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In der Mitte geflickt

Im Auftrag von Daimler-Benz: Renzo Pianos Entwurf für den Potsdamer Platz in Berlin. Aber muß der Osten nahtlos in den Westen übergehen? Ein Plädoyer für einen Architekturpark in Insellage  ■ Von Martin Kieren

Man sollte sagen: endlich! Endlich ist es den in Berlin Verantwortlichen gelungen, für die angebliche Stadtmitte die stadtplanerischen Vorgaben zu formulieren. Mit dem jetzt entschiedenen Wettbewerb für das Grundstück am Potsdamer Platz, das der Konzern Daimler sich gleich 1990 gesichert hatte, sind die Weichen gestellt. Eine riesige Baustelle für mindestens 10 bis 15 Jahre, dann sind die beiden Stadthälften vereint. Aber warum hier noch einmal das Zeremoniell der (baulichen) Vereinigung, der Verzahnung und Verbindung? Und um welchen Preis?

Mal ehrlich: Wer weiß eigentlich noch, wer zuerst und mit welcher Begründung darauf verwies, daß man die beiden Stadthälften Ost- und West-Berlin wieder städtebaulich zusammenführen muß — und das ausgerechnet in der vielbeschworenen Mitte, dieser hybriden Sollbruchstelle? Und warum haben Fachleute oder Laien nie widersprochen? Es geht nicht um diejenigen, die zynisch rufen: „Wir wollen die Mauer wieder!“ Es geht schlicht darum, den städtebaulichen Befund zur Kenntnis zu nehmen: die Baumassen im Westen und Osten, die Verkehrslage am Achsenkreuz der Stadt, die ostwestliche Grünlunge des Tiergartens, das von Hans Scharoun nach dem Krieg konzipierte Kulturforum mit Philharmonie, Kammermusiksaal, Staatsbibliothek und Nationalgalerie — ein Architekturpark in Insellage. Warum nur will man uns ständig zwischen diesem Ost und jenem West hin- und herschicken? Warum soll hier mehr Leben toben? Zeichnet sich eine gelungene Schweißnaht wirklich durch viele hin- und herrennende Menschen aus? Wer soll etwas davon haben? Im Zweifelsfalle doch nur die, die links und rechts Geschäfte haben und uns in ihre Konsumtempel(- chen) locken wollen. Bitte nicht. Wenn man nämlich mit dem Stadtplan in der Hand die Gegend abläuft und -flaniert und sich unvoreingenommen auf die Suche nach der Grenze begibt — dann findet man sie woanders: im ehemaligen Westen, zwischen Tiergarten/Potsdamer Straße und dem Kulturforum. Dieses nämlich liegt abseits. Und es benötigt kein Bindeglied: nicht nach Ost, nicht nach West. Der Bruch ist eklatant, wenn man von Süden her die Potsdamer Straße hinauffährt: Alles tot, gäbe es den Bus nicht, der die Studenten massenweise vor der Staatsbibliothek auswirft. Konzerte werden mit den fahrbaren Untersätzen besucht, ebenso die Ausstellungen in den dortigen Museen. Vom Osten her das gleiche: Wer ins Konzert oder ins Museum will, der findet seinen Weg und muß nicht durch Einkaufspassagen geschleust werden. Das muß nicht nahtlos ineinander übergehen; das sollen zwei ureigene Bereichs- und Nutzungsquartiere bleiben: dort kaufen, hier Kultur.

Das Kulturforum ist eine Enklave mit Solitären — und als solche sollte man es behandeln, belassen und dem Denkmalschutz als Enklavenschutz anempfehlen. Damit würde man auch das leisten, was man immer nur verbalisiert — aber mit falschen Prämissen: man würde den Überlegungen Scharouns gerecht. Denn wer sich darauf beruft, sollte bei ihm nachlesen: Das Einzelobjekt dürfe nicht „in seinem Ausdruckswillen behindert werden“, schrieb er, und die „vorwiegend technisch bestimmten Bauteile der Staatsbibliothek sollen gegen den Osten abschirmen“.

