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„Ein Signal für das Vierel“

■ Seit sechs Wochen werden Methadon-Patienten mobil mit einem Bus versorgt

Methadonbus: Versorgung durch niedergelassene Ärzte im Wochenend-DienstFoto: Tristan Vankann

Silvia ist schon da, Detlef und ein paar Andere auch. „Ist schon neun? Wo bleibt er denn?“ Es ist kurz vor neun, Samstag, eine Straße in der Bremer Neustadt. Etwas später ist es soweit. Wie immer seit sechs Wochen samstags und sonntags biegt der Methadonbus der Bremer Gesundheitsbehörde pünktlich um die Ecke und hält an der Haltestelle neben der Polizei.

Es hat lange gedauert, bis das Projekt Methadonbus umgesetzt war. Bis vor kurzem wurde das Drogenersatz-Medikament Methadon für alle Bremer Patienten (ohne Bremen-Nord) am Wochenende zentral im Hauptgesundheitsamt ausgegeben: Ein ständiger Stein des Anstoßes für die Anwohner, weil sich mit den Patienten auch Dealer und andere Abhängige beim HGA einfanden. Und ein Problem für die Patienten, denn sie konnten hier leicht Stoff kaufen.

Dezentralisierung und Mobiliesierung heißen die Zauberworte, die die Patientenversorgung per Bus jetzt regional auseinanderziehen und das Nachwandern der Dealer verhindern soll. Vier Haltestellen fährt der Bus an, in der Neustadt, in Gröpelingen, Schwachhausen und Hemelingen. In Bremen-Nord werden Methadonpatienten am Wochenende weiter im HGA versorgt.

Ein umgebauter Linienbus, blau lackiert, mit weißen Sichtblenden in den Fenstern. Die Türen öffnen sich. Die Patienten stellen sich in einer Warteschlange an. Alle haben einen roten Überweisungsschein von ihrem Arzt in der Hand, bei dem sie die Woche über ihr Methadon bekommen. Damit weisen sie sich aus. Auf dem Tresen im Bus liegt eine Liste aller Patienten. Kurze Kontrolle, Haken, und dann erhalten sie ihr Medikament in einem Plastikbecher, zwischen 2

hier bitte

das Foto

von dem Rote-Kreuz Mann

und 15 Mililiter.

Da ist Silvia. Sie ist mit Unterbrechungen seit 17 Jahren drauf, seit zwei Jahren im Methadonprogramm. Irgendwo in Obervieland wohnt sie. „Früher mußte ich zum Hauptgesundheitsamt, jetzt bin ich hier. Mir ist das egal, eine halbe Stunde mit der Bahn, ich bin nur froh, daß ich nicht in die Nachbarschaft muß.“ Ein bißchen kurz sei die Zeit, der Bus hält nur eine Stunde, bevor er zur nächsten Haltestelle fährt. „Beim HGA konntest Du zwischen neun und halb zwölf kommen, da war etwas mehr Zeit.“

Harald. „Ich bin positiv. Seit ich Methadon bekomme, geht's mir gut. Ich will mal ehrlich sein, das ist für mich keine Zwischenlösung. Ich kann jetzt arbeiten gehen, wenn ich Nachtdienst habe und morgens um neun nicht hier sein kann, dann bekomme ich mein Pola (Methadon, die Red.) auch schon mal mit nach Hause.“

Gert Schöfer, beim Gesundheitsressort verantwortlich für den Methadonbus, ist mit der Erprobungsphase mehr als zufrieden. „Wir haben für die Haltestellen die Genehmigung aller Beiräte, und bis jetzt ist noch nirgends ein Zwischenfall passiert“, sagt er. Viele Patienten kommen jetzt aus dem Viertel in die Neustadt. „Wir haben im Viertel selbst keine Haltestelle eingerichtet, weil wir auch ein Signal an die Anwohner dort geben wollten“, erklärt Schöfer.

Jörg kommt mit Fahrrad zur Methadonausgabe. Er hat zur Zeit eine ABM-Stelle, will im nächsten Frühjahr anfangen, das Methadon herunter zu dosieren. „Einmal hat mich mein Arzt erwischt, als ich beigemischt habe, da hat er mich von 10 auf 3 Milliliter herunterdosiert.“ Die Folgen: Schwere Entzugserscheinungen. Wenn die Dosierung dagegen langsam heruntergesetzt

wird, kann man - mit einem kurzen Krankenhausaufenthalt - ziemlich selbständig clean werden, sagt Jörg.

Zur Haltestelle in der Bremer Neustadt kommen die meisten Patienten, etwa 70. In Gröpelingen und Schwachhausen sind es etwa 50, in Hemelingen 30. „Polamidon hält leicht 24 Stunden vor, im Gegensatz zum Heroin. Da fangen die Entzugserscheinungen bereits nach zwei Stunden wieder an zu wirken“, erzählt Schöfer. Die etwa 400 Bremer Methadon- Patienten werden während der Woche in etwa 50 Arztpraxen ambulant versorgt. „Natürlich gibt es Schwerpunktpraxen“, sagt Schöfer. Alles in allem sei das Engagement der Bremer Ärzte bei der Methadonbehandlung aber vorbildlich.

Tina, seit einem Jahr Methadonpatientin, sieht das anders. „Ich kenne viele, die ins Methadonprogramm kommen wollen, und keinen Arzt finden, der ihnen das Medikament verschreibt.“ Für die Vergabe und vor allem für die Finanzierung durch die Krankenkasse gibt es bestimmte Vorschriften, die aber ähnlich interpretierbar sind wie die Indikationsregelungen für Schwangerschaftsabbrüche. „Wenn du einen Arzt findest, der Dir was verschreibt, mußt Du schon ein riesiges Glück haben.“

Silvia hat ihr Medikament bekommen. die Prozedur dauert — ohne Schlange — vielleicht dreißig Sekunden. „Jetzt fahre ich wieder nach Hause, heute morgen, als ich aufstand, haben meine beiden Enkelkinder noch geschlafen. Jetzt frühstücken wir zusammen.“ Als der Bus pünktlich um zehn seine Türen schließt, sind keine Patienten mehr am Platz. Wenn einer es bis zu dieser Uhrzeit nicht schafft, kann er auch zu einer der anderen Haltestellen fahren. mad

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