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„Die Asylanten müßten sich doch fügen!“

Mitten im Wald liegt Rostock-Hinrichshagen mit seinem Asylbewerberheim/ Hier fanden die Flüchtlinge aus Lichtenhagen Unterschlupf/ In der Waldsiedlung wohnt auch die Angestellte Ingrid Becker*, die ihre alte Ruhe wiederhaben will  ■ Aus Hinrichshagen Bascha Mika

Drei paar Schuhe stehen vor der Tür. Sauber, sorgsam Hacke an Hacke. Auch in der Wohnung dahinter geht es ordentlich zu: drei Zimmer, Küche, Bad, aufgeräumt und geputzt, der letzte Staub wird gerade weggewischt. Seit 18 Jahren wohnt Ingrid Becker* in diesen Räumen, in diesem Haus. „Besseres kann man sich nicht wünschen“, seufzt sie, legt das Staubtuch zur Seite und setzt sich in einen braungesprenkelten Sessel im Wohnzimmer. „Wir haben hier immer ruhig gelebt.“ Durch das Fenster mit den Raffgardinen fällt der Blick auf angenagte Fichten und eine Kaserne: das Flüchtlingsheim von Hinrichshagen bei Rostock.

Von ihrem Fenster kann Ingrid Becker den Eingang beobachten. Menschen passieren das Tor. Zum großen Teil Lieferanten und Männer vom Wachschutz. Nur wenige Heimbewohner trauen sich, das umzäunte Gelände zu verlassen. Ein junges Roma-Paar sitzt reglos, schweigend auf einem Baumstumpf. Mehr als fünf Meter haben sie sich nicht in die Freiheit gewagt. „Hier haben alle Angst“, erzählt ein Wachmann, „daß diese halbwilden Skins sie aufmischen wollen.“

„Ich kann die da draußen nicht mehr sehen“, murrt die 48jährige Ingrid Becker tonlos, verhalten. Ihr Gesicht ist blaß, der Jogginganzug leuchtet pink. „Früher, vor allem nach Hoyerswerda, hat man gedacht: Wie kann man nur so gemein sein, so gemein denken? Aber wenn man sie hier hat...“

Seit dem Sommer leben Flüchtlinge in der Waldsiedlung, knapp zwei Kilometer vom Dorf Hinrichshagen entfernt. An diesem abgeschiedenen Ort will das Land Mecklenburg-Vorpommern seine Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber einrichten. Die Menschen sind in NVA-Baracken untergebracht; in Vorwendezeiten war hier eine kleine Luftwaffeneinheit stationiert. Die Soldaten wohnten mit ihren Familien in drei mehrstöckigen Häusern direkt neben der Kaserne. Das gesamte Gelände war Sperrgebiet. Die Anwohner hatten einen eigenen Konsum, eine Kneipe, einen Kindergarten. Der Rest der DDR lag hinter dem Wald. Konsum, Kneipe, Kindergarten und die DDR gibt es nicht mehr. Aber die Menschen leben noch immer hier.

Im Bad rumort eine Waschmaschine. Ingrid Becker knotet die Finger ineinander, auseinander. „Es ist laut. Man hat keine Ruhe.“ Sie verzieht den Mund. Leute aus dem Heim hätten sogar in die Sandkästen reingemacht. Ihre Stimme wird noch leiser: „Ich bin schon so, daß ich nicht mehr schlafen kann.“ Und dann hätte man ihnen noch die Flüchtlinge aus Lichtenhagen aufgehalst. Die hätten doch bereits Ärger wegen ihres Verhaltens gehabt, „aber kaum waren sie hier, zerrten sie schon wieder an den Mülltonnen“.

Rund um die Müllcontainer ist kein Dreck zu entdecken. Auch die Wiesen vor den Häusern — nie hätten die Anwohner früher gewagt, einen Fuß darauf zu setzen — sehen so aufgeräumt aus, wie es sich für deutsche Grünflächen gehört.

„Wenn die sich vernünftig benehmen würden“, brummt Frau Becker aus ihrem Sessel heraus, „würde doch niemand was sagen. Es sind doch Menschen, die auch Verstand haben. Die müßten sich doch fügen!“ Wer sich nicht fügt, paßt eben nicht in dieses Land. Gepeinigt blicken ihre bebrillten Augen auf den braunfurnierten Wandschrank, den braungemusterten Teppichboden, die braunbefranste Stehlampe, den braungekachelten Ofen. Hier hat sie sich eingerichtet, hier lebt sie mit Mann und 20jährigem Sohn. Und jetzt, bildet sie sich ein, wird ihr auch das genommen, und daß sie nur noch wegziehen kann.

Bedroht fühle sie sich nicht, angepöbelt wurde sie bisher auch nicht. Aber da habe doch letztens eine Asylantin ihr Kind nur so zum Spaß einfach mit den Schuhen auf den Kotflügel von Sohnemanns Auto gestellt. „Ich kann nicht mehr“, wiederholt die Frau, die sich von Feinden umzingelt sieht, „wir haben so schön ruhig gelebt.“ Ihre Hand fährt zum Hals; von dort steigt ihr langsam die Röte ins Gesicht. Daß sich einige Flüchtlinge nicht völlig einsperren lassen wie im Knast, daß sie es wagen, sich auf die sakrosankten Wiesen zu setzen, ist für die Soldatenfrau der Gipfel der Undiszipliniertheit. „Dieses Rumlungern vor der Kaserne. Die haben drinnen doch genug Platz. Und die Bettelei. Wir sind 100, die sind 600. Und jeder will 'ne Mark.“

Ingrid Becker ist Verwaltungsangestellte. Sie macht dieselbe Arbeit wie vor der Wende, aber als ABM- Kraft. Nur zwei Frauen aus den 34 Familien der Siedlung sind bislang arbeitslos.

Die meisten Männer schulen um. Ingrid Beckers Mann war früher Offizier, jetzt sattelt er auf Industriekaufmann um. „Mein Mann“, erzählt sie und streicht das Spitzendeckchen auf dem Tisch glatt, „hat früher immer gesagt: Was habt ihr nur mit den Asylanten? Aber jetzt ist er auch genervt.“

Von draußen hört man Kindergeschrei und den Lärm von Automotoren. Im Wohnzimmer von Ingrid Becker kommt die Außenwelt gedämpft an. „Ich hab ein Herz für Tiere“, fährt sie fort, und die Nippes- und Plüschtiere auf den Regalen hören mit, „ich fütter' auch die halbwilden Katzen draußen.“ Vor kurzem habe sie der Dolmetscher aus dem Heim angesprochen und ihr eine kleine Katze mit einer Binde um den Bauch in die Hand gedrückt. Ihre Stimme wird schrill: „Die Katze hatte ein großes Loch im Bauch. Das haben die drinnen gemacht!“, kann sie gerade noch behaupten. Dann kippt ihr die Stimme weg, Tränen rollen über's Gesicht. Nein, beweisen könne sie das nicht. Ein Wecker tickt.

Angst, daß so etwas wie in Lichtenhagen passiert, hat Ingrid Becker nicht. Das Heim sei umzäunt und gut bewacht. „Daß es nachher so aggressiv wurde in Lichtenhagen... Menschenleben muß man doch nicht gefährden... Aber eigentlich sind sie selbst Schuld an der Wut.“

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