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Mirko Kovac: Milosevic — der letzte Despot

Von den ehemaligen kommunistischen Regimes in Osteuropa ist noch ein Despot übriggeblieben. Seine nächsten Angehörigen sind bereits unter der Erde. Enver Hoxha starb eines natürlichen Todes, Ceausescu wurde erschossen wie im Western ein Schurke und Pferdedieb vor dem Saloon. Von dieser Sorte ist lediglich Slobodan Milosevic nach wie vor an der Macht. Bis heute vergöttert ihn die Mehrheit des serbischen Volkes und ist bereit, mit ihm zu sterben. Ein Teil des Widerstandes hat ihn noch gestern gefeiert. Der Schriftsteller Slobodan Selenić, derzeit ein Führungsmitglied der DEPOS (Demokratische Opposition Serbiens), hat erst vor zwei Jahren in der Zeitschrift NIN erklärt, Milosevic habe ihm seine Würde wiedergegeben.

Diejenigen, die von Anfang an das Böse in dieser Erscheinung erkannten, sind weiterhin politisch an den Rand gedrängt. Es ist eine Minderheit ohne wesentlichen Einfluß auf das politische Leben. Ihr gegenüber sind alle unduldsam, die Macht schon von Natur her, aber auch jene Zögernden, die erst jetzt die Positionen der Minderheit beziehen. Das ist ein guter Teil des serbischen Widerstands, der kein reines Gewissen hat, der bis vor kurzem die Macht und den Führer unterstützte und die „abstrakte und ewig unzufriedene“ Minderheit befehdete. Wie Agnes Heller sagt, gibt es unglaublich wenige Menschen, die für „bürgerlichen Mut, Toleranz, Objektivität, Achtung vor der Lebensweise der anderen, vor den universellen Werten der Freiheit des einzelnen und der Gemeinschaft“ eintreten. Diese wenigen Außenseiter nannte man in den totalitären Gesellschaften „Berufsoppositionelle“.

Der serbische Widerstand, obwohl bereits kompromittiert, steht auf den Positionen dieser „Profis“ und möchte Milosevic stürzen, aber so behutsam, daß seine Politik nicht mitstürzt. Diese Oppositionellen glauben besser zu lügen und dieselben Ideen listiger zu vertreten, während die anderen, wenigen, den Geist dieser Politik loswerden wollen, die der Despot konsequent verfolgt. Die Oppositionellen behaupten, regieren zu können, aber sie können den „letzten kommunistischen Satrapen“, wie sie ihr Idol von gestern nennen, nicht entthronen. Sie haben es mit Glöckchenklingeln und Weckerrasseln versucht, und das Künstlervolk wollte ihn durch Kniefälligkeit rühren. Selbst die Popen erflehten in ihren Liturgien und Gebeten seinen Rücktritt, aber nicht als Verlierer, sondern als Mann, der sich um das Serbentum Verdienste erworben hat. Nach jedem Kniefall steigerte sich die Erhabenheit des Führers, nach jedem Gebet seine Macht. Elias Canetti sagt, daß „die Erniedrigung des einen die Erhöhung des anderen“ ist.

Der kleine serbische Despot ließ sich zum erstenmal herab, die Vertreter der Opposition zu empfangen. Sie plauderten mit ihm und schlugen ihm unter eingeflochtenen Lobessprüchen den Rücktritt vor. Es soll eine sehr unangenehme Begegnung gewesen sein, bei der mein Kollege Nebojsa Popov die Aufgabe hatte, einen Monolog Milosevics zu verhindern. Man erzählt sich, der Chef habe die ganze Zeit ins Leere geblickt und sei völlig desinteressiert gewesen. Plötzlich sei er aufgestanden und habe das Gespräch wegen wichtiger Staatsgeschäfte abgebrochen. Er habe gesagt: „Wenn Ihnen etwas Vernünftiges und für Serbien Nützliches einfällt, können Sie wiederkommen“ und auf die Tür gezeigt, durch welche die Oppositionellen zerknirscht abgegangen seien. Am zutreffendsten ist vielleicht das Urteil eines Studentenvertreters, der Milosevic getroffen hat. Auf die Frage nach seinem Eindruck von dieser Begegnung mit dem Präsidenten antwortete der Student: „Sobald Sie ihm gegenübersitzen, wissen Sie, daß Sie es mit einem Verrückten zu tun haben, und wenn Sie ihm beim Abschied die schlaffe und feuchte Hand drücken, begreifen Sie, daß er nicht nur irre, sondern ein Niemand ist.“

Während des Vidovdan-Meetings forderten Demonstranten, der Chef solle festgenommen oder wenigstens „wie ein Köter am Zaun erschlagen“ werden. Diese von dem Politiker und Abgeordneten Milan Paroski vorgeschlagene Todesart ist in Serbien allgemein anerkannt, wird jedoch nur auf Kroaten angewendet. Die Demonstranten wollten ihrem geliebten Führer dieses kroatische Privileg gönnen, wie ein Köter am Zaun zu verrecken. Milosevic durchschaute mit Recht diese Grausamkeit der Menge, deren er sich selbst bediente, wann immer es ihm paßte. Das Debakel seiner Politik wird ihn nicht zum Gehen veranlassen, denn er versteht es effektvoll, für jeden Mißerfolg den Schuldigen zu finden. Seine Projekte scheitern, er aber bleibt. Wenn ihm der Krieg nichts einbringt, wird er den Terror fortsetzen. Serbien ist schon jetzt ein extrem terroristischer Staat ohne Rechtsnormen. Mörder und Schlächter vom Typ eines Arkan spielen sich als Helden auf, und Kriegsverbrecher wie Karadzic geben regelmäßig Pressekonferenzen. Serbien entwickelt sich zu einem „Paraguay des Balkans“, wo Henker Zuflucht finden.

Wenn die Europäer vom „Belgrader kommunistischen System“ sprechen, dann zeigt das, daß sie weder von Politik noch von Serbien etwas verstehen. Was stimmt: Milosevic hat schnell begriffen, da der Sturz des Kommunismus nicht gleichzeitig das „Ende der totalitären Moral“ bedeutet. Er hat alle Errungenschaften der früheren Ordnung benutzt, Gewalt und Populismus verstärkt, jede Art Verhandlung abgewürgt, niedere Leidenschaften entfacht, intrigiert und eine Politik der Konflikte entwickelt, die notwendigerweise zum Morden führte. Er hat die Wirklichkeit brutalisiert und die einstigen kommunistischen Sklaven zu Henkern gemacht. Der kleine, europäisch orientierte Widerstand in Belgrad liefert ein schiefes Bild der serbischen Gesellschaft. Wer sich auf diese Minderheit beruft, hat jede Verbindung zur Realität verloren.

Ich persönlich meine, es ist gleichgültig, wer in Serbien die Macht hat: der Kommunist Milosevic, der „Dissident“ Cosic, der Faschist Seselj, eine Militärjunta oder der Patriarch Pavle — der Geist der serbischen Politik bleibt derselbe. Was soll man dazu sagen, wenn der Demokrat Panic, der Premier des sogenannten Jugoslawien, noch vor seiner Wahl beim ersten Auftritt im amerikanischen Fernsehen erklärt, er werde „mit den Muslimen verhandeln, die ohnehin Serben“ seien. Dieser Herr hat die Munition seines friedlichen Verbalismus bereits ins Leere verschossen und wird unter dem Einfluß des serbischen Kriegswahnsinns seine flinke Zunge bald korrigieren und sich anpassen, oder er wird gehen. Just am Tag der Ankunft dieses politischen Affen schickte mir ein gescheiter Freund aus Belgrad via Paris ein Fax, in dem er sagt, daß Panic hervorragend in der Farce mitspielt und daß sich „das blutige Lachen fortsetzen“ wird. Selbst der Thronfolger hat verkündet, die Existenz Mazedoniens „beleidige die Ehre seines Volkes“.

Das Fundament der serbischen Politik ist der unsterbliche Nationalismus, sei er nun an der Macht oder in Opposition. Kürzlich haben Cosic und Milosevic Lord Carrington ausgelacht, als er eine Konferenz über die Rechte der Albaner und anderer Minderheiten vorschlug. Die Ideologen des „zoologischen Natinalismus“ glauben, die Rechte der Minderheiten seien nur dazu erfunden worden, die mehrheitliche Nation zu vernichten. Sie hassen diejenigen, mit denen sie Territorium, Kultur, Sprache und Wirtschaft teilen. Darum ist auch die Strategie dieses Krieges auf Genozid gerichtet: ethnische Säuberung der Territorien, Vernichtung der Kultur und Demontage der Wirtschaft.

Ich vernehme immer wieder Gerüchte, daß Milosevics Position diesmal „ernstlich erschüttert“ ist. Das höre ich seit langem. Ich sage nicht, daß dieser lächerliche Despot ewig ist, aber er ist eine gerechte Strafe für das serbische Volk. Laut Levi-Strauss ist „der Cäsarismus von der Gesellschaft nicht zu trennen, die den Cäsarismus verdient“. Die serbische Gesellschaft ist am Ende. Die Degradierung ist gelungen. Wir, die das Übel erkannt und den Absturz diagnostiziert haben, können nicht triumphieren, mehr noch, wir fühlen uns erbärmlich. Wir wußten, daß eine Erscheinung wie Milosevic jederzeit aus dem Dunkel auftauchen konnte, aber wir glaubten nicht, daß er so viele Anhänger haben würde.

Sollte Milosevic wirkllich wanken, so wird er zufrieden fallen, denn sein Wunsch, einen Krieg vom Zaun zu brechen, ist erfüllt, wenn er auch höhere Ambitionen hatte. Er als Antieuropäer wollte, daß sich Europa Jugoslawiens wegen zerstritt. Insgeheim sehnte er einen Weltkrieg herbei, aber eine Serie von Balkankriegen wäre ihm auch recht gewesen. Er versuchte die Griechen in eine Konföderation zu locken, um später ihren Chauvinismus zu schüren und sie in einen Krieg zur Zerstückelung Mazedoniens und Albaniens zu verwickeln. Hier hätte er seine „intensive Leidenschaft“ ausgelebt — die Rachsucht gegenüber den Albanern, der Wunsch, sie grausam zu demütigen. In diese Auseinandersetzung hätten Bulgarien und die Türkei und dann auch die Großmächte eingegriffen. Milosevics Traum wäre wahr geworden: Europa in Brand zu stecken wie einst der serbische Nationalist und Terrorist Gavrilo Princip. Widrigenfalls hätte ihm ein Blutvergießen in Bosnien genügt, auch gegen einen soliden Bürgerkrieg in Serbien hätte er nichts einzuwenden gehabt.

Milosevic ist ein Tollkopf, ein Mann des Chaos (Ian Percival nennt das Chaos „eine permanente Instabilität“). Tatsächlich paßt ihm alles außer Frieden, also macht er Krieg aus dem Frieden, denn Politik faßt er als Zwist auf. Im Frieden erklärte er, die Serben seien bedroht; seit sie Krieg führen, sind sie es offenbar nicht mehr. Der Krieg ist für ihn eine Art „umgekehrtes Sozialisationssystem“. Durch den Krieg hat er Halunken Arbeit gegeben, die mit Vergnügen morden und mit Vergnügen umkommen. Ich glaube nicht, daß er jetzt abtreten wird, wo es ihm am besten geht. Er hat erlebt, daß Tausende um seines Wahnsinns willen starben. Das erfüllt ihn mit Triumph. Dieser Krieg war seit langem in den Labors der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste geplant. Der oberste Stratege dieses Projektes ist Dobrica Cosic und seiner bester General Milosevic. Ich sehe keinen Anlaß für einen Bruch zwischen dem Satan und seinem Gehilfen. Nun haben sie auch noch einen Hofnarren bekommen und werden gemeinsam das hilflose Europa verhöhnen.

Milosevic wußte, daß Europa seiner schurkischen Politik und seinen Tricks nichts entgegenzusetzen hat. Er wußte auch, daß es derzeit in der Welt keinen Staatsmann von Format gibt und daß das Geschwätz der alten Männer seiner Destruktion stets hinterherhinken wird. Während die Greise tagen, setzt er sein Zerstörungswerk fort. Man hat mir erzählt, daß Milosevic nach jedem Treffen mit einem europäischen Politiker eine Abendgesellschaft für intime Freunde gibt, darunter auch für Mitevic und seine Frau, eine professionelle Imitatorin. Zu den Höhepunkten ihres Repertoires gehören Szenen, wo sie Douglas Hurd, Lord Carrington, De Michelis und andere Prominente nachäfft und lächerlich macht.

Auch Hitler hat einst auf dem Obersalzberg solche Partys für seine Gäste veranstaltet. Er persönlich imitierte die damaligen Politiker und Diplomaten, was ihm laut Albert Speer besonders gut bei Chamberlain gelang. Ich stelle keinen Vergleich zwischen den beiden Typen an— obwohl Schurken immer gemeinsame Charakterzüge haben —, aber dieses Detail zeugt für mich von einem neurotischen Bedürfnis, jede Vernunft und Dialogbereitschaft zu verhöhnen. Thomas Mann hat nicht gezögert, Hitler eine „erbärmliche Kreatur“ zu nennen, die Deutschland aus der westlichen Zivilisation und der europäischen Kultur ausschloß.

Die Belgrader Korrespondentin einer ausländischen Zeitung erzählte mir, sie habe schon 1991 während der Krise um die jugoslawischen Präsidentschaftswahlen Teile eines Gesprächs mitangehört, in dem Milosevic Van Den Broek warnte: „Wenn Sie sich in unsere inneren Angelegenheiten einmischen, werden wir die Kluft zwischen uns und Europa vertiefen.“ Van Den Broek fragte: „Wie meinen Sie das?“ Die Antwort lautete: „Durch einen permanenten Krieg.“ Tatsächlich ist die Verachtung für Europa Milosevics bester Ratgeber bei allen Verhandlungen und in der Außenpolitik ganz allgemein.

Ich würde mich gern mit diesem Text von dem lächerlichen Diktator verabschieden, dessen „Thron wankt“, wie mir Freunde schreiben, aber ich fürchte, daß dieser Übeltäter seine Macht noch lange nicht aufgibt. Der Preis für seinen Rücktritt wird inzwischen immer höher. Ein Mensch, der sich am Tod berauscht, wird niemals vom Tod genug bekommen.

Übersetzung: Barbara Antkowiak

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