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Symbolfigur der Moderne

■ Heute eröffnet die Karl Schneider-Werkschau zum 100. Geburtstag des Architekten im Museum für Kunst und Gewerbe

-Werkschau zum 100.

Geburtstag des Architekten im Museum für Kunst und Gewerbe

Nach einigen finanziellen und organisatorischen Geburtswehen wird heute abend, noch im richtigen Jahr, aber vier Monate nach dem eigentlichen Jubiläum, die große Werkschau zum hundertsten Geburtstag von Karl Schneider eröffnet. Der einsame Kämpfer für eine moderne Architektur in den zwanziger Jahren in Hamburg galt damals als die Symbolfigur für eine mit den regionalen Begebenheiten korrespondierende, innovative Baukunst. Zwischen den Kriegen, insbesondere in den Jahren 1923 bis 1929, schuf er ein riesiges, weltweit beachtetes Oeuvre, das ihn in die erste Reihe der deutschen Architekten katapultierte.

Infolge dieser Bedeutung wurde

1Schneider 1933 mit dem nationalsozialistischen Bann „Kulturbolschewist“ belegt, obwohl er kurz vor der Machtübernahme noch schnell in die DNVP eingetreten war. 1938 emigrierte er in die USA, wo er nicht mehr richtig Fuß fassen konnte und 1945 starb. Durch diese Tatsache verschwand Schneider nach dem Krieg aus dem öffentlichen Bewußtsein.

Die große Werkschau im Museum für Kunst und Gewerbe und eine Monographie sollen jetzt dafür Sorge tragen, daß die Stadt einen ihrer wichtigsten Architekten wieder zur Kenntnis nimmt. Schneider, dessen größter Erfolg sicherlich der Gewinn des Wettbewerbs für die Gestaltung der Jarrestadt gewesen

1war, hat sowohl im Hamburger Backstein wie im klassischen „weißen“ modernen Stil gebaut. Doch alle seine, von einer sehr persönlichen Handschrift geprägten Bauten, egal ob Landvillen, Reihenhäuser oder Fabriken, sind dem Kanon der Moderne verpflichtet. Sein im Krieg zerstörter Kunstvereins-Bau oder die Landvilla Michaelsen wurden in vielen internationalen Publikationen als vorbildlich gewürdigt.

In zehnjähriger Arbeit haben Robert Koch und Eberhard Pook, die an der Hochschule für Bildende Künste das Karl Schneider-Archiv aufgebaut haben, aus den spärlichen Dokumenten - Schneiders Nachlaß verbrannte in den Bombennächten 1943 - seine Bauten re-

1konstruiert und die wichtigsten in Modellen nachgebaut, die nun in der Ausstellung zu sehen sind. Zahlreiche Fotografien, vereinzelte Skizzen des vielgerühmten Entwurfzeichners und einige von ihm gestaltete Möbelstücke komplettieren die schöne Präsentation.

Die Monographie liefert darüber hinaus ausführliches Material zur Biographie und Wirkungsgeschichte Schneiders, sowie kürzere Texte zu einzelnen entscheidenden Bauten und Entwürfen. Der überaus reich bebilderte Band versammelt auch Zeichnungen von Entsaftern und Schaukelpferden aus seiner amerikanischen Zeit als Designer.

Leider vermißt man in der Werkliste Hinweise über den Bestand der Bauten, von denen einige dem Krieg oder dem Wirtschaftswunder zum Opfer gefallen sind.

1Auch eine „Nachkriegs-Geschichte“ seiner Häuser fehlt. Das ist besonders deswegen schade, weil es in den letzten Jahre einige engagierte Rekonstruktions-Versuche von Schneider-Bauten (Haus Michaelsen in Falkenstein oder die Turnhalle in Farmsen) gegeben hat, die eine Darstellung verdient gehabt hätten. Auch eine Gegenüberstellung des ursprünglichen und des vielfach entscheidend geänderten aktuellen Zustandes einiger wichtiger Arbeiten Schneiders hätte man sich gewünscht. Trotz dieser Versäumnisse liefert die verdienstvolle Arbeit von Koch und Pook einen wichtigen Baustein zur Wiederentdeckung des einzigen Hamburger Architekten der Moderne von Rang. Till Briegleb

Ausstellung bis zum 1.11.; Monographie (Dölling und Galitz), 48 Mark

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