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Die runderneuerte Friedensbewegung

■ betr.: "Plädoyer für eine Erneuerung" (Offener Brief der Bürgerbewegung Bündnis 90 an die Friedensbewegung), taz vom 29.8.92

betr.: „Plädoyer für eine Erneuerung“ (Offener Brief der Bürgerbewegung Bündnis90 an die Friedensbewegung), taz vom 29.8.92

Mensch stelle sich vor: Sie stehe wieder da, in alter Macht und Stärke. Herrlich, dieses Fahnenmeer in Schwarz, Gelbblau und Blauweiß, noch mit vereinzelten grünen und roten Tupfern. Friedensbewegte, so weit das Auge reicht: Über eine Million auf der Bonner Vorstadtwiese, eine breite Volksbewegung ohne parteipolitisches Bekenntnis. Toll, wir sind wieder wer. Wir haben uns aufgerafft, etwas Neues geschaffen, gewaltig und unübersehbar.

Anlässe gab es wirklich genug, doch Jugoslawien erst hat uns wachgerüttelt. Schließlich haben wir (die alte Friedensbewegung, Anm. des Verf.) bisher versagt. Aber jetzt wird alles anders, wir haben uns runderneuert. Dank Dir und Deinem offenen Brief, liebes Bündnis 90.

Vergessen der Frust von damals, als gerademal noch einige Tausende zur bundesweiten Demo kamen. Vergessen auch der Frust, von heute, über das Gerangel, wer zuerst redet. Helmut K. wollte, durfte aber nicht. Die neue unionierte Frauenbewegung hat ihr Veto eingelegt und gesiegt. Jetzt spricht Hannelore für den Gatten. Über die ESZK oder so ähnlich. Pardon KSZE, sie verbessert sich sofort, nach dem peinlichen Zwischenruf.

Jetzt folgt das Grußwort der VeranstalterInnen, der Dank, daß die Bannmeile diesmal kilometerweit umgangen wurde. Dann, ein erster Höhepunkt: Norbert B., frisch aus einem südafrikanischen Homeland, dort die Menschenrechte beobachtend, eingeflogen. Seiner Rede kurzer Sinn: Panzer für Menschenrechte, Friede und Freiheit für Kroatien und den Rest der Welt. Applaus.

Nun, Hans-Dietrich G. Dank an die FreundInnen im freien Teil Jugoslawiens für die Büste auf dem Sockel. Applaus, Applaus. Endlich, der unumstrittene Höhepunkt: Gerd P. lädt ein zur gesamteurodeutschen Friedenswerkstatt im Tagungsraum des Bündnis90: Lasset uns Konflikte lösen, falls möglich, auch gewaltfrei. Blauhelme an die Front, aber eilig bitteschön. Tosender Beifall, grenzenlos, bis nach Bosnien- Herzegowina reichend.

Plötzlich, Tumult am RednerInnenpult. Eine junge Frau schnappt sich das Mikrophon. Entsetzen allerorten. Unerwünschte Worte: Unterstützt die Friedensbewegung in Serbien, aber gewaltfrei! Setzt das Embargo durch und... Das runderneuerte Publikum pfeift, brüllt, wirft Farbbeutel. Geh doch rüber, out of area! Resigniert verläßt die Pazifistin das Podium, die sekundenlange Störaktion findet ihr blitzartiges Ende. Nur bei wenigen bleibt ein fader Nachgeschmack zurück. Was wäre, wenn sie doch irgendwie recht hätte?

Dann, völlig unerwartet, die Stimmungswende. Freude suchet uns heim, der Bundesvorstand der Grünen hat seinen Delegierten doch noch geschickt. Klärende Worte von Superstar Helmut L.: Keine Angst, der Pazifismus ist zu Ende, die Lager müssen befreit werden. Und damit bei uns so etwas nicht passiert: Ein Heer muß her, 100.000 Mann zum Schutze unser aller. Tosender Beifall von Blauweiß bis Blaßgrün.

Liebe FreundInnen, es trifft uns hart. Denn bestimmt hätte es geklappt, bestimmt wäre das Prinzip Einmischung bis zum siegreichen Ende durchgekämpft worden. Wären da nur nicht diese Männer in sattem Bundeswehroliv gewesen. Hätte da nicht ein General Bautzmann vor den Risiken des militärischen Eingreifens gewarnt, hätte da nicht ein Generalinspekteur Naumann von einem Militäreinsatz abgeraten, hätte da nicht ein Staatssekretär Schönbohm gemeint, das Ding sei militärisch nicht zu lösen.

So ein Mist aber auch, schimpfen sie nun alle. Nicht mal auf die ist mehr Verlaß. Als erstes sollten die ihr Selbstverständnis überprüfen, unsere Militärs. Gehören schnellstens runderneuert, bürgerInnenbewegt, versteht sich. Jürgen Grässlin, Freiburg-Waltershofen, Ehemaliges Mitglied im Landesvorstand der Grünen Baden-Württemberg

Übersieht das Bündnis90 nicht ebenso wie die Friedensbewegung seit Jahren, daß „Menschenrechte“ eine Herrschaft unterstellen, die sich darauf mehr oder weniger glaubwürdig beruft? Ebenso unterstellt die Forderung nach (möglichster!) Gewaltfreiheit ein Gewaltverhältnis, und zwar ein (sehr einseitig und eindeutig) geklärtes Gewaltverhältnis.

Eine Kampfansage an die bestehende Gesellschaftsordnung sind die zentralen Punkte der Bürgerrechtler — sie nennen sich zu Recht so — nicht, sie sind ihre Affirmation. Kein Wunder, daß man dem Ex-Jugoslawien moraltriefend ebensolche Verhältnisse wünscht. Was die Leute so von demokratischer Herrschaft, Menschenrechten und Gewaltlosigkeit haben, wagt man gar nicht zu fragen, angesichts der geradlinigen Lösungswege der Wahnsinnsstrategen aus der BRD-Ost.

Im übrigen verstehe ich Euren Frust, im neuen Deutschland wieder bloß die Outsider zu sein, wo Ihr doch moralisch einwandfrei was Besseres seid. Regt euch ab! Wolfgang Richter, Augsburg

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