»Ich bin selber ein Stück DDR-Vergangenheit«

■ Seit 28 Jahren sammelt Wolfgang Kolditz DDR-Witze/ In der Wohnung des Sportlehrers stapeln sich die Karteikästen/ Politische Themen überwiegen, aber den Sammler trieb nicht Rebellentum, sondern interesseloses Wohlgefallen am Witz

»Treffen sich zwei DDR-Bürger im August '89. Sagt der eine: Na, wie geht's? Sagt der andere: Nur über Ungarn!« Die Freude über jeden Witz, den er erzählt, strahlt Wolfgang Kolditz förmlich aus den Augen. 160 politische Witze hat der Sammler allein in den Sommermonaten des Wendejahres 1989 zusammenbekommen: »Schon an der Witzflut damals hätten die da oben merken müssen, daß sich was zusammenbraut.« Seit 1964 hat der studierte Sportlehrer jeden Witz, der ihm zu Ohren kam, aufgezeichnet, vor allem die politischen. Ohne jede umstürzlerische Absicht, versichert er: »Ich war nie ein Staatsfeind. Ich konnte mir bloß keinen Witz merken, wenn ich ihn nicht aufschrieb.«

Kolditz' Witz-Archiv sprach sich schnell herum, und auf Sportfesten und in Trainingslagern mußte er sein Repertoire immer parat haben. Wie eine Betriebsnudel wirkt der grauhaarige, muskulöse Mann trotzdem nicht. Beim Erzählen gestikuliert er nur sparsam, aber unaufhörlich fallen ihm neue Witze ein, er kann gar nicht aufhören. Wie viele er insgesamt gesammelt hat, kann er schon lange nicht mehr überblicken. Sein Archiv füllen nicht nur Unmengen von Karteikarten, sondern auch einige handgeschriebene Büchlein. Darin stehen immer zwei Witze pro Seite: »Oben ein politischer, unten ein unanständiger. Wenn mir jemand zugehört hat, von dem ich wußte, daß er bei der Partei was war, habe ich mehr von den unteren erzählt.« Gefährdet habe er sich nie gefühlt, obwohl er gewarnt wurde, vorsichtiger zu sein. »Aber mir ist nie was passiert.« Heute ist er allerdings sicher, daß es eine Stasi-Akte über ihn gibt — aber einsehen will er sie nicht. »Wenn meine Verwandten oder Freunde was über mich gemeldet haben, dann will ich das nicht wissen.«

Nach seinem Sportstudium war Kolditz zwanzig Jahre lang Lehrer für das Fach Gewichtheben beim Deutschen Turn- und Sportbund in Saßnitz auf Rügen, der jedoch 1990 abgewickelt wurde. Sechzehn Monate war er arbeitslos, jetzt hat er in Berlin eine Stelle als Rechnungsprüfer. Spaß macht ihm die neue Beschäftigung nicht — »aber ich bin gerade 52 geworden, da muß man froh sein, wenn man überhaupt noch Arbeit findet.« Sein Alter hält Kolditz nicht davon ab, vier bis fünfmal pro Woche zu trainieren. Für seinen Verein ESV Saßnitz hat er 1992 schon an 21 Wettkämpfen teilgenommen, und bei den Europameisterschaften in Kraftsport und Gewichtheben im Juli errang er den sechsten Platz in seiner Altersklasse. Froh-verschämt zählt er seine Bestleistungen in einigen Disziplinen auf: Kniebeugen mit einem Gewicht von 155 Kilo im Nacken, Stemmen von 75 Kilo schweren Hanteln. »Stark zu sein, ist natürlich gut für das Selbstwertgefühl«, gibt er zu. »In der U-Bahn kommt mir keiner komisch.«

Aus DDR-Nostalgie kehrt er nach dem Training öfter in das kleine Museum im ehemaligen FDJ-Hauptquartier Unter den Linden ein, wo vom Staubsaugerbeutel bis zum Gurkenglas wirklich alles aus der alten DDR archiviert wird. »Hier gehöre ich hin, denn meine Witze sind auch ein Stück DDR-Vergangenheit«, meint er. Während unseres Gesprächs sitzt er direkt unter einem prächtigen Wandteppich, der früher im Ministerrat der DDR hing. Das Motiv erinnert ihn wieder an einen Witz: »Biologie-Prüfung an der Humboldt-Uni. Die Kandidaten müssen drei Gerippe bestimmen — von einem Hähnchen, einer Ente und einem Schwan. Der dritte Prüfling hat überhaupt keine Ahnung. Sagt der Professor: Nun erinnern Sie sich doch mal, was haben wir denn das ganze letzte Jahr besprochen? Sagt der Prüfling: Ach so! Dann sind das Marx, Engels und Lenin.«

Nie habe er sich in der DDR beengt gefühlt, sagt Kolditz, nur die beschränkte Reisefreiheit habe ihn gestört. Als die Mauer aufging, konnte er endlich einen bescheidenen Traum verwirklichen: »Ich bin nach Helgoland gefahren, denn ich wollte immer einmal Ebbe und Flut sehen. An der Ostsee ist das ja kaum wahrzunehmen.« Immer noch hängt Kolditz, der in Wippra im Harz geboren wurde, an seiner Wahlheimat Rügen, und wenn es dort Arbeit gäbe, würde er sofort dahin zurückkehren. Aber die Zukunft sieht er eher pessimistisch. »In Ostdeutschland hat sich nicht viel geändert seit dem Witz zum 40jährigen Jubiläum der DDR: Was winkt, ist schwarz und steht auf der Straße? Die Zukunft.«

Natürlich hat Kolditz schon daran gedacht, sein Repertoire in Buchform zu veröffentlichen. Er hatte sogar schon die Zusage eines ostdeutschen Verlages – aber der ging kurz vor der Veröffentlichung pleite. Jetzt sucht er einen neuen Verleger und sammelt vorläufig weiter. »Heutzutage gehen die Witze gegen Kohl und natürlich gegen die Besserwessis«, erzählt er. »Sogar die Trabi-Witze haben sich verändert. In den alten Witzen macht man sich über den Trabi lustig — in den neuen besiegt er die Westautos.« Miriam Hoffmeyer