: „Solidarpakt für Deutschland“ statt Zwangsanleihe
■ Die Bundesregierung bittet Gewerkschafter, Unternehmer und Landesregierungen um Hilfe beim Aufbau Ostdeutschlands — wo gespart werden soll, weiß niemand
Nicht die „Finanzierung der Einheit“ ist das Thema der Regierungskoalition, sondern der „Abbau der Erblast“. Sprache ist verräterisch: Die Verantwortung für den Schuldenberg, vor dessen Wachstum die Regierung seit der Währungsunion die Augen fest verschlossen gehalten hat, liegt nicht beim Kanzler der Einheit, sondern bei Honecker und Modrow. Diese Erblast, seit neuesten Schätzungen inzwischen auf eine halbe Billion D-Mark angeschwollen, will das Kabinett nunmehr auf mehrere Schultern verteilen. Gewerkschafter, Unternehmer und die Regierungen der Bundesländer sollen der CDU/FDP-Koalition aus der Finanzklemme helfen. „Solidarpakt für Deutschland“ statt grundgesetzwidriger Zwangsanleihe oder freiwilliger steuerbefreiter und niedrigverzinster Deutschlandanleihe.
Während sich in Bonn die Koalitionsakteure einen Maulkorb in Sachen Anleihen umhängten, mutierte gestern in Berlin die Deutschlandanleihe zur Treuhandanleihe. Bisher hat sich die Treuhandanstalt wie andere Unternehmen am Kapitalmarkt Geld geliehen. Für den weiteren Finanzbedarf reichen die üblichen Mittel offenbar nicht mehr aus. Die Treuhandanleihe soll wie andere Bundesanleihen über zehn Jahre mit Festzinssatz ausgegeben werden. Gegenüber der Idee einer Deutschlandanleihe hat das Treuhandpapier den Vorteil, daß die so entstehende Neuverschuldung des Bundes mit den anderen Treuhandschulden zunächst weiter im Schattenhaushalt geparkt werden kann — der erst 1995, nach der nächsten Bundestagswahl, in den Bundeshaushalt übergehen soll.
Um jede Diskussion über allgemeine Steuererhöhungen gründlich abzuwürgen, brachte Theo Waigel gestern nachdrücklich Unternehmenssteuersenkungen ins Gespräch: Gewerbliche Einkünfte sollen demnach ab 1. Januar 1994 nur noch mit 44 Prozent besteuert werden. Lediglich für nicht gewerbesteuerpflichtige Einkünfte soll der Spitzensteuersatz von 53 Prozent bleiben. Die neun Milliarden Mark, die so automatisch weniger in die Staatskassen fließen, will Waigel durch den Abbau der Abschreibungsmöglichkeiten wieder hereinbekommen.
Die neue Bonner Arbeitsgruppe namens Solidarpakt soll sich als erstes Gedanken über Einsparungen machen. Dafür will Waigel ihr offenbar Zeit lassen. Denn im nächsten Jahr soll erst einmal alles weiterlaufen wie bisher: Die Haushaltsdebatte, zu der aus dem Finanzministerium lediglich „Phantomzahlen“ (Spiegel) vorliegen, wird nicht verschoben, wie die SozialdemokratInnen vorgeschlagen hatten.
Rubelzone Ostdeutschland?
In dem geschönten Zahlenpaket sind schon für 1993 knapp 59 Milliarden Mark für Zinsen und die Tilgung alter Schulden eingeplant — mehr als für den immer noch drittgrößten Posten Verteidigung (50 Milliarden Mark). Bis 1995, so die Rechnung von Wirtschaftsexperten, wird der Schuldenberg des Staates auf 2,26 Billionen Mark gestiegen sein, für die allein 175 Milliarden Mark an Zinsen und Tilgung aufzubringen wären.
Die einzige Sparidee der Bundesregierung besteht bislang im ersatzlosen Streichen des Bundeszuschusses zur Arbeitslosenversicherung. Die Bundesanstalt für Arbeit kann wiederum nur bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Weiterbildungsangeboten kürzen.
Und nicht nur, daß in der Waigel- Vorlage die immensen Einheits-, Bahn- und Postschulden fehlen. Auch der Rückgang des Wirtschaftswachstums im Westen wird den Haushalt zusätzlich belasten, weil jedes fehlende Wachstumsprozent die Staatskassen rund 17 Milliarden Mark kostet.
In Westdeutschland jedoch wuchs das Bruttoinlandsprodukt, das alle im Inland produzierten Güter umfaßt, im zweiten Quartal dieses Jahres nur noch um 0,6 Prozent, Tendenz weiter fallend. Und in Ostdeutschland schreitet der Entindustrialisierungsprozeß weiter voran. Auch die privatisierten früheren Treuhandbetriebe bauen kräftig Arbeitsplätze ab: zwanzig bis dreißig Prozent der vertraglich zugesicherten Stellen werden laut Treuhandpräsidentin Birgit Breuel „schlicht nicht beibehalten“. Ursache ist der inzwischen völlig zusammengebrochene Export in die frühere Sowjetunion, die einstmals wichtigste Handelspartnerin der DDR gewesen ist.
Wie hilflos nicht nur die Bundesregierung angesichts des Desasters Ost reagiert, zeigte gestern auch ein Vorschlag aus dem Ost-Ausschuß der deutschen Wirtschaft. Dessen Vorsitzender Otto Wolff von Amerongen schlug am Montag einen Warenhandel mit Rußland gegen Rubel vor. Die Unternehmen sollten ihre Rubelgewinne in Rußland investieren und damit etwa Grundbesitz oder Anlagen erwerben (was allerdings nach russischen Gesetzen verboten ist). In welcher Währung dabei die Ostdeutschen zu entlohnen seien, sagte Wolff nicht... Donata Riedel
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