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Scheißen als Attraktion

■ »The American Circus«, der größte Drei-Manegen-Circus der Welt, ist zu Gast in Berlin

Von Ferne sieht es mehr wie ein Rummel aus. Die vielen kleinen Lichter und Spots erleuchten den sonst so trostlosen Potsdamer Platz. Es schimmert nach guter Laune, aber nur solange man sich fernhält. Schmächtige Männer in quietschroten Overalls begrüßen die herbeiströmenden Zuschauer. Karte her, Karte ab, weitergehen. Hier gibt es keinen Glitzer auf die Wange, keinen Tupfer auf die Nase, kein nettes Wort. Der Eintritt in den American Circus ist eher profan und in jedem Fall stumm. Die Bühnenarbeiter kommen aus dem Ostblock, sind billig und des Deutschen nicht mächtig.

Das Vorzelt gehört der Firma Opel. Werbebroschüren liegen verteilt auf dem Manegenkiesel, um die vierrädrigen Ausstellungsstücke herum duftet es schwach nach Zuckerwatte und Popcorn. Weiter drinnen im Sechs-Masten-Allerheiligsten zieht ein einsamer Panther seine traurigen Kreise, während die 5.000 Premierenberliner lärmend ihre Plätze einnehmen. Die Opelniederlassung Berlin wünscht ihnen gerade »einen schönen Circus«, da schiebt sich der schwarze Calibra Turbo auch schon durchs Hauptportal nach draußen. Noch riecht es ein wenig nach Benzin. Für später werden hier Elefanten, Tiger und Gänse erwartet.

Wie alle zirzensischen Ereignisse beginnt auch der »American Way of Circus« mit den Clowns. Etwas verloren machen sie zwischen dem sich gut anlassenden Popcornverkauf und dem konkurrierenden Zuckerwattevertrieb den Dummen August. Spaßmacher als Leuteberuhiger. Als es dann endlich wirklich kontemplativ geworden ist, stürmt eine Horde Cheerleaders die Manege, staksige Stelzenclowns und bunt bemalte Indianer folgen, Elefanten tragen Stars and Stripes und bunte Puschel auf den Köpfen. Das hätte ein schönes Opening sein können, aber leider fällt just in diesem Augenblick die Beschallungsanlage aus, und ohne Rumtata sehen puschelschwingende Funkemariechen eben eher trostlos aus. Das Publikum gibt sich verhalten, aber nicht unlustig. Wartet ab und beginnt, während die Stelzenclowns durch das Hauptportal abgehen, mit dem Kauf dieser kleinen bunten Plastikstangen, die desto heller leuchten, je dunkler es ist. Magie in der Manege für vier Mark und fünfzig.

Als die Elefanten Rüssel an Rüssel das Circusrund betreten, ist das Eis endlich gebrochen. Mit dem Gleichmut des Mondes ziehen sie ihre Kreise, drehen sich unter dem begeisterten Applaus der Zuschauer um diverse Achsen (am liebsten um ihre eigene) und sind ihrem Herrn und Meister Flavio Togni aus schierer Freundlichkeit gefällig. Die großen Podeste, sie müssen von starken Männern hereingerollt werden, sehen unter den Leibern der sechs Dickviecher wie kleine Schemelchen aus. Was bloß sollen diese Federpuschel zwischen den Ohren?

Alles geht seinen ausdressierten Gang, das Publikum macht »ah!« und »oh!«, bis sich einer dieser liebenswerten Riesen noch einmal von seinem Platz erhebt, den Allerwertesten nach hinten reckt und zwei, drei kohlkopfgroße Scheißhaufen hinter sich abwirft. Da lachen die Leute ganz ungeplant ob dieser fäkalischen Unverfrorenheit, die so hübsch mit dem ganzen falschen Glitzerpomp kontrastiert. Scheißen als Attraktion. Wegmachen müssen es anschließend die Polen.

Auch die Lipizzaner machen bei ihren Hofreitstücken ein wenig unter sich, nichts geht über eine ballastreiche Ernährung, und — inzwischen wundert sich im Publikum niemand mehr — auch die drei Kühe aus der Haustiershow-Nummer hinterlassen ihre Reste auf der bunten Plane mit den Stars and Stripes. Nur die acht Tiger geben sich majestätischer und bleiben während der berühmten Raubtiernummer von Joip Markan reinlich. Sie ertragen die Mätzchen, die von ihnen verlangt werden, ohne jeden analen Protest. Legen sich mal in eine Reihe nebeneinander, dann wieder springen sie zurück auf ihre Stühlchen und wieder hin und wieder her. Katzenglück? Käfigzauber.

Es ist ein seltsames Vergnügen, dieser »American Circus«. Nicht wirklich höher, schneller, weiter — auch wenn Marc David nur mit den Fersen am Trapez schon ganz schön hoch unter der Circuskuppel schwingt — und auch nicht wirklich melancholisch ist die Stimmung zwischen den sechs Masten. »Dabeisein ist alles«, denken die Fünftausend, während sie unermüdlich ihre Neonseile schwingen, »Hoffentlich bald Feierabend«, stöhnen sicher die Polen in den roten Overalls. Wer wohl die ganzen Planen heute nacht saubermacht? Klaudia Brunst

»American Circus« bis zum 4. Oktober täglich 15 Uhr und 20 Uhr, sonn- und feiertags 14.30 Uhr und 18.30 Uhr (Montag spielfrei) auf dem Potsdamer Platz

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