Ein Macher geht einkaufen

■ Friedrich Kurz produziert am Ku'damm das Musical der Neunziger Jahre

Die Häppchen, die den bekanntermaßen stets hungrigen Journalisten an diesem Donnerstag im Foyer gereicht werden, sind der Angelegenheit angemessen: üppig belegt, leicht bekömmlich und bunt garniert. Es ist für jeden Geschmack etwas dabei, und Sekt gibt es auch. Denn der Musical-Zar Friedrich Kurz hat etwas zu feiern. Seit heute morgen hat er endlich einen Fuß in der Tür Berlins, wenn auch nur einen kleinen, einen mit achthundert Plätzen, aber immerhin einen Fuß. Gemeinsam mit Jürgen Wölffer, dem Theaterdirektor der Berliner Boulevardbühnen »Theater am Kurfürstendamm« und »Komödie« wird Kurz im kommenden Frühjahr ein neues Musical-Projekt starten: »Sag mir, wo die Blumen sind«, eine Marlene-Dietrich-Revue.

»Ganz anders« als das, was wir neulich im Theater des Westens gesehen haben, soll das Stück werden, an dem Autor Laurence Roman in London noch herumfeilt. »Es geht da sehr stark um den Inhalt«, betont der Musical-König Kurz, der mit seiner Hamburger »Cats«-Produktion und dem »Starlight Express« bisher nicht gerade durch inhaltsschwangere Produktionen geglänzt hatte. »Sag mir, wo die Blumen sind« — das ist »die Geschichte über Marlene, wie sie noch nie erzählt wurde«, orakelt der Weltmeister im Ticketverkauf, läßt aber — Klappern gehört zum Handwerk — nur wenig über den Inhalt der Story verlauten. Immerhin erfahren wir, daß Charlie Chaplin, Orson Welles, Gary Cooper und John Wayne künftig gemeinsam mit der noch in vielen offenen auditions zu findenden Marlene über die kleine Boulevardbühne schlendern werden. Man muß mit einem Backstage- Musical rechnen.

»Ich glaube, die achtziger Jahre mit ihren großen, inhaltsleeren Musicalproduktionen sind wohl vorbei«, behelligt uns Kurz, der mit gerade diesen Stücken in Bochum und Hamburg immer noch genug Geld verdient, mit seiner Sicht des Business. Alles besinnt sich auf die kleineren Formen, sozusagen das Kammerspiel des Musicaltheaters. Da macht natürlich auch der clevere Schwabe gerne mit, zumal ihm die Stadt Berlin bisher noch kein größeres Haus hatte anbieten können. Das Vergnügungszentrum auf dem Potsdamer Platz, das Kurz am liebsten schon 1989 hochgezogen hätte, baut nun sein Erzfeind Deyhle unter dem Dach von Daimler-Benz, das »Metropol-Theater« hat Kurz gewollt, aber nicht bekommen, und ob's mit der Freien Volksbühne klappen wird, entscheidet sich wohl erst in der kommenden Woche. Da kam es dem potenten Allround-Produzent — »Ich bin kein Einkäufer, ich bin ein Macher!« — gerade recht, daß der alten Wölffer-Familie am Kurfürstendamm das Wasser bis zum Halse steht. Die Berliner Theaterkrise ist mittlerweile sogar bis in die Boulevardbühnen geschwappt. Auslastungen von etwas über sechzig Prozent sind für die beiden privatwirtschaftlich organisierten Wölffer-Bühnen am Ku'damm einfach nicht genug, zumal das Theater am Kurfürstendamm erst kürzlich eine Mieterhöhung von sechzig Prozent verkraften mußte, aber nicht verkraften konnte.

Leicht wird es dem langjährigen Theaterleiter Jürgen Wölffer sicher nicht gefallen sein, bei Friedrich Kurz in London anzuklingeln und ihm sein traditionsreiches Haus meistbietend anzudienen. Daß das ein so großer Erfolg werde, »daß wir bis Zweitausend spielen«, hat ihm der Kurz in seiner unvergleichlich vereinnahmenden Art gleich Mut gemacht, und wenn es dann immer noch voll ist, machen sie natürlich weiter. Vor allem als »genialen Kartenverkäufer« schätzt der nun eingefrorene Theaterchef Wölffer seinen neuen Kompagnon und setzt schnell nach, daß das Stück natürlich auch gut sei. »Ich glaub', daß er's besser kann als ich«, schickt Jürgen Wölffer seine Kapitulation vor so viel Geschäftssinn mit traurigen Augen über die Lautsprecher des Theaters. Die Presseleute unten beißen in ihre Lachsschnittchen und geben ihm unweigerlich recht.

Und höchstwahrscheinlich schafft Friedrich Kurz auch hier wieder, was an diesem Tag noch niemand so recht für möglich halten will: daß die Marlene-Revue sieben, Jahre lang das Haus füllt, trotz der hohen Eintrittspreise von bis zu 175Mark (günstigste Karte 60Mark), und daß man selbst mit so einem kleinen Theater die dicke Kohle scheffeln kann. Die Kurz- Vermarktungsmaschinerie ist bereits angelaufen. Seit Freitag verkaufen die Start-Reisebüros die Tickets für das ganze Jahr 1993, obwohl für »Sag mir, wo die Blumen sind« noch kein Schauspieler engagiert ist. Aber die Reiseveranstalter und Busunternehmer brauchen diesen langen Vorlauf für ihre »Package-Tours« — und die braucht wiederum Friedrich Kurz, wenn seine Rechnung, bei der zunächst einmal drei bis vier Millionen Investitionskosten anfallen, aufgehen soll. Vom Hauptstadt-Boom will der Musical-Papst profitieren, Champagner in den Logen ausschenken und seinen Reibach machen. Hauptsache, der Ticketverkauf läßt sich gut an. Wen interessiert dann schon noch, was auf der Bühne einmal stattfinden wird. Die Journalisten schlürfen zufrieden ihren Sekt, finden das Ganze gewagt, aber nicht verrückt, und schieben sich nach der gelungenen Werbeveranstaltung noch das ein oder andere Häppchen rein. Es sind, wie wir jetzt wissen, die neuen Häppchen der Neunziger: klein, delikat, leicht bekömmlich. Klaudia Brunst