: Inneerhalb der Union und bei der FDP verstärkt sich der Unmut über das Erscheinungsbild der Regierung
■ Koalition rutscht in die große Depression * Wenn ab heute der Haushalt 1993 beraten wird, ist zwar das Thema Zwangsanleihe für den...
Koalition rutscht in die große Depression Wenn ab heute der Haushalt 1993 beraten wird, ist zwar das Thema Zwangsanleihe für den Aufbau Ost vorerst beerdigt. Aber auch mit der neuen Zauberformel „Solidarpakt“ läßt sich nicht verhehlen, daß die Regierung finanzpolitisch am Ende ihres Lateins ist.
Noch vor Beginn der Haushaltsdebatte hat sich die Diskussion über den bedenklichen Zustand der Staatsfinanzen ausgeweitet — und der Zustand der Koalition ist kaum weniger beklagenswert. Der FDP-Vorsitzende Lambsdorff jedenfalls legte am Tag nach der sonntäglichen Abendrunde im Kanzleramt Wert auf die Feststellung, daß die FDP „nicht um jeden Preis“ am Bündnis mit der Union festhalte. Nach der Präsidiumssitzung seiner Partei wiederholte Lambsdorff seine wohlbedachte Formel gleich mehrfach: „Wir wollen diese Koalition. Wir wollen diese Koalition erfolgreich, aber wir wollen sie nicht um jeden Preis.“
Der kurzangebundene Chef der Liberalen gab sich vor der Presse wenig Mühe, das Innenleben der Regierung schönzureden. Mit Höflichkeiten haben sich die Spitzen von CDU, CSU und FDP bei der überraschenden Kanzlerrunde am Sonntag abend offenbar nicht aufgehalten. Er wolle jedenfalls keine Koalition, so Lambsdorff, die „zum Gespött der Menschheit und der Medien“ werde, wie das in den letzen zehn Tagen geschehen sei. Die „unsinnige Anleihendiskussion“, das habe er klargestellt, müsse schleunigst beendet werden. Ob die FDP zu dieser Koalition denn eine Alternative habe? „Na sicher, natürlich haben wir eine Alternative. Die Opposition.“ Aber: „So weit sind wir noch nicht.“
Die FDP, unterstützt von Finanzminister Waigel (CSU), hat durchgesetzt, daß die Diskussion um eine mögliche Zwangsanleihe für den deutschen Osten vorerst beerdigt worden ist. Das neue Zauberwort heißt nun Solidarpakt, zu dem der Bundeskanzler gestern eingeladen hat. „Führende Repräsentanten aus Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften“ sollen nun mit Kanzler und Ministern Ratschlag halten, um auf die Ideen zu kommen, die der Regierung selbst offensichtlich abgehen. Denn außer der Einigung, daß die Anleihendiskussion zu beenden sei, hat das vierstündige Gespräch bei Kohl kein konkretes Ergebnis gehabt. Die Regierung hält daran fest, daß Einsparungen in den Bundes-, Landes- und Kommunalhaushalten ausreichen, um den Aufbau Ost zu bewerkstelligen. Theo Waigel habe versichert, daß der nächste Haushalt finanziert sei und keine weiteren Einnahmen braucht. So ist denn auch das Lamsdorffsche Rezept gegen die mißlichen Zustände vorerst nur, „daß man den Mund hält“. Ein glattes Nein von Lambsdorff zu allen denkbaren Wegen, mehr Geld in die Staatskasse zu holen. Lambsdorffs Sprachregelung lautet: Wir wollen „keine Steuererhöhungsdiskussion, bevor die Einsparungsdiskussion mit Bund und Ländern zu Ende gebracht worden ist“. Und unausgesprochen schwebt im Raum: was dann allerdings ist, das wissen wir nicht.
Das dünne Resultat der Koalitionsaussprachen zeigt nicht nur finanzpolitische Ratlosigkeit an. Die schroffe Maulkorb-Empfehlung des FDP-Chefs richtet sich an die allerhöchste Adresse in der CDU. Die „Zwangsanleihe“ war von keinem Geringeren als dem Fraktionschef lanciert, von der Fraktion als Vorschlag akzeptiert und mit stiller Duldung des Regierungs- und Parteichefs Helmut Kohl in die Öffentlichkeit gebracht worden. Das Ergebnis: Kritik von allen Seiten, aber insbesondere von den Koalitionspartnern CSU und FDP, aus den Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbänden. Mildes Verständnis kam eigentlich nur von einzelnen Sozialdemokraten, denen der Gedanke an eine Belastung der Gutverdiener grundsätzlich sympathisch ist.
Große Koalition liegt in der Luft, erkennbar zum Beispiel am Dementi von Verkehrsminister Günther Krause (CDU) in Bild: „Ich kann mir in der gegenwärtigen Situation keinen besseren Bundeskanzler als Helmut Kohl vorstellen... Es ist kein einziges Wort zu einer großen Koalition zwischen Wolfgang Schäuble und mir gefallen.“ Die gegenseitigen Treueschwüre beim Kanzlergespräch verraten nur, daß das Regierungsbündnis es nötig hat. Bei der SPD wirken inzwischen Wortmeldungen wie die des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Rudolf Scharping gegen eine große Koalition 1994 kaum noch als Gegengewicht zum drängenden Wunsch auf baldige Regierungsbeteiligung. Der Parlamentarische Fraktionsgeschäftsführer Peter Struck in der Neuen Westfälischen: „Ich würde auch bereit sein, über jede Form der Zusammenarbeit nachzudenken... Allerdings dann sicher ohne den jetzigen Bundeskanzler.“ Einen „runden Tisch“ verlangte unterdessen der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU). Aus Baden-Württemberg meldete sich der FDP-Fraktionchef Walter Döring, der das harte Brot der Opposition bereits kennt: Die FDP müsse sich fragen, ob sie es sich länger zumuten soll, die Koalition in Bonn fortzusetzen. Tissy Bruns, Bonn
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