: Die Kammer der Unorganisierten
■ Fehrmann: Gewerkschaften erreichen Angestellte nicht
Der Geschäftsführer der Angestelltenkammer, Eberhard Fehrmann, ist den Verwirrstreit um die Finanzen der Kammer leid. Sie werden auf der von der Deutschen Angestellten Gewerkschaft (DAG) geforderten, außerordentlichen Kammer-Vollversammlung Anfang Oktober weiter ausgetragen. Fehrmann seinerseits hat pünktlich zu dem in Bremen derzeit tagenden Bundes- Angestelltenausschuß des DGB seine Vorstellungen zur Angestelltenpolitik erläutert.
„Politische Bildung können Sie nicht mit einer GmbH machen“, erklärte er unnd lehnte damit den Vorschlag, die Sozialakademie der Kammer zu privatisieren und einer kaufmännischen Buchhaltug zu unterziehen, ab. Gleichzeitig verteidigte Fehrmann die besonderen Aufwendungen der Angestelltenkammer für die Bildungsarbeit, die in die Sozialakademie fließen.
Denn, so Fehrmann, traditionelle Gewerkschaftsarbeit erreicht die Angestellten nicht. „Der DGB und die DAG befinden sich angestelltenpolitisch in einer dramatischen Situation. Sie repräsentieren gescheiterte Organisationsprinzipien.“ Nur 20 Prozent der Angestellten seien gewerkschaftlich organisiert, die Kammer sei aber allen Angestellten verpflichtet: „Wir sind die Kammer der Unorganisierten.“
Um die Angestellten zu erreichen, müsse die Kammer notwendigerweise Wege gehen, die für die Gewerkschaft ungewohnt sind. „Ich warne die Gewerkschaften davor, die Angestelltenkammer als ihren verlängerten Arm anzusehen.“
Zum Beispiel zahlen auch leitende Angestellte Kammerbeiträge, auch Personalchefs sind Mitglieder der Kammer. So ist es für die Angestelltenkammer selbstverständlich, einen „Gesprächskreis für Führungskräfte“ zu haben. Für die Kammer ist dies kein Pflichtprogramm. Fehrmann: „Es gibt in den Unternehmensleitungen Personen, die überholen die Gewerkschaften links. Es muß einen Modernisierungsprozeß in den Gewerkschaften geben.“
Zum Beispiel ist für die Angestellten, so merkt die Kammer in ihren Bildungsurlauben, das Thema „gesundheitliches Wohlbefinden“ ganz zentral. Angestellte gucken nicht immer auf die Uhr, wenn sie sich ihre Arbeit ein wenig selbst einteilen können. Für große Teile der Angestellten ist die Lohnerhöhung nur eines von vielen Motiven, sich zu engagieren. Wenn die Gewerkschaften wirklich die Interessen der Angestellten berücksichtigen würden — „würde das völlig andere Tarifverträge und Interessenvertretungsansätze geben“.
Das Problem des Angestelltenkammer-Geschäftsführers: In seinem Aufsichtsgremium, der „Vollversammlung“, sitzen fast ausschließlich Gewerkschaftsfunktionäre, die die neuen Wege der Kammerarbeit bestenfalls mit wohlwollender Skepsis begleiten. „Wenn wir diese neuen Wege nicht gehen können, würde ich den Spaß an der Arbeit verlieren“, meinte Fehrmann. Als er von der IG Metall in Frankfurt nach Bremen kam, hatte er sogar die Vorstellung, daß die Arbeit der Kammer auch die Gewerkschaften befruchten könnte. Wie? Wo? Fehrmann heute: „Das frage ich mich inzwischen auch.“
An dem Wahlsystem für die Kammern, das dafür sorgt, daß 80 Prozent unorganisierte Angestellte durch 100 Prozent Gewerkschaftsfunktionäre vertreten werden, will Fehrmann allerdings nichts ändern. Dieses Wahlsystem sei vor Jahrzehten ein Kompromiß gewesen, um die Gewerkschaften, die in den Kammern eine mögliche Konkurrenz gesehen hätten, einzubinden. K.W.
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