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Der Würgegriff am Hals

■ Krawatten sind nicht jedermanns Liebling. Dennoch verrenken sich allmorgendlich Millionen Männer die Finger, um ihren Kragen mit dem Stoffstreifen zu retten. Bärbel Petersen hat berühmte Männer derGeschichte auf...

Krawatten sind nicht jedermanns Liebling. Dennoch verrenken sich allmorgendlich Millionen Männer die Finger, um ihren Kragen mit dem Stoffstreifen zu retten. BÄRBEL PETERSEN hat berühmte Männer der Geschichte auf Hals und Binder geprüft.

K

rawatten sind nichts für mich. Die sind doch völlig überflüssig“, verkündet der junge Mann selbstbewußt, als die Verkäuferin ihm eine zum Hemd andrehen will. Tatsächlich ist die Krawatte das nutzloseste und überflüssigste aller Kleidungsstücke. Daß trotzdem Millionen Männer allmorgendlich damit ihren Hals verpacken, macht sie auch nicht attraktiver. Doch Büroangestellte können sogar zum Tragen eines Schlipses verdonnert werden, wie unlängst ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm bestätigte.

Marx hat ihn unter seinem Bart verborgen

In einem Betrieb trugen die Angestellten der Exportabteilung nur dann Sakko und Krawatte, wenn sich Kunden ansagten. Als immer wieder überraschend Auslandsbesucher auftauchten, ordnete die Firma an, daß alle Angestellten korrekt gekleidet zu sein hätten. Ein Mitarbeiter, der weiterhin salopp erschien, wurde in eine Abteilung ohne Kundenkontakt gesteckt. Das Gericht hielt die Versetzung für gerechtfertigt, weil sich der Angestellte beharrlich geweigert hatte, Sakko und Krawatte zu tragen. Ob der Krawattenmuffel sich aus ästhetischen Gründen verweigerte? Oder ist er ein Linker, denen der Schlips aus ideologischen Gründen ein Greuel ist, ein Zeichen für Ausbeuter und Duckmäuser? Dabei hat den strengsten aller Revolutionäre, Robespierre, stets ein prächtiges Stück jener meterlangen Halsbinden geschmückt, die ihrer Üppigkeit wegen „Incroyables“, die Unglaublichen, genannt wurden.

Stalin hat nie eine Krawatte getragen, Hitler dagegen sogar beim Schlafen, und Marx hat den Schlips vornehm unter seinem Bart verborgen. Gaddafi trägt sein Bindemittel stets über dem Pullover. Daß auch Frauen keine Krawattenmuffel sein müssen, hat Marlene Dietrich eindrucksvoll bewiesen. Andere sollen das unschuldige Kleidungsstück sogar als tödliche Waffe eingesetzt haben, wie in Hitchcocks „Frenzy“ mehrfach überzeugend demonstriert. Krawatten können aber auch das Leben retten. Der Hamburger Jacob Brunkopf hat eine Konstruktion entworfen, mit der feindliche Bakterien abgewehrt werden: Eine Sprayvorrichtung im Knoten. Ein leichter Druck auf den Schlips nebelt die Angreifer ein.

Wer den Männern und Frauen die Halsbinde eingebrockt hat, beschäftigt nicht nur Modewütige. Die Kroaten sollen sie am Hals getragen haben, als sie 1660 in Paris einzogen, um den Sonnenkönig als Leibwache zu dienen. Ihre Halsbinden waren mit Troddeln und Quasten verziert, deren Enden im Wind flatterten.

Die französischen Adligen und das Bürgertum haben diesen Schnickschnack sofort übernommen und nach ihren Trägern benannt: croatta, woraus dann das französische Wort cravate entstand. Später entwickelte sich aus der cravata ein weißes Tuchgebilde, das den Hals bis zu den Ohren verpackte. Manchmal erschien der Hals sogar dicker als der Kopf und ließ eher eine scheußliche Halsentzündung vermuten.

Der Geist des Mannes liegt in der Krawatte

Die Verpackungskunst des männlichen Halses erreichte ihren Höhepunkt durch den französischen Romancier Honoré de Balzac (1799-1850). Er ließ sich sogar zu einer Bindevorschrift hinreißen, in der er krawattenvernarrte Leser mit einer Vielzahl von Typen, Bindetechniken und Knotenarten verwirrte. Seine Philosophie von der verbindlichen Kunst bringt Balzac auf die Formel: „Der Geist des Mannes zeigt sich in seiner Fähigkeit, die Krawatte zu binden.“

Heute spielt die Knotenkunst keine Rolle mehr. Die Krawatte wird nach phantasiearmen Regeln gebunden, die wenig Spielraum für modisch-individuellen Einfallsreichtum zulassen. Wer sich beim Knoten fast die Finger verrenkt oder überhaupt bindefaul ist, muß sich trotzdem nicht auf den Schlips getreten fühlen: Der Handel hilft mit Fertigknoten-Krawatten.

