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GASTKOMMENTARKultur mildert die Brutalität

■ Zum Wettbewerb von Daimler am Potsdamer Platz

Signalisieren die Wettbewerbe von Daimler-Benz und Sony eine Amerikanisierung Berlins? Natürlich nicht. Typisch für amerikanische Architektur ist, ganz eigene, auch verrückte Lösungen für urbane Probleme zu finden, während der Entwurf von Renzo Piano aus einer Fülle vorhandener Lösungen schöpft. Dessen Hauptidee war, Scharouns Staatsbibliothek mit einer baulichen Ergänzung zu vergrößern. Ähnlich ist etwa das Lincoln Center in New York angelegt. Wie in vielen amerikanischen Stadtentwürfen wird auch am Potsdamer Platz die Brutalität städtischer Entwicklung verniedlicht und an das Publikum verkauft durch die Beigabe von Kultur. Diese, so hofft man, soll den Entwurf in einen Tag und Nacht belebten Ort verwandeln. Aber am Lincoln-Center sieht man, daß ein Bau, gedacht, ein Stadtquartier aufzuwerten, nur das gewachsene Stadtquartier kaputtgemacht hat. Gleiches gilt für den New Yorker South Street Seaport: Dort entstand eine überteuerte Gegend, wo man die Natur nur genießen kann, wenn man konsumiert.

Der Entwurf von Helmut Jahn für Sony ist für amerikanische Augen gewohnter. Während ein Amerikaner die zwei — eher kleinen — Wolkenkratzer auf dem Daimler-Grundstück kaum finden würde, erinnert Jahns eiförmiges Atrium an eine Miniatur des Astro-Dome in Houston. Auch das Wettbewerbsverfahren war bei Sony amerikanischer als bei Daimler: Sony lud nur kommerziell orientierte Architekten ein, Daimler war eher an Ideen interesseriert. Bei beiden hat jedoch die große Zahl der nicht-deutschen Architekten, die daran teilgenommen haben, die amerikanische Fachöffentlichkeit überrascht — ist doch der Potsdamer Platz der wichtigste Ort Berlins und Daimler Benz eines der größten deutschen Unternehmen. Dabei könnten auch deutsche Architekten eigene, verrückte aber zum Ort passende Ideen entwickeln, statt immer etwas von außen zu importieren. Mary Pepchinski

Die Autorin ist Berlin-Korrespondentin verschiedener Architekturzeitschriften der USA. (Siehe auch Seite 3)

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