Patchwork

An solchen Vorgaben ist der erste Preis für das Daimler-Gelände zu messen. Der Preisträger Renzo Piano, Genua, schlägt vor: den bedingungslosen Anschluß der Staatsbibliothek von hinten mittels eines neuen Durchgangs durch das Gebäude und dessen Erweiterung durch angelaschten Anbau, ein Musicaltheater und ein Ausstellungspavillon, beide ebenfalls angenäht. Drumherum viel, viel Wasser. Das alles wird vom Preisgericht und der Architekturkritik in der Presse hervorhebend gelobt. Aber diese Betrachtung lenkt ab vom eigentlichen Geschehen.

Schon der Wettbewerb für das städtebauliche Konzept vom letzten Jahr, aus dem Hilmer/Sattler als Sieger hervorgegangen sind, bot Anlaß, sich an dieser Nahtstelle Gedanken über das Zusammenwachsen der beiden Stadthälften zu machen. Und damals war es der Entwurf von Hans Kollhoff, der diese Nahtstelle als Riß weitergehend interpretierte als alle anderen Teilnehmer: er stellte das Kulturforum in einen Park und erhöhte so die Scharounsche Idee. Über seine Hochhausvisionen, die aber den gehörigen und höflichen Abstand zu Scharouns Solitären wahrten, läßt sich streiten. Kollhoffs scharf konturierter Saum — einerseits der neu zu bebauenden Fläche und andererseits des Kulturforums — der hatte etwas Überzeugendes.

Der Entwurf Pianos geht eher umgekehrt vor — vermeintlich versöhnender, angeblich genialisch, aber nichts wirklich Neues wagend. Er ist so problematisch wie die Vorgabe von Hilmer/Sattler — denn im Grunde hält sich Piano fast sklavisch daran bei der Straßenführung, der Baublockaufteilung sowie der Verzahnung von Block- und Einzel-Architekturkörper. Nur im Falle der Anbindung, oder besser: Anbiederung an die Staatsbibliothek, flickt er unheimlich herum: Patchwork. Die ausdrücklich hart artikulierte Wand Scharouns wird negiert von einem (Auto-)Pavillon plus Musicaltheater, alles im Rudolf-Steiner-Zick- Zack-Stil, das Ganze gebettet in einen Wasser-Erlebnispark (mit Schwänen, Ruderboot?): das ist vielleicht doch'n bißchen viel.

Warum waren Preisgericht und Öffentlichkeit derart befriedigt? Wahrscheinlich ist das nur zu verstehen im Lichte der eine Woche zuvor gefällten Entscheidung für Helmut Jahns Entwurf für das Sony-Gelände gegenüber der neuen Potsdamer Straße. Natürlich ist bei Daimler das insgesamt sehr viel höhere Entwerfer-Niveau hervorzuheben. Schien bei Sony von Anfang an festzustehen, daß ein Amerikaner mit optimistischer Grinsemann-Öffentlichkeits-Architektur zu gewinnen habe, hat hier schon im Vorfeld mehr Sachverstand gewaltet. Bei Jahn schwingt und schwappt die Baumasse an den Blockrändern hin und her wie eine lose Tapete, kein Block ist zu erkennen, keine raumbildende Flucht, kaum eine definierte Raumkante. Die Baumassen wabern so dahin. Das Ganze ist hingefummelt, so daß man sich fragen muß, wo denn die immer wieder beschworenen „Raster“ und „Parzellen“ bleiben?

Es ist wahrscheinlich richtig, soviel Straßenraum durch das Gelände zu legen wie möglich: es ist im Zweifelsfalle „das biegsamste städtische Netz“ (Dieter Hofmann-Axthelm, der das nur für die Parzelle gelten lassen will). Alle Entwürfe, die mit Großformen und blockübergreifenden Architekturkonzepten an die Sache herangingen, scheiterten praktisch an den von ihnen selbst formulierten Vorgaben: sie sind in sich zu starr, zu wenig flexibel. Renzo Piano bietet im besten Sinne spröde, städtische Elemente an: ruhige Blöcke, Straßenrandbebauung, gestaffelte Höhenentwicklung, Arkaden, sichtbares Mauerwerk, übersichtliche Erschließung, Schonung und intelligente Einbindung eines denkmalgeschützen Altbaus, des „Weinhauses Hut“. Hochhausfiguren, begrünte und verglaste Dächer markieren das Gebiet als Einheit.

Berliner Haltung

Der ganze Mietshausgürtel um Berlins Zentrum herum ist verheilte oder noch verheilende Narbe; das Umland stürmen und besetzen, kaufend und wandernd die Westler; in Westberliner Kneipen zechen lustig die Ostler. Ost ist im Wedding die andere Straßenseite und umgekehrt. Warum läßt man in der Mitte nicht das Mottenloch im großen Wattebausch: es ist doch schon da und es zieht auch herrlich dort. Wenn es bebaut werden muß, wäre eine neue Berliner Architektur zu diskutieren. Es gibt sie durchaus. Was sie anböte, wäre eine klare Scheidung zwischen dem vielbeschworenen „öffentlichen Raum“ und dem „Privaten“, herzustellen durch die im Straßenraum sicht-, fühl- und erfahrbare Hauswand: Majestätisch-zurückhaltend und distanziert hat sie zu sein. Haltung eben, denn genau dafür war Berliner Architektur schon einmal berühmt.

In Berlin gibt es eine Reihe von ArchitektInnen, die sich mit der Stadt und ihrer Bau- und Plangeschichte auseinandergesetzt haben und ästhetische Kriterien intellektuell diskutieren. Die an der Sache, der Form und an der Herausbildung neuer Typen noch arbeiten. Ob es in der Haltung, bei der Proportionierung des Verhältnisses von Wand und Öffnung, ein der Tradition des Berliner Klassizismus verpflichteter neuer Rationalismus, ob es eine dem Berliner Barock entlehnte Eleganz, Detailfreudigkeit und -durcharbeitung, oder ob es eine dem Rhythmus und der Staffelung des Berliner Mietshauses abgeschaute Strategie ist — diese Melange beschreibt ungefähr das Neue, ergänzt um Elemente, die sich aus neuen Materialien und den Anforderungen an das märkische Klima ergeben. Es geht darum, daß man — bei den politisch Verantwortlichen wie den Bauherren — eine Berliner Linie auszuspüren Willens ist und Ansätzen zu dieser Neu- Definition eine Chance gibt.

Als einer der wenigen bot Hans Kollhoff (5.Preis) dieses keimende Neue für das Daimler-Gelände an: Pathetisch-theatralische Kulissen, streng, biegsam im Konzept, Überraschungen feilbietend. Darüber brütet man länger, man schnalzt mit der Zunge: hohe, über Arkaden sich erhebende monolithische Mauerwerkskörper als Berliner Blockinterpretation, ausladende, die Straßen noch leicht deckelnde und dann gestaffelt zurückversetzte Attikageschosse, einheitliche Durchblutung eines ganzen Quartiers. Das vibriert: aufrecht gestellte Proportionen, finstere Schluchten, alles aus der Perspektive herausgerückt, entrückt: Golem, Schuhputzer, Finstermänner, Expressionismus, Messel, Höger, Poelzig... Sechzig Jahre Städtebaudiskussion und vermeintlich daraus gewonnene Erkenntnisse über Bord werfend — Pah!

Kollhoff schönt nicht. Anbiederung ist ihm ein Fremdwort. Er gibt Setzungen. Er verweist die Gemütlichkeit dorthin, wo sie hingehört: in die Setzkästen der Wohnzimmer der Lehrer, der Ökofreaks. Keine Pantoffeln, sondern maßgeschneiderte englische Schuhe. Haltung. Sein Herz bleibt kalt, auch unseres. Tut das gut.

Aber auch hier muß leider wieder gelten: das funktioniert fast nur als einheitlicher Wurf, das ist zu großartig, aber auch zu vehement in seiner Forderung und Gestik. Trotzdem bleibt zu wünschen, daß Kollhoff ein oder zwei Blöcke im Gesamtensemble von Renzo Piano verwirklichen kann. Wir hätten dann den längst notwendigen haptischen Diskussionsstoff für eine Berliner Großstadtarchitektur. Sie wäre das Gebot der Stunde.

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