: „Ein Kadergerippe mit Fleisch“
Hinter den rassistischen Krawallen in den neuen Ländern steckt ein engmaschiges Netz von Neonazi-Organisationen/ Ihre Schaltzentralen sind die „Deutsche Alternative“ in Cottbus und die „Nationale Liste“ in Hamburg ■ VON BERND SIEGLER
Die Flammen im Flüchtlingswohnheim in Rostock-Lichtenhagen waren noch nicht erloschen, schon entbrannte unter den Sicherheitsbehörden ein Streit über die richtige Einschätzung der Krawalle. Hans-Ludwig Zachert, Chef des Bundeskriminalamtes, mußte sich wegen seiner Äußerung, die Randale sei „organisiert und gesteuert“ worden, herbe Kollegenschelte gefallen lassen. Kein Wunder, denn zum ersten Mal hatte ein Sicherheitsbeamter von hohem Rang die beliebte Theorie von den Übergriffen als Spontantaten alkoholisierter jugendlicher Einzeltäter über Bord geworfen.
Eine „überregionale Steuerung gibt es nicht“, dementierte aber schon am nächsten Tag Eckhart Werthebach, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Schützenhilfe bekam er dabei von Hamburgs VS-Chef Ernst Uhrlau. Der sprach im Gegensatz zu Verfassungsschutz und Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern, die hinter den Ausschreitungen Rechtsextreme aus Berlin und Hamburg vermuteten, von einer „hausgemachten Randale“. Die Neonazis im Osten seien „sehr eigenständig“.
Doch nicht nur die Anwendung von CB-Funkgeräten bei dem Rostocker Pogrom und das Auffinden von Störfunkapparaturen, um die Verbindung zwischen Polizeizentrale und Einsatzbeamten gezielt zu stören, scheinen die Behauptung des BKA-Präsidenten zu unterstreichen. Schon allein der hohe Anteil von Berlinern, Hamburgern und anderen Personen unter den in Rostock Festgenommenen zeigt, daß der Begriff der „hausgemachten Randale“ zu kurz greift. Zudem war auch neonazistische Prominenz vor Ort. Neben Christian Worch, dem Führer der Hamburger „Nationalen Liste“, hielt sich der Münchner Yuppie- Nazi Bela Ewald Althans in der Hansestadt auf und gab dort zum besten, daß die Menschen hier ja nur dem „Naturgesetz der eigenen Arterhaltung“ folgen würden. Nach Recherchen des Westberliner Antifa-Info- Blattes war neben einer Gruppe von schwedischen Neonazis auch Gerhard Endress aus Wien, der aktuelle Kontaktmann der österreichischen militanten „Volkstreuen Außerparlamentarischen Opposition“ (VAPO), in Rostock, ebenso wie der Bonner FAP-Aktivist Norbert Weidner.
100.000 Flugblätter gegen „die Flut“
Noch während der Krawalle versuchte die bundesweit tätige „Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene und deren Angehörige“ (HNG), sich um die festgenommenen „Kameraden aus dem nationalen Widerstand“ zu kümmern. Kontaktnummer ist ein Telefonanschluß in Bremen. Dort wohnt auch der 26jährige Markus Privenau, der Schriftleiter der HNG, die von den Verfassungsschutzbehörden als eine der größten bundesdeutschen neonazistischen Organisationen eingestuft wird. Die 1979 gegründete HNG betreut nicht nur inhaftierte Mitglieder aus allen Fraktionen des bundesdeutschen Rechtsextremismus, sondern auch im internationalen Maßstab Häftlinge des mittlerweile auch in Deutschland aktiven Ku-Klux-Klan (KKK). „Ich finde ihre Arbeit sehr gut, ganz ehrlich“, schrieb zum Beispiel der französische Klan-Führer Patrick Crost in den HNG-Nachrichten vom August dieses Jahres und verblieb „mit besten völkischen Grüßen“.
Während Hamburgs VS-Chef Uhrlau die HNG-Aktivisten aufgrund ihres späten Eintreffens in Rostock noch als „Trittbrettfahrer“ abtun konnte, wird ihm das bei der „Hamburger Liste für Ausländerstopp“ (HLA) nur schwerlich gelingen. Die 1982 in NPD-Kreisen gegründete Gruppierung verteilte eine Woche vor dem Pogrom in Rostock flächendeckend in der Hansestadt ihr Pamphlet „Widerstand gegen die Ausländerflut“ und rief darin zur Aktion „Rostock bleibt deutsch“ auf. „Mit einem Asylantenheim fängt es an — und schon ist Rostock multikulturell“, schrieben die Autoren in dem in 100.000facher Auflage gedruckten Flugblatt.
Hinter der angegebenen Hamburger Kontakttelefonnummer verbirgt sich der 33jährige Michael Andrejewski, der stellvertretende Vorsitzende der HLA. „Wir wollen den revolutionären Schwung im Osten für uns ausnützen“, gibt er unverblümt zu. Schon Ende September solle die Initiative in Rostock gegründet werden. Andrejewski bewundert, wie „die Landsleute im Osten offen auftreten und sich wehren“. Im Westen könne man ja „nur Untergrundarbeit“ leisten.
Rostock nur als Anfang vom „Arbeitsplan Ost“
Daß Rostock erst der Anfang war, hatte Roman Dannenberg, sächsischer Landesvorsitzender der neonazistischen „Deutschen Alternative“ (DA), angekündigt. Der 26jährige aus Hoyerswerda sollte angesichts der folgenden Krawalle in den DA- Hochburgen Cottbus, Eisenhüttenstadt oder in Quedlinburg recht behalten. In Brandenburg prüft man derzeit Möglichkeiten, die DA „langfristig“ aufzulösen, da der Gruppe eine „steuernde Aufgabe“ zugeschrieben wird. Die DA gilt mit etwa 1.200 Mitgliedern als stärkste Organisation in den neuen Bundesländern, ihre Zentrale ist in Cottbus. In der Öffentlichkeit versucht sie den Eindruck einer „nationalen Protestpartei“ zu erwecken. Auch die Beteuerung des Hoyerswerdaer DA- Kameradschaftsführers Michael Büttner, die DA sei eine völlig selbständige Gruppe, entbehrt jeglicher Grundlage. Büttner, der sein Geld als Sozialarbeiter im örtlichen Jugendclub „WKC“ verdient, verschweigt, daß die DA im Mai 1989 von enttäuschten Bremer Aktivisten der „Freiheitlichen Arbeiterpartei Deutschlands“ (FAP) gegründet worden war. Erst Ende Dezember 1989 wurden in Cottbus und Dresden dann die ersten Ortsverbände im Osten gegründet.
Der im April 1991 verstorbene bundesdeutsche Neonazi-Führer Michael Kühnen hatte bei der DA von Anfang an die Fäden in der Hand gehabt. Im Januar 1990 veröffentlichte er in der Postille seiner Kaderorganisation „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ (GdNF) einen detaillierten „Arbeitsplan Ost“, das Ergebnis zweier Besprechungen mit den DA-Verbänden in Dresden und Cottbus. Darin bekundete man Übereinstimmung, daß „hinter allen legalen Aktivitäten eine stahlharte, weltanschaulich gefestigte Kadertruppe stehen“ solle, nämlich die westdeutsche GdNF, die sich als „Gemeinschaft von überzeugten und bekennenden Nationalsozialisten“ versteht.
Neben dieser Kaderorganisation solle die DA „möglichst rasch als legale Partei“ aufgebaut werden. Die Hierarchie dabei war klar. Die Westführer verlangten von der „Ostsektion einmal im Monat einen Bericht zur Lage an die oberste Führung“. Kurz nach Veröffentlichung des „Arbeitsplanes“ kamen die DA-Delegationen aus Dresden und Cottbus zur weiteren Besprechung ins hessische Langen, wo Kühnen die „erste ausländerfreie Stadt“ erkämpfen wollte.
In der Folge tourten Kühnen und die Chefs der GdNF-Organisationen „Deutsches Hessen“ (Heinz Reisz), „Nationale Liste“ in Hamburg (Christian Worch und Thomas Wulff), „Wotans Volk“ in Berlin (Arnulf Priem) und der österreichischen VAPO (Gottfried Küssel und Günter Reinthaler) durch den Osten. Sie gaben sich auch in den Anfang 1990 besetzten Häusern in der Lichtenberger Weitlingstraße die Klinke in die Hand, um dort bei der Ostberliner „Nationalen Alternative“ (NA) Aufbauarbeit zu leisten. Gerade die Geschichte von DA und NA zeigt, daß westliche Neonazis problemlos im Osten an Strukturen anknüpfen konnten, die schon Mitte der 80er in der DDR bestanden hatten. So waren die NA-Führungskader bereits 1986 in der „Lichtenberger Front“ aktiv, überfielen zusammen mit Westberliner Skinheads im Oktober 1987 ein Punkkonzert in der Ostberliner Zionskirche und wollten mit der 1988 gegründeten konspirativen Gruppe „Bewegung 30. Januar“ in den „Kampf gegen Ausländer und die Ausbreitung eines undeutschen Lebensstils“ ziehen.
„In Rudolstadt hatten wir die Polizei im Griff“
Der 27jährige Frank Hübner aus Cottbus, Chef der DA, erhielt seinen ideologischen Schliff direkt bei Kühnen und Reisz in Langen. Er wurde 1984 in der DDR wegen einer zwei Jahre zuvor gegründeten Wehrsportgruppe verhaftet und 1985 von der Bundesrepublik als „politischer Häftling“ freigekauft. Danach schloß er sich der Langener Kühnen- Truppe „Nationale Sammlung“ an. Ebenso wie der in Langen aktive Rainer Sonntag, der kurz nach dem Fall der Mauer in Dresden mit dem Aufbau neonazistischer Organisationen begann, kehrte Hübner schon im Dezember 1989 in seine Heimatstadt zurück. Dort gründete er die DA- Ortsgruppe.
Die DA ist voll in das Netz der GdNF eingegliedert, das Personal im Osten wird ab und zu durch Westaktivisten aufgefrischt. So entpuppen sich in der jüngsten Ausgabe der GdNF-Postille Neue Front die „DA- Mainz“ als „Gau Rheinland-Pfalz“ der GdNF, die DA-Brandenburg als „Gau Brandenburg“ der GdNF oder der „Deutsche Kameradschaftsbund“ in Wilhelmshaven und Delmenhorst als „Gau Niedersachsen“ der GdNF. Torsten Schönrock, einer der Hauptaktivisten dieses „Kameradschaftsbundes“, war 1991 noch als DA-Landesvorsitzender von Niedersachsen registriert. Jetzt brach er seine Zelte im Norden ab und siedelte ganz nach Cottbus über.
In immer den gleichen Kombinationen organisieren Gruppierungen der GdNF das neonazistische Treiben im Osten — auch nach dem Tode von Michael Kühnen. Allen voran die Hamburger „Nationale Liste“. Ob im Juni 1991 bei dem Marsch für den von Zuhältern getöteten Dresdner Nazi-Führer Rainer Sonntag, ob am 9. November in Halle zum Gedenken an den Tag des Mauerfalls, ob am 21. März dieses Jahres in Leipzig unter dem Motto „Drogendealer ins Arbeitslager“, ob am 4. April dieses Jahres wieder in Dresden oder schließlich am 15. August im thüringischen Rudolstadt bei dem Rudolf- Heß-Gedächtnismarsch mit 2.000 Neonazis — Christian Worch war meist Organisator und Aufrufer. Kommt es zu Krawallen, hält sich der NL-Chef im Hintergrund, nicht nur aus Angst um seinen neuen Mercedes oder sein modisches Sakko.
Neben Worch spielt der am Sonntag festgenommene Thomas Dienel aus Weimar eine tragende Rolle. Der 29jährige Dienel hat es vom einstigen FDJ-Sekretär zum NPD-Vorsitzenden von Thüringen und jetzt zum Vorsitzenden der von ihm gegründeten „Deutsch-Nationalen-Partei“ (DNP) gebracht. In Interviews machte Dienel kein Hehl daraus, daß die Neonazis logistisch bestens ausgerüstet seien. Er sagt auch offen, welchen Stellenwert solche bundesweiten Aufmärsche wie der in Rudolstadt haben. Nur knapp zwei Wochen vor Rostock habe sich dort „das ganze nationale Lager“ getroffen. Das Selbstbewußtsein der Szene steigt, zumal wenn 2.000 Neonazis ungestört von Gegendemonstranten und Polizei die Straße für sich haben. „Wir hatten die Polizei im Griff, wir wußten genau, was die Ochsen tun“, zeigt sich Dienel von Rudolstadt begeistert.
Der DNP-Chef verfügt ebenso wie Worch über gute Kontakte zu dem Münchener Neonazi Althans, der dank seines eleganten Äußeren so gar nicht recht in das Bild eines Neonazis passen will und von Spiegel, Stern und Brigitte hofiert wird. Althans seinerseits pflegt nicht nur Kontakte zur internationalen Revisionistenszene, sondern macht in Bonn gemeinsame Sache mit der örtlichen „Nationalistischen Front“, einer militanten nationalrevolutionären Kaderorganisation, die nicht direkt in das GdNF-Netz eingebunden ist.
Auch der NF mit ihrer Zentrale in Detmold-Pivitsheide ist es gelungen, eine erfolgreiche „Ostlandinitiative“ zu starten. Derzeit liegen die NF- Schwerpunkte in Oranienburg und Königs Wusterhausen. Als Antirassismus-Initiativen vor drei Wochen in Eberswalde eine Demonstration durchführen wollten, rief die NF zusammen mit der „Deutschen Liga für Volk und Heimat“ (DL) zur Demonstration gegen „die linken Zecken“ auf.
Ein ungewöhnliches Bündnis, hatte sich doch die „Deutsche Liga“ unter Führung des Europaparlamentariers und ehemaligen bayerischen REP-Vorsitzenden Harald Neubauer sowie der Ex-NPD-Spitzenfunktionäre Martin Mußgnug und Jürgen Schützinger ursprünglich als Sammlungspartei von REP, NPD und DVU in der Parteienlandschaft etablieren wollen. In den letzten Monaten hat die DL aber alle Berührungsängste gegenüber militanten Gruppierungen abgelegt. Schon bei der Demonstration in Dresden am 4.4. 92 hielt DL-Funktionär Franz Glasauer aus Landshut einträchtig neben Dannenberg, Worch und Dienel seine Rede. Am 22.9. 91 nahm nach Informationen des Antifa-Info- Blattes Neubauer an einer Dampferfahrt des GdNF „Gau Mainz“ teil. Am 10.7. 92 diskutierten Funktionäre der Landesverbände von DA und DL in Groß Gaglow gar über ein gemeinsames Vorgehen in Brandenburg.
Die neue rechte Unübersichtlichkeit
Seine inhaltliche Nähe zu den militanten Aktivisten bewies Neubauer nach Rostock. In einer Pressemitteilung verkündete der Europaabgeordnete, er sei „betroffen, wie sehr die berechtigten Interessen der Einheimischen mißachtet“ würden. Im DL- Parteiorgan Deutsche Rundschau vom September spricht Karl Richter vom „dramatischsten Überfremdungsschub seit dem Dreißigjährigen Krieg“. „Eigentlich wäre das alles ein Grund für einen Volksaufstand. Doch was sich tut, ist erschreckend wenig“, lautet Richters zynischer Kommentar. Die in Köln ansässige, der DL nahestehende Gruppierung „Die Bürger“ bezeichnet die Rostocker Täter gar als „neue Freiheitshelden“.
Der sächsische DA-Landesvorsitzende Dannenberg fühlte sich gar verpflichtet, die Ehre der Skinheads zu retten. Nachdem ein ARD-Kommentator die Skins nach Rostock als „hirnlosen Abschaum“ bezeichnet hatte, erstattete er Strafanzeige wegen Volksverhetzung bei der Staatsanwaltschaft München. „Als Funktionär der DA erstatte ich diese Anzeige im Namen aller Mitglieder, von denen die meisten diesem Bevölkerungsteil angehören.“
Angesichts der Fülle von neonazistischen Organisationen und Neugründungen trauen sich die Staatsschutzbehörden von Brandenburg keine Prognose mehr zu: „Sie mögen unerheblich und unauffällig bleiben oder auch sich zu einem Netz militanter Kadertrupps mit funktionierender Logistik auswachsen.“ Für Martin Dietzsch vom „Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung“ (DISS) ist das keine Frage. Er glaubt, daß in Rostock „ein langfristig geplantes Konzept militanter Auseinandersetzung erstmalig praktisch umgesetzt wurde“. Dietzsch hält es für eine abgesprochene Strategie, daß in jedem Bundesland andere Parteien gegründet werden. Er spricht von einer „geplanten Unübersichtlichkeit“, um zu verwischen, daß die Gruppierungen über die lange Zeit gefestigten Strukturen der GdNF koordiniert seien. „Das Kadergerippe hat Fleisch bekommen.“
Über die Entwicklung der letzten Wochen ist Neonazi Heinz Reisz jedenfalls sehr zufrieden: „Unsere Aufgabe ist es, die Parteien dazu zu drängen, daß sie nach rechts abdriften müssen. Und wir haben es erreicht, denn die CDU, erst recht die CSU stehen mit ihren Aussagen heute so weit rechts wie die NPD vor 20 Jahren.“
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