piwik no script img

Steif angesungen

■ Opern-Premiere in Bremerhaven: ein unbeweglicher Eugen Onegin

Muß eine Oper der „süßen, melancholischen Traurigkeit“ und des „auskomponierten Schluchzens“ 110 Jahre nach ihrer Entstehung zur Apothese des Kitsches werden? Der Gastregisseur Peter Dieter Schnitzler wollte am Bremerhavener Stadttheater das Gegenteil beweisen. Er läßt Eugen Onegin Peter Tschaikowskis lyrische Szenen um verschmähte Liebe und ihre unerbittlichen Folgen so nüchtern wie möglich spielen. Der Schauspiel-Regisseur vertraut auf die süße Traurigkeit der Musik und vergißt dabei, daß die Leidenschaft, die sich im Inneren der Figuren abspielt, auch auf der Opernbühne inszeniert werden muß.

Schnitzler läßt die Protagonisten des Geschehens, Onegin und Tatjana, steif das Publikum ansingen. Und wenn sie sich bewegen, dann sind es die üblichen peinlichen Kniefälle und andere Verlegenheitslösungen. Es scheint so, als sähe Schnitzler keine Möglichkeit mehr, Tschaikowskis Thema der Fremdheit, der Heimatlosigkeit und der vergeblichen Suche nach Liebe in Bilder zu verwandeln, die unter die Haut gehen und provozieren. Johannes Felsenstein, vier Jahre Oberspielleiter der Oper in Bremerhaven mit Sinn für große, anstößge (und machmal mißlungene) Bilder, hat nach seinem Weggang eine Lücke hinterlassen, die mit dieser Inszenieung zur neuen Spielzeit schmerzhaft sichtbar wird.

Das private Drama, das sich in Eugen Onegin im Licht des gesellschaftlichen Spektakels abspielt, bleit ebenso matt und spannungslos wie die großen Chorszenen im Petersburger Fürstenhaus, da auch der Chor nur bewegungslos herumstehen darf. Einige Intermezzi des kleinen Bremerhavener Balletts und auch das unnötig naturalistische Bühnenbild (Ekkehard Kröhn) entschädigen nicht dafür. Leo Plettner dirigiert das Städtische Orchester zurückhaltend bis unterkühlt. Während er in den ersten Bildern keine überzeugende Linie findet und die Musik flächig dahinfließen läßt, setzt er im Verlauf der Oper Akzente. Erst im fünften der sieben Bilder kann Jerome Padorr als Onegins ehemaliger Freund und Duellgegener Lenski mit der Arie „Wohin seid ihr entschwunden“, seinen Abschied vom Leben, den Schmelz dieser Musik hörbar machen. Das gelingt im weiteren nur noch einmal: Wenn Andreas Macco als Fürst Gremin seine Liebe zu Gattin Tatjana bekennt, die in ihrer Jugend vergeblich um Onegin geworben hat und den Ehemann respektiert, aber nicht liebt.

Heidi Klebl als Tatjana fehlt die tragende Stimme, die ihren Schmerz überzeugend machen würde, und Thomas Mayr als Eugen Onegin — ein klarer, starker Bariton — bewegt sich in diesem melancholischen Spiel unbeholfen und distanziert. Sind Onegins Leiden nichts mehr für die Gegenwart? Dann sollte diese Oper nicht gespielt oder der historische Abstand gezeigt werden. So blieb alles halbherzig unentschieden, und nur die Süße der Musik und das Orchester, das schließlich seine Form fand, lockerte dem Publikum die Hände zu langem Beifall. hans happel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen