Weizenmangel in der Kornkammer

■ In Rumänien droht Premier Theodor Stolojan erfolglos mit Zwangsmaßnahmen gegen den Brotmangel

Bukarest (taz/dpa) — Rumänien, so haben Agrarökonomen einmal ausgerechnet, könnte neben seinen 22 Millionen Einwohnern noch weitere 40 bis 50 Millionen Menschen ernähren. Günstige klimatische Bedingungen und fruchtbare Böden machen das Land zur potentiellen Kornkammer Südosteuropas. Dennoch müssen Millionen Tonnen Getreide importiert werden. Den Brotmangel hat auch das nicht abgeschafft.

Jedenfalls kann man das täglich sehen. Vor Großbäckereien und Lebensmittelgeschäften stehen Hunderte von Menschen ab sechs Uhr morgens Schlange, und Zeitungen berichten immer wieder über Beispiele für die Einführung von Brotkarten. Premierminister Theodor Stolojan jedoch hat Widerspruch angemeldet. Auf einer Regierungssitzung Anfang der Woche erklärte er, nicht an Weizen und Mehl mangele es in Rumänien, sondern an ehrlichen Menschen.

Für Stolojan ist die Angelegenheit längst zum leidigen Dauerthema geworden. Schon vor neun Monaten hatte der Regierungschef verkündet, er würde die Subventionierung von Lebensmitteln am liebsten sofort aufheben, denn sie leiste nur einer massiven Korruption Vorschub. Die Stützgelder sollten den Konsumenten direkt als Teuerungszuschuß zur Verfügung stehen. Doch der Regierungschef steht mit seinem Vorhaben allein da. Er ist parteilos und hat es abgelehnt, für die kommenden Wahlen zu kandidieren. Andere Politiker hingegen buhlen um die Wählerstimmen. Weil die Angst vor steigenden Preisen allenthalben als Hauptproblem angesehen wird, sorgte eine nahezu alle Parteien umfassende Koalition dafür, daß die zweite Subventionskürzung am 1. September dieses Jahres erheblich geringer ausfiel als vorgesehen. Das 500-Gramm-Brot, das im Staatshandel bislang 12 Lei kostete und sich auf 30 Lei verteuern sollte, kostet jetzt 20 Lei, rund acht Pfennig. Der niedrige Preis führt dazu, daß dieses Brot tonnenweise als Viehfutter verwendet wird, denn für ein Kilo Mais muß man auf dem Markt mindestens 30 Lei bezahlen.

Premier Stolojan will nun, im letzten Monat seiner Regierungszeit, deutlich machen, was hinter den Kulissen läuft. Rumänien habe aus eigenem Aufkommen und aus Importen genug Getreide für die Brotversorgung bis kommenden März, so der Regierungschef. Man müsse nur einigen „unverantwortlichen Nichtsnutzen“ das Handwerk legen.

Doch nicht allein die sind es, die den früheren Getreideexporteur Rumänien in die Klemme gebracht haben. Der Brotmangel liegt zum großen Teil auch an drastisch gesunkenen Erträgen bei den beiden letzten Ernten. Die halbherzig durchgeführte Privatisierung der Landwirtschaft hatte zur Folge, daß zwei Drittel der Felder im letzten Herbst nicht abgeerntet wurden. Und nachdem die undurchsichtigen Eigentumsverhältnisse monatelang ungeklärt blieben, ist auch in diesem Frühjahr auf einem großen Teil der Flächen nicht ausgesät worden.

Daß deshalb Millionen Tonnen Weizen importiert werden müssen, hat bei Stolojan bereits vor längerer Zeit Ärger hervorgerufen. Das Geld, das Rumänien für Weizenexporte ausgebe, so Stolojan, werde viel dringender für die Restrukturierung der Wirtschaft benötigt.

Rumänien müßte diesen Herbst auf 3,5 Millionen Hektar Weizen anbauen, um sich wieder selbst ernähren zu können. Das halten aber selbst Experten in Bukarest für illusorisch. Viele Bauern haben nicht einmal das Geld für Saatgut, die lokale Bürokratie behindert eine effektivere Privatisierung der Landwirtschaft, und auf den übrig gebliebenen Staatsgütern wird kaum noch gearbeitet. Zeitungen sprechen derweil davon, daß im Hafen von Constanta mengenweise Importweizen verfault. Keno Verseck