Wer sich dennoch zur Kunst des Knotens hingezogen fühlt, der greife zu den „Fliegen und Krawatten“. In dem Buch vom Kölner DuMont- Verlag haben die Italiener Davide Mosconi und Riccardo Villarosa 188 verschlungene Möglichkeiten zusammengetragen und Bindeanleitungen mitgeliefert.

Die Schleife gilt als Königin des Krawattenreichs, weil sie immer modern ist und sowohl von Männern als auch von Frauen gern getragen wird. Da die Schleife auf ganz besondere Weise geknotet wird, sind tatsächlich Fingerspitzengefühl und Übung angebracht.

Der Berliner Schleifenknoten ist nach Mosconi und Villarosa ein „üppiges, auffallendes Modell, das eine kleine Besonderheit aufweist, die auf den ersten Blick übersehen werden könnte: Im geometrischen Zentrum der Schleife zeigt der Knoten einen kräftigen diagonalen Akzent.“ Seinen Namen bekam er in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts verpaßt, als er in bestimmten Kreisen der deutschen Hauptstadt sehr beliebt war. Beliebt war damals auch der Plastron oder Ascot. Diese vor der Brust gekreuzte Krawatte ist aber inzwischen völlig vergessen.

Das Krawattenmodell „Weihnachtsgeschenk“

Die heute typische Krawatte tauchte plötzlich um 1860 ohne erkennbaren Grund auf. Sie bestand nur aus einem einfachen Stoffstreifen, der immer mehr verfeinert wurde. Ob schmal oder breit, quer, längs oder diagonal gestreift, grell oder eintönig gemustert, gewebt oder gestrickt, aus Leder, Kunststoff, Natur- oder synthetischen Fasern: Es sind etwa 30 Gramm schwere Stoffetzen, die von einem Knoten glatt herabhängen, bis sie den Gürtel berühren. Trotzdem können sich zwei gleiche, in derselben Weise gebundene Krawatten erheblich voneinander unterscheiden, je nachdem, wie sie zum Hemdkragen und den übrigen Kleidungsstücken passen.

Das Modell „Weihnachtsgeschenk“ erkennt man sofort bei jenen Zeitgenossen, die sich nicht um ihre Krawatten kümmern, „weil sie Wichtigeres zu tun haben“. Dann hat meist die Ehegattin liebevoll ausgewählt: 65 Prozent aller bunten Binder werden von Frauen gekauft und ihren Männern, Liebhabern oder Söhnen mitgebracht. Bei weiteren 15 Prozent dieser modischen Transaktion ist der Mann in Begleitung einer Frau, die seine Wahl beeinflußt oder zumindest begutachtet.

Nur 20 Prozent aller Krawattenträger sind so emanzipiert, daß sie sich ihren Halsschmuck selber aussuchen und kaufen. Psychologen sehen in dem Stoffetzen vor allem bei der Wahl des Krawattenknotens „einen getreuen Spiegel des Innenlebens“, wie Mosconi und Villarosa herausgefunden haben: „Jemand mit einem großen und relativ locker gebundenen Knoten sei umgänglich und gutmütig, während ein kleiner, fester Knoten einen Hinweis auf Geiz, Egoismus und eine Neigung zur Introversion geben könne.“

Keine Bank ohne Schlips. Die meisten Angestellten scheinen ein Vermögen für den Stoffstreifen auszugeben. Andere Zeitgenossen dagegen verweisen stolz auf ein Unikat, das sie lebenslänglich mit sich rumtragen. Sie binden sich immer die gleiche um, weil sie womöglich immer der gleiche sind.

Je vornehmer der Mann, desto kleiner das Muster

Auch die Wahl der Krawattenfarbe läßt Rückschlüsse zu: Blaubeschlipste Männer haben den Ruf, einen guten Geschmack zu haben. Trägt einer Punkte, ist er eigenwilliger als ein Streifenträger. Schräge Muster und grelle Farben bedeuten keineswegs Lebenslust und Phantasie, sondern Liederlichkeit, provinzieller Geschmack oder, schlimmer noch, Armut. Für alle Muster gilt: je vornehmer der Mann, desto kleiner das Muster seiner Krawatte. Damit liegen diese Männer voll im Trend, denn bei aller Musterungsvielfalt rechnen Modemacher für das Krawattenjahr '93 „mit einem Comeback ruhigerer Musterungen in Richtung klassischer Allovers und interessanter neuer Diagonalstreifen“.

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