudigen Amerikaners unter die Lupe genommen. In einer dramatischen Rede stellte Panic selbst sich erneut als die „Friedenstaube“ des Balkan dar.
Mit einem Spendenappell an die UNO-Mitgliedsländer begann unterdessen in Genf eine Konferenz zur Organisation der Winterhilfe für die zwei Millionen Flüchtlinge der Krisenregion. Benötigt werden mindestens 750 Millionen Mark. Die UNO-Flüchtlingskommissarin Sadako Ogata, die die Konferenz leitet, äußerte Zweifel, daß die Summe ausreichen werde, um ein Massensterben zu verhindern.